KLIMASCHUTZKONFERENZ
Die Erwartungen an Bali sind hoch. Konkrete CO2-Obergrenzen werden dort aber nicht verhandelt.
Eines wird auf Bali bestimmt klappen: die Organisation. Für den Ablauf des zweiwöchigen Spektakels mit 10.000 Politikern, Wissenschaftlern, Journalisten und Umweltorganisation, das am 3. Dezember beginnt, ist Salwa Dallalah verantwortlich. Die sudanesische Ex-Diplomatin hat vom Bonner UN-Klimasekretariat aus schon mehrere Klimakonferenzen erfolgreich gemanagt. Von protokollarischen Events über die Bereitstellung von Räumen und die Vermittlung von Übersetzungsdiensten bis hin zu einem auch auf diverse religiöse Sitten und auf Vegetarier zugeschnittenen Speiseangebot: Mit Routine und Improvisationsgeschick hat die Afrikanerin alles im Griff. Wer unzufrieden sei mit dem Essen, der werde "mürrisch", und das könne eine "schlechte Stimmung" provozieren, lautet einer ihrer Erfahrungsgrundsätze.
So wie die Dinge liegen, muss Dallalah kaum damit rechnen, aus Bali gefrustet abreisen zu müssen: Angesichts des sich beschleunigenden Treibhauseffekts können es sich die Umweltminister aus fast 190 Staaten eigentlich nicht leisten, das Treffen in den Sand zu setzen.
Gibt es in Bali ein Ergebnis, so wird das auf den ersten Blick recht bescheiden anmuten: Denn es würde lediglich ein unter dem Schlagwort "Bali Roadmap" firmierendes Prozedere für Verhandlungen sein, die 2009 bei einer Tagung in Kopenhagen in ein Kyoto-II-Folgeabkommen münden sollen. Auch Ivo de Boer, Leiter des UN-Klimasekretariats, dämpft hochfliegende Hoffnungen: Man müsse die "Weltwirtschaft auf einen neuen Kurs bringen", so de Boer, und das sei "nichts, was man in zwei Wochen erreichen kann".
Gleichwohl wird jetzt im Urlauberparadies politisch hart gekämpft: Neben den Obergrenzen für den Kohlendioxidausstoß und den Grad an Verbindlichkeit solcher Vorgaben wird es auf Bali vor allem auch um die Einbindung der Schwellen- und Entwicklungsländer sowie um die Einbindung der besonders widerspenstigen USA in eine Klimapolitik unter UN-Dach gehen. Gestritten werden dürfte auch über die Finanzierung des ohne Zweifel teuren Klimaschutzes und über den Transfer von Öko-High-Tech in die Dritte Welt ebenso wie über Konzepte zur Eindämmung der sich häufenden Naturkatastrophen. Die Frage, wie all diese Themen auf einer möglichen Tagesordnung platziert und gewichtet werden, gilt bereits als inhaltliche Vorentscheidung über den Kyoto-Nachfolgevertrag. Er soll dann von 2013 an greifen.
Im Vorfeld von Bali hat die Dramaturgie des internationalen Politikbetriebs den Erwartungsdruck ungeheuer hochgeschraubt. Zahlreiche Vorbereitungstreffen samt einem Stelldichein von 80 Staats- und Regierungschefs am UN-Sitz in New York sollten Dynamik erzeugen. Zuguterletzt wartete in Valencia der UN-Klimarat IPCC mit der Präsentation einer Kurzversion des Klimaberichts der Weltorganisation auf. Darin warnt er vor Wüstenbildung, Wirbelstürmen und Artensterben. Angesichts solch "schlimmer und angsterregender Szenarien wie in einem Science-Fiction-Film" müssten die Politiker auf Bali endlich handeln, mahnt UN-Generalsekretär Ban Ki moon.
Rajendra Pachauri, Präsident des Weltklimarats, versuchte trotz der düsteren Aussichten noch ein wenig Optimismus zu verbreiten: "Die Gefahren können bekämpft werden", sagte er, und dieser Prozess müsse in Indonesien beginnen. Doch schon in Valencia herrschte nicht unbedingt eitel Sonnenschein: Die US-Delegation sorgte in dem Text immer dann für "weiche" Formulierungen, wenn es um konkrete Maßnahmen zur Bekämpfung der Erderwärmung ging.
Das Kyoto-Protokoll verpflichtet die Industriestaaten momentan, ihren Ausstoß von Kohlendioxid und anderen Treibhausgasen bis 2012 im Vergleich zu 1990 um fünf Prozent zu vermindern. Das ist nicht viel, obendrein haben sich die USA als Hauptemittent aus diesem Spiel ausgeklinkt. Kyoto II soll die Reduzierung der Kohlendioxidabgabe jetzt massiv verschärfen. Wer hat noch nicht, wer bietet mehr: Die sich fast überschlagende Ankündigungspolitik im Blick auf Bali scheint die Rettung der Welt nur noch zu einer Frage der Zeit zu machen. Allein schon die von den EU-Regierungen und vom EU-Parlament für die Konferenz ausgegebene Marschrichtung, den Temperaturanstieg in diesem Jahrhundert auf zwei Grad zu begrenzen, ist ein überaus ambitioniertes Unterfangen.
Norwegen will bis Mitte des Jahrhunderts seinen CO2-Ausstoß auf Null bringen, und die neuseeländische Premierministerin Helen Clark kündigte für 2025 eine Stromproduktion an, die sich vollständig aus erneuerbaren Energien speist. Der französische Präsident Nicolas Sarkozy fordert von dem Konvent in Indonesien ein konkretes Ziel für den Abbau von Treibhausgasen: "Die Vorgabe von minus 50 Prozent bis zum Jahr 2050 muss absolute Priorität haben." Kanzlerin Angela Merkel überraschte jüngst mit ihrer Idee, weltweit die Kohlendioxidemission auf zwei Tonnen pro Kopf zurückzufahren - sozusagen eine klimapolitische Kopfpauschale. Eine im deutschen Umweltministerium erarbeitete Analyse des Kyoto-Prozesses sieht die Industrieländer in der Pflicht, die Abgabe von Klimagasen bis 2050 um 60 bis 80 Prozent zu vermindern. In den Verhandlungsleitlinien von SPD-Ressortchef Sigmar Gabriel für Bali heißt es, global müssten die Emissionen der Treibhausgase bis 2050 im Vergleich zu 1990 "mindestens halbiert werden".
Auch die Fraktionen im Bundestag beziehen Position. Für Katherina Reiche, Vizevorsitzende bei CDU/CSU, wird sich auf Bali entscheiden, ob sich die Weltgemeinschaft auf ein gemeinsames Vorgehen beim Klimaschutz "verpflichten" lasse. Merkels Vorstoß, den Pro-Kopf-Ausstoß beim Kohlendioxid als Maßstab zu diskutieren, sei ein "wichtiges Signal" für Schwellen- und Entwicklungsländer. Der SPD-Abgeordnete Frank Schwabe verlangt, in Indonesien auf jeden Fall über langfristige Ziele bei der Reduzierung der Kohlendioxidemissionen über 2020 hinaus zu diskutieren. Deutschland müsse sich auf ein 80-Prozent-Ziel bis 2050 festlegen.
Der FDP-Umweltpolitiker Michael Kauch sieht die USA in der Pflicht, sich in einen neuen Kyoto-Vertrag endlich verbindlich einzubringen. Für den Transfer ökoverträglicher Energietechnik in die Dritte Welt müsse mehr privates Kapital mobilisiert werden. Oskar Lafontaine, Chef der Linksfraktion, präsentiert ein Konzept für einen globalen Emissionshandel: "Die industriestarken Länder kaufen den ärmeren Staaten Emissionsrechte ab. Mit dem Geld können dort klimafreundliche Projekte finanziert werden" , schlägt er vor. Nach Meinung der Grünen kann Bali "nur gelingen, wenn Deutschland und Europa entschlossen vorangehen", so die Fraktionsvorsitzende Renate Künast und ihre Stellvertreterin Bärbel Höhn: Es muß "Schluss sein mit gegenseitigen Schuldzuweisungen, Hinhalten und Blockaden".
Die üppig ausstaffierten Forderungskataloge lassen indes leicht vergessen, dass zunächst einmal die Debatte über die Umsetzung auf den Weg gebracht gebracht werden muss. Ein "starkes Verhandlungsmandat" zu vereinbaren, bedeute "ein hartes Stück Arbeit", so Gabriels Sprecher Michael Schroeren. Aus Sicht Achim Steiners kommt der Bundesrepublik auf Bali eine Schlüsselrolle zu: Länder, "die mit gutem Beispiel vorangehen", könnten "sehr wohl die politische Diskussion beeinflussen", meint der Direktor des UN-Umweltprogramms. Immerhin hat Reisediplomatin Merkel in den USA, Indien und China schon mal gut Wetter zu machen versucht, um auch diese Nationen zur Senkung ihres Kohlendioxidausstoßes zu animieren.
Gabriel sieht sich für Indonesien gut gerüstet: Mit der Absicht, die Emissionen schon bis 2020 um 40 Prozent zu vermindern, "ist Deutschland international Klimaschutzvorreiter". Die EU peilt bis 2020 ein Minus von 20 bis 30 Prozent an. Nicht von ungefähr will das Bundeskabinett zwei Tage nach dem Auftakt auf Bali im Kabinett auf der Basis der Beschlüsse von Meseberg ein weitreichendes "Klimapaket" verabschieden, das etwa die Kraft-Wärme-Kopplung, die erneuerbaren Energien oder das Energiesparen forcieren soll. Gabriel: "Am Beispiel Deutschland können wir deutlich machen, dass Klimaschutz, Wachstum und Wohlstand sehr wohl zusammenpassen".
Diese Botschaft richtet sich an die Entwicklungsländer, die für eine Mitwirkung an einem auf ambitionierte klimapolitische Ziele ausgerichteten Verhandlungsprozess gewonnen werden müssen. In der Dritten Welt sieht man zunächst die Industrienationen in der Verantwortung, den Kohlendioxidausstoß spürbar zu reduzieren: Schließlich hat in erster Linie der reiche Norden die Erderwärmung vorangetrieben. Nun fürchtet der arme Süden, zu massiven Auflagen bei Treibhausgasen verdonnert und damit in der wirtschaftlichen Entwicklung gehemmt zu werden. In dieser angespannten Situation "wollen wir auf Bali den Eisbrecher spielen", so Schroeren: Berlin ist bereit, den Einsatz umweltverträglicher Energietechnik in der Dritten Welt finanziell großzügig fördern. Gabriel: "Wir haben 120 Millionen Euro Hilfsgelder im Gepäck. Die EU will bei den Verhandlungen für Kyoto II auch die Abholzung von Ur- und Regenwäldern in Entwicklungsländern thematisieren. UN-Klimadiplomat de Boer: "Die Rodung von Naturwäldern und der damit verbundene Verlust dieser Kohlenstoffspeicher ist für ein Fünftel der Treibhausgas-Emissionen verantwortlich." 80 Prozent des Tropenwalds werden abgeholzt, um Feuerholz zu gewinnen. Da ist der Norden gehalten, in der Dritten Welt erneuerbare Energien als Alternative zu puschen.
Angesichts der Erfahrungen in Deutschland, wo der Emissionshandel etabliert ist, lassen sich Forderungen nach einem internationalen Kohlenstoffmarkt von 2013 an leichthin erheben. Die Bereitschaft zu Gesprächen über ein solches Modell muss erst einmal herbeiverhandelt werden. Ohne die USA macht das aber keinen Sinn. Ohnehin ist die Mitwirkung Washingtons an Kyoto II der zentrale Knackpunkt auf Bali. Zwar hat die US-Regierung signalisiert, sich in eine UN-Klimapolitik einzubringen. Aber wie? Bislang ist in Washington wenig Neigung zu erkennen, sich auf Gespräche über verpflichtende internationale Ziele bei der Verminderung von Treibhausgasen einlassen zu wollen.