Porträt
Ömer Özsoy ist der erste muslimische Theologieprofessor auf einem deutschen Lehrstuhl
Den Koran stets im historischen Kontext begreifen und zeitgemäß interpretieren - so ließe sich die Kernbotschaft von Professor Ömer Özsoy zusammenfassen. Seit 2006 ist der aus dem türkischen Kayseri stammende Koranexperte erster muslimischer Theologieprofessor auf einem deutschen Lehrstuhl. Ein Novum ist auch, dass dieser Lehrstuhl an der Johann Wolfgang Goethe-Universität in Frankfurt am Main im Fachbereich evangeliche Theologie ange-siedelt ist.
Allein die Titel seiner Veranstaltungen lassen vermuten, dass es sich bei Özsoys Seminarangebot um keinen gewöhnlichen islamwissenschaftlichen Unterricht handelt - etwa: "Die Sprache des Korans zwischen Mündlichkeit und Schriftlichkeit" oder "Das geistige Erbe des Islam und die Herausforderungen der Moderne".
Der 43-jährige Theologieprofessor, der an der Universität in Ankara Theologie studierte, dort auch promovierte und im Jahr 2004 Professor Koran-Exegese wurde, ist offen für eine moderne Islaminterpretation, jenseits strikt buchstabengetreuer, traditioneller Auslegungen des Korans und des geistigen Erbes der Religion.
"Ich gehe davon aus, dass die Muslime von Beginn an den Koran als etwas Historisches und Mündliches angesehen und wahrgenommen haben", erklärt Özsoy. Der Koran sei kein Text, sondern eine Rede Gottes an eine bestimmte Gruppe von Menschen in der Vergangenheit. "Das hätte nicht anders sein können, weil die ersten Muslime, die ersten Adressaten des Korans, den Koran als solches erlebt haben, sie haben als Zeitgenossen des Propheten die Offenbarung miterlebt." Nur etwa zehn Prozent dessen, was der Koran aussagen will, ließe sich tatsächlich auch im Text finden, der Rest sei vor dem Hintergrund der jeweiligen Zeit interpretationsbedürftig, so Özsoy.
Der Koran wird von Özsoy daher nicht als zeitlos und universell gültig betrachtet. tes an eine bestimmte Gruppe von Menschen. Mit dieser historisch-kritischen Sichtweise eckt der Koranexperte denn auch bei konservativen Muslimen an.
Ömer Özsoy gehört zur so genannten "Schule von Ankara" - eine der wichtigsten reformislamische Strömungen, die seit Mitte der 90er-Jahre an der Universität Ankara entstanden ist. Die Gelehrten der "Ankaraner Schule", die von der türkischen Religionsbehörde "Diyanet" gefördert werden, greifen auf eine hermeneutische Methodik zurück, den alten Offenbarungstext im neuen Kontext der Moderne zu begreifen.
Seitdem Özsoy 2006 im Fachbereich evangelische Theologie der Uni in Frankfurt Stiftungsprofessor wurde, ist das Interesse an seinen Forschungs- und Lehrmethoden sprunghaft gestiegen. Ein türkischstämmiger Student berichtet: "Ich will so viele Veranstaltungen wie möglich von ihm besuchen, weil die Richtung, die er vertritt, nicht unbedingt der Richtung der Mehrheit der Muslime in der islamischen Welt entspricht. Hier wird der Versuch unternommen, den Historismus, der in Europa im 19. Jahrhundert entstanden ist, auch auf den Koran anzuwenden, um so eine neue Interpretation zu schaffen." Und ein anderer Student fügt hinzu: "Ich will später, wenn ich mein Lehramtsstudium fertig habe, als Gymnasiallehrer auch islamischen Religionsunterricht an Schulen erteilen."
Zwar sieht der Magisterstudiengang "islamische Religion" im Rahmen der Stiftungsprofessur in Frankfurt keine spezielle Fortbildung zum Imam oder Seelsorger vor. Auch werden hier keine Lehrer für den islamischen Religionsunterricht ausgebildet, wie etwa am "Centrum für religiöse Studien" an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster, wo ein Master-Studiengang der "Islamischen Theologie" eingerichtet wurde. Doch nicht wenige Studenten aus Özsoys Seminaren belegen im Anschluss an den Magisterstudiengang eine zusätzliche Ausbildung für den islamischen Religionsunterricht.
Neben Özsoys Forschungs- und Lehrtätigkeit soll der Koranexperte aber auch den interreligiösen Dialog zu den Kollegen anderer Glaubensrichtungen im Fachbereich Evangelische Theologie intensivieren. Hierzu sei es höchste Zeit, denn noch immer werde von deutscher Seite ein geeigneter muslimischer Ansprechpartner gesucht, der Dialog stecke gegenwärtig in der Sackgasse, meint Özsoy: "Auf der einen Seite gibt es gut gebildete christliche Theologen, die über den Islam studiert oder promoviert haben und auf der anderen Seite einfache Arbeiter oder - in den besten Fällen - Ingenieure oder Ärzte, die mit dem Islam von Herzen verbunden sind und sich dazu zuständig fühlen. Doch das ist kein Dialog", sagt er. Die Diskussion verlaufe nicht auf derselben Augenhöhe; die christliche Seite beklage sich zudem darüber, dass ihnen geeignete, ausgewiesene Partner fehlen. "Aber", so macht er sich und anderen Hoffnung, "vielleicht werden die Lehrstühle in Münster, Erlangen und hier bei uns, mittelbar oder unmittelbar dazu beitragen."
Der Autor ist Islamwissenschafter und Redakteur des Internetportals Qantara.de - Dialog mit der islamischen Welt.