Genau vor 35 Jahren wurde erstmals eine Frau an die Spitze des Parlaments gewählt. Vier Jahre hielt die Sozialdemokratin Annemarie Renger das Zepter. "Vielleicht kann gerade die Tatsache, dass einer Frau zum ersten Male in der deutschen Geschichte das Amt des Parlamentspräsidenten übertragen worden ist, dazu beitragen, Vorurteile abzubauen", machte sich die frisch gebackene Inhaberin des formal zweithöchsten Amtes im Staat für die Frauen stark.
Während ihrer Amtszeit bemühte sich Annemarie Renger um Kontakte zum polnischen und israelischen Parlament. Die Sozialdemokratin leitete außerdem die erste Parlamentarierreise in die Sowjetunion. Auch die "ewige Baustelle Parlamentsreform" machte während ihrer Amtszeit Fortschritte: Der Petitionsausschuss wurde im Grundgesetz verankert und die Neuwahltermine neu geregelt, so dass parlamentslose Zeiten nach Bundestagsauflösungen vermieden wurden.
Das Mitglied des konservativen Seeheimer Kreises der SPD wurde als Annemarie Wildung am 7. Oktober 1919 in Leipzig geboren. Das staatliche Gymnasium musste die Schülerin wegen der SPD-Tradition ihrer Familie verlassen und lernte Verlagskauffrau. 1945 wechselte sie als Sekretärin in das Büro des SPD-Vorsitzenden Kurt Schumacher nach Hannover und wurde zu seiner engsten Vertrauten. Von 1953 bis 1990 war Renger Abgeordnete im Bundestag, Mitglied im Präsidium der SPD und parlamentarische Geschäftsführerin der Sozialdemokraten. Als 1976 Karl Carstens zum Bundestagspräsidenten gewählt wurde, wechselte sie auf den Vize-Posten, den sie bis 1990 inne hatte. 1979 kandidierte Annemarie Renger bei der Wahl zum Bundespräsidenten, musste sich aber Karl Carstens geschlagen geben. Sie trägt unter anderem das Große Bundesverdienstkreuz und lebt heute in Bonn.