Konvertiten
Eine junge deutsche Frau tritt zum Islam über. Sie suchte den Sinn ihres Lebens und hat ihn gefunden.
Der Gesang kam aus einer fernen Welt. Sie versank in diesem unbekannten Rhythmus, wurde von ihm mitgetragen. Erfüllt. Noch nie hatte sie so etwas gehört. Die Klänge veränderten Katharinas Leben: Es waren Koranrezitationen, aufgenommen auf eine CD, die sie durch Zufall bei ihrer türkischen Mitbewohnerin hörte.
Vier Jahre ist das "Aha-Erlebnis" her, seitdem hat sich sehr viel im Leben der jungen Frau verändert. Aus Katharina ist Hajar geworden, aus der katholisch getauften Frankfurterin mit aschblondem Haar eine Muslima mit langem Gewand und verhülltem Haupt. Aus dem Single die Ehefrau eines Mannes aus Marokko und die Mutter einer neun Monate alten Tochter.
Katharinas Weg zum Glaubenswechsel - also zur Konversion - verlief über die Universitätsbibliothek. Dort stellte sich die junge Frau ihre Lektüre zusammen, um sich über den Islam zu informieren. So habe sie sich "ein objektives Bild" machen können. Außer zu ihrer türkischen Mitbewohnerin hatte die Studentin bis dahin keinen Kontakt zu Muslimen. Katharina hat ihre eigene Auslegung des Islams entdeckt und hat sich für die Rechtsschule der Salafiten entschieden. Sie trägt ein schwarzes Gewand und ein schwarzes über die Schultern hängendes Kopftuch - das symbolisiert ihre Zugehörigkeit zu dieser Gruppe. Es ist nicht selbstverständlich, dass sich Hajar offen dazu bekennt. Gerade hierzulande geben sich die Anhänger dieser Rechtsschule nicht gerne als solche zu erkennen, weil Salafiten mit Terror und Gotteskriegern in Verbindung gebracht werden. Gewaltbereite, radikale islamische Gruppierungen berufen sich nämlich auch auf die Salafiyya, die buchstabengetreue Auslegung des Korans.
Salafitin zu sein bedeutet für Hajar, "sich möglichst eng an die Vorbilder zu halten" und den Islam "fundamentalistisch im positiven Sinne auszulegen". Sie gestalte ihre Gottsuche so, wie es traditionell üblich gewesen sei: über den direkten Bezug zu Gott. Hajar sagt, dass sie mit dem Bewusstsein lebe, "dass Gott präsent ist" und sie bei allen ihren Handlungen sehe. Als sehr wohltuend empfinde sie es, dass Gott über sie wache.
Die junge Frau sitzt im karg eingerichteten Wohnzimmer und spricht von ihrer Familie, ihrer Kindheit. Sie hat Abitur gemacht und in Marburg Politik, Soziologie und Russisch studiert. Nach dem Glaubenswechsel hat sie Studienort und Fächer gewechselt. Statt Russisch belegt sie jetzt in Frankfurt Seminare in Islamwissenschaften und Orientalistik.
In den Medien kursiert die Nachricht, dass immer mehr Menschen zum Islam übertreten. Angeblich stieg die Zahl im Jahr 2005 von 1000 auf 2000 im Jahr 2006. Nachweisbar sind die Angaben jedoch nicht, denn die einschlägigen Verbände erklären, keine Daten über Konversionen zu haben.
Nicht eindeutig zu beantworten ist auch die Frage nach den Gründen für den Übertritt zum Islam. "Das ist doch von Mensch zu Mensch unterschiedlich", meint Hajar. Sie könne schwer in Worte zu fassen, was sie an dieser Religion faszinierte, sagt die junge Frau und versucht es: "Dass es keine Vermittler gibt, dass der Gottesbezug ein direkter ist, dass der Islam einfach und klar strukturiert ist..." Hajar mutmaßt, dass ihr Leben möglicherweise einen anderen Verlauf genommen hätte, wenn ihre Begegnung mit dem Christentum erfüllter ausgefallen wäre.
Katharina wuchs als Einzelkind in einem Stadtteil auf, in dem sowohl Arbeiter- als auch Mittelschichtfamilien wohnten. Ihre Eltern ordnet sie selbst der "unteren Mittelschicht" zu. Der Vater war Busfahrer, ihrer Mutter arbeitet als Sprechstundenhilfe in einer Arztpraxis. Das Verhältnis zu ihren Eltern beschreibt sie als entspannt. Daran, betont sie, hat sich auch nach der Konversion nichts geändert. In der Familie spielte Religion kaum eine Rolle. Zur Kommunion ging sie trotzdem: "Das machte man halt so in unserem Umfeld."
An die Zeit in der katholischen Kirchengemeinde hat sie keine guten Erinnerungen. "Das waren keine freundlichen, offenen Menschen", sagt Sie habe gespürt, dass die Kinder nicht gleich behandelt wurden. Bei wichtigen Gottesdiensten zum Beispiel durfte sie nicht Messdiener sein. "Weihnachten und Ostern wurden die Kinder aus besseren Elternhäusern ausgewählt", erinnert sich die 24-Jährige. Sie war "elf oder zwölf", als sie aufhörte, an Gott zu glauben. Ihre Abkehr bringt Hajar rückblickend mit ihrer besten Freundin in Verbindung. Die Tochter eines aus dem Iran geflüchteten Ehepaars habe ihre Zweifel bestärkt.
Als Pubertierende begann Hajars Interesse an philosophischen Fragen. Sie habe als Jugendliche immer wieder das Gefühl gehabt, dass ihr etwas fehle. "Ich hätte aber nicht sagen können, was es ist", erzählt die junge Frau und zieht ihr Tuch noch enger um sich. Katharina begab sich auf die Suche nach dem Sinn des Lebens, suchte den Kontakt zur jüdischen Gemeinde Frankfurt, fühlte sich dort aber nicht ernst genommen. Sie widmete sich dem Buddhismus, wandte sich wieder ab und fand im Islam die Religion, die ihr Leben wieder ins Gleichgewicht brachte.
Eigentlich ist Hajar es leid, Auskunft über ihre seelische Verfassung vor und nach der Konversion zu geben, über ihr Selbstbild als Frau und ihre Einstellung zu diesem Staat. Letztlich, so berichtet Hajar, trifft sie wie viele andere Konvertiten auch immer wieder auf Vorbehalte. Diese Menschen könnten nicht normal sein, mit ihnen stimme etwas nicht, seien die gängigen Vorurteile. "Konvertierte gelten als psychisch krank, als Menschen, die ihre Probleme über die Konversion kompensieren", sagt Hajar. Als "krank" empfindet sie sich keineswegs. Welches ihr unbekanntes Problem es auch immer gewesen sei, das sie zur Konversion gebracht habe, schlecht sei es für sie nicht. "Ich bin glücklich und fühle mich wohl."
Zum Islam übergetretene Deutsche gelten als gefährlich. Das weiß Hajar spätestens seit der Festnahme zweier deutscher Konvertiten als mutmaßliche Terroristen im September und seit der Anregung des CSU-Politikers Günther Beckstein, Religionsübertritte zu überwachen. Konvertiten neigten dazu, "sich durch besonderen Fanatismus der neuen Religion als würdig erweisen zu wollen", erklärte Beckstein. Hajar sieht sich nicht als "Vaterlandsverräterin" und es kränkt sie, als Gefahr für die Mitmenschen zu gelten. Und sie empfindet es als ärgerlich, dass ihre Konversion mit einem Mann in Verbindung gebracht wird. Als sie ihren Entschluss fasste, zum Islam überzutreten, gab es ihren muslimischen Ehemann noch nicht in ihrem Leben.
Hajar, damals noch Katharina, lernte Amir 2004 während eines Studentenjobs in einer Brezelfabrik kennen. Die beiden standen sich am Band gegenüber und irgendwann funkte es. Sie kamen sich näher und er half ihr schließlich dabei, eine islamische Einrichtung zu finden, wo sie die Schahada, das Glaubensbekenntnis zum Islam, ablegen konnte. Vor zwei Jahren haben Amir und Hajar geheiratet. In einer Drei-Zimmer-Wohnung in Frankfurts multi-ethnischem Stadtteil Gallus hat die Familie ihr Zuhause. Beide studieren noch und bestreiten gemeinsam mit Jobs den Lebensunterhalt. Wenn Hajar arbeiten muss, kümmert sich ihre Mutter um Tochter Hafza. Das nächste Kind kommt - "Inschallah - So Gott will" - im Mai nächsten Jahres.
Wenn Hajar es sich aussuchen könnte, dann würde sie viel lieber in Marokko leben. Das Ehepaar denkt über eine Übersiedlung nach. Dort, so glaubt Hajar, werde sie keinen öffentlichen Schmähungen mehr ausgesetzt sein. Auf die Heimat ihres Mannes, der 2001 zum Studieren nach Deutschland kam, sind alle ihre Wünsche konzentriert. Aus der Not heraus, denn in ihrer Heimat Deutschland sieht Hajar für sich keine Zukunft.