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Die neue Regierung steht - in der Außenpolitik wird aber Vieles beim Alten bleiben. Denn Premier Tusk ist auf Zusammenarbeit mit Staatschef Kaczynski angewiesen.
Der eine ist klein, misstrauisch und gewann seine Wahlkämpfe mit düsteren Bedrohungsszenarien und Warnungen vor allmächtigen Netzwerken korrupter Politiker, krimineller Geldmacher und ausländischer Mächte, die Polen bedrohen. Zusammen mit seinem Bruder hielt er andere Koalitionsparteien mit Erpressung in Schach und ließ sie von der Geheimpolizei bespitzeln. Außenpolitik wurde zur permanenten Blockade - mit einem Veto nach dem anderen in der EU, und Warnungen vor neoimperialen Tendenzen in Russland und Deutschland.
Der andere ist groß, zuversichtlich und relativ jung, und gewann seinen Wahlkampf mit optimistischen Botschaften über ein anstehendes Wirtschaftswunder, niedrigere Steuern, mehr Freiheit und mehr Offenheit - gegenüber dem Ausland und selbst gegenüber dem politischen Gegner.
Der erste heißt Lech Kaczynski und ist seit 2005 Präsident Polens. Der zweite heißt Donald Tusk und ist seit 16. November Premierminister Polens - ernannt von Kaczynski, dessen Bruder Tusk im Oktober von der Macht verdrängte. Die Hoffnungen auf eine Wende nach zwei Jahren Intrigen und Einschüchterung spülten Tusk und seine Bürgerplattform an die Macht. Doch nun wird es sehr schwierig sein, diese Hoffnungen auch zu erfüllen. Denn nach Polens Verfassung müssen Lech Kaczynski, der Präsident, und Donald Tusk, der Premierminister, in vielen Bereichen zusammenarbeiten, soll Polen reibungslos regiert werden. Schon jetzt knirscht es im Gebälk.
Wochenlang weigerte sich Kaczynski, Tusk zu seiner Wahl zu gratulieren. Begründung: Der habe ihn im Wahlkampf beleidigt, als er von den "Kaczynski-Brüdern" sprach. Die aber, so ließ der schweigende Präsident über seinen Zwillingsbruder, den abgewählten Premier Jaroslaw Kaczynski, mitteilen, seien nur "eine biologische, aber keine politische Existenz". Polen lachte. Das Lachen erstarb, als der Präsident versuchte, die Ernennung von Radoslaw Sikorski zum Außenminister zu verhindern, indem er gezielt Indiskretionen streute, Sikorski habe Geheimnisverrat begangen. Nichts davon erwies sich als beweisbar. Tatsächlich war es ein Rachefeldzug, weil Sikorski, der in der Regierung Kaczynski Verteidigungsminister gewesen war, im Wahlkampf die Pferde gewechselt und Tusk unterstützt hatte. Nach der Verfassung machen Premier und Außenminister die Außenpolitik, aber der Präsident vertritt das Land nach außen - Zündstoff für künftige Auftritte in Brüssel. Die meisten Gesetzentwürfe kann der Präsident mit einem Veto blockieren, das das Parlament nur mit Dreifünftelmehrheit überstimmen kann - dazu brauchen Tusks Bürgerplattform und ihr Koalitionspartner, die Polnische Bauernpartei, dann entweder die Kaczynski-Partei "Recht und Gerechtigkeit" oder die oppositionellen "Linken und Demokraten".
Erstes Opfer der polnischen Kohabitation: Die EU-Grundrechtscharta. Damit der Präsident die Ratifizierung des EU-Reformvertrags nicht blockiert, wird sich Polen dem britischen Opt-Out im Bezug auf die Charta anschließen. Kaczynskis neue Kanzleichefin und frühere Außenministerin Anna Fotyga verkündet überall im Lande, die Charta solle Polen nicht nur die Gleichstellung von Homosexuellen oktroyieren, sondern öffne auch Tür und Tor für die Entschädigungsansprüche deutscher Vertriebener. Die Charta wird so in Polen nicht gelten - und Polen können damit vor polnischen Gerichten nicht überprüfen lassen, ob EU-Recht gegen die Charta verstößt.
Dort, wo Präsident und Premier durch die Verfassung nicht voneinander abhängig sind, machen sie nun ihre eigene Außenpolitik: Der Präsident fliegt ohne Rücksprache mit dem Außenminister nach Georgien, um im Konflikt mit Abchasien zu vermitteln. Premier Tusk verkündet ohne Rücksprache mit dem Präsidenten, er werde das polnische Veto gegen die Aufnahme Russlands in die OECD zurückziehen.
Tusk hofft auf Zugeständnisse von Russland, das den Import polnischen Fleisches blockiert, weshalb Polen unter Premier Kaczynski die Verhandlungen der EU über einen neuen Kooperationsvertrag mit Russland blockierte.
Eine symbolische Ohrfeige für den Präsidenten ist auch die Ernennung von Wladyslaw Bartoszewski zum Staatssekretär und einer Art Sonderbeauftragten zur Verbesserung der Beziehungen mit Deutschland und Israel. Bartoszewski hatte mehrfach Kaczynskis Haltung zu Deutschland und zur EU kritisiert, worauf ihn der Präsident aus der Jury für den höchsten polnischen Orden entlassen hatte. Auch wenn es niemand in der Regierung laut sagt, um den Präsidenten nicht noch mehr zu verärgern - Bartoszewski soll nun in Berlin den Karren aus dem Dreck ziehen, in den ihn Kaczynski dort zuvor hinein gefahren hat.
Einfach wird das nicht werden. Ohne Botschafter können weder Außenminister Sikorski noch Wladyslaw Bartoszewski Politik machen - doch eine zweistellige Zahl von Botschafterposten ist zurzeit nicht besetzt, viele der besetzten Posten werden von Politikern der abgewählten Regierung bekleidet. Um die zu ersetzen und die vakanten Stellen zu füllen, brauchen Sikorski und Tusk die Unterschrift des Präsidenten. Der wird sie - so verkünden seine Beamten ganz offen - verweigern. Das sei die Retourkutsche dafür, dass Tusk Sikorski gegen den Willen des Präsidenten zum Minister machte. Doch es gibt noch mehr Gründe dafür, warum die Wende in Polen keine radikale Umkehr werden wird.
Kaczynski ist dabei, seine Präsidentenkanzlei zu einer Bastion für die Opposition und einer Nebenregierung auszubauen. Politiker von "Recht und Gerechtigkeit", die ihre Posten verloren und auch kein Parlamentsmandat bekommen haben, ziehen nun als Berater und hohe Beamte in den Präsidentenpalast ein. Von dort aus nehmen sie die neue Regierung in die "patriotische Zange":
Jeder realpolitische Kompromiss der Regierung wird künftig als Verrat an der Nation, jede Bereitschaft zum Einlenken als Schwäche gebrandmarkt. Und aus Furcht vor solchen Anklagen und davor, von Opposition und Präsident in Sachen Patriotismus rechts überholt zu werden, wird die Regierung aufpassen, sich keine Blöße zu geben.
Beides zusammen - die Furcht vor dieser "Zange" und die verfassungsrechtliche Abhängigkeit von Präsident und Premier - sorgen für mehr Kontinuität, als den neuen Machthabern in Warschau lieb ist. Gewinner sind die von beiden Machtzentren unabhängigen Institutionen, wie die Nationalbank und das Verfassungsgericht. Beide wollte die Regierung Jaroslaw Kaczynski mit Brachialgewalt und unter Verletzung der Verfassung unter ihre Kuratel zwingen. Jetzt lässt ausgerechnet Lech Kaczynski, der den Verfassungsrichtern mit Amtsenthebung drohte und sie öffentlich desavouierte, bei Gericht anfragen, ob seine Vorrechte in der Außenpolitik nicht von Premier Tusk verletzt werden.