Aiman A. Mazyek
über die Etablierung einer modernen islamischen Religionsgemeinschaft in Deutschland.
Sie sind seit vergangenem Jahr Generalsekretär des Zentralrats der Muslime in Deutschland. Was ärgert Sie an der deutschen muslimischen Community?
Viel zu wenige von uns nehmen die Herausforderung an, die dieses Land ihnen bietet. Seriöse Untersuchungen belegen zwar: Muslime werden wieder verstärkt diskriminiert, ob bei der Suche eines Arbeitsplatzes oder der Wohnung. Resignation ist und darf aber nicht die Antwort sein. Oftmals flüchten sie in eine Parallelwelt, ziehen sich reflexartig in die Opferrolle zurück. Das macht alles sehr schwierig.
Persönlich engagieren Sie sich neben ihrer Generalsekretärs-Aufgabe auch in der FDP. Warum?
Ich engagiere mich in meiner Gesellschaft und übernehme selbstverständlich Verantwortung - und mache da keinen Unterschied, ob ich mich in meiner Moscheegemeinde befinde oder außerhalb davon. Wichtig ist, dass wir Muslime uns für das Wohlergehen unseres Landes einsetzen, dabei ist es egal, ob er oder sie sich in einer Menschrechtsorganisation engagiert, in eine Partei oder zur Gewerkschaft geht - Hauptsache, jemand ist aktiv und engagiert sich für die eine Gesellschaft, denn eine andere haben wir nicht.
Aber warum konnte gerade die FDP Sie gewinnen?
Dort habe ich eine geistige Heimat. Die Partei entstammt einer Bürgerrechtsbewegung und hat ein neutrales Verhältnis zu allen Religionen. Für mich hat zudem ein Rolle gespielt, dass der mittlerweile verstorbene Vorsitzende des Zentralrats der Juden in Deutschland, Ignatz Bubis, dort aktiv war. Er hatte für mich eine Vorbildfunktion, indem er sich einerseits für das jüdische Leben hierzulande einsetzte und andererseits parteipolitisch aktiv war. Das hat mir als Jugendlicher imponiert.
Was erwarten Sie von der Politik, vom Staat?
Ich erwarte, dass den Sonntagsreden von Integration Taten folgen. Für mich ist die allumfassende Frage: Wie kriegen wir es hin, im 21. Jahrhundert auf dem Boden des Grundgesetzes eine moderne islamische Religionsgemeinschaft hierzulande zu etablieren? Das hat nichts mit Multikulti-Träumen von damals zu tun, wo man sich mit Döner und Raki bis in die Morgenstunden in den Armen lag.
Wie kommen Sie mit ihrem Anliegen voran?
Leider wird die Arbeit immer wieder von tagesaktuellen Ereignissen wie Terroranschlägen und islamistischen Hassbotschaften überschattet, aber auch durch Verteilungsängste- und kämpfe unter verschiedenen Religionsgemeinschaften. Wir haben bislang nur einen einzigen muslimischen Lehrstuhl in Deutschland, an der Universität Münster. Wir brauchen dringend weitere. Wir reden seit zwei Jahrzehnten davon, muslimischen Religionsunterricht in deutscher Sprache und unter deutscher Schulaufsicht einzurichten. Das ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Wir benötigen dringend deutschsprachige Imame für unsere Moscheen.
Die Distanz zwischen den Religionen war nicht immer so groß. Früher war es beispielsweise in Köln üblich, dass Muslime christliche Kirchen zur Verfügung gesellt bekamen, damit sie dort ihr Freitagsgebete abhalten konnten.
Naja, zum Teil gibt es das heute sogar immer noch. Uns nervt aber der erhobene Zeigefinger mancher Offizieller in der Amtskirche gegenüber den Muslimen. Erstens sollten diese vor ihrer Tür kehren, denn dort gibt es genug zu tun. Und zweitens ist mir sehr wohl bewusst, dass in unserer muslimischen Community noch eine Menge zu ordnen und zu verbessern ist. Aber in unsere Kassen fließt zum Beispiel kein Cent Kirchensteuer oder Staatsgeld. Es wird alles aus privater Hand bezahlt.
Ganz grundsätzlich müssen die Muslime aber theologisch in ihrer Entwicklung noch einiges aufholen.
Dann war doch die Aufforderung der evangelischen Landesbischöfin Käßmann, richtig, als Sie meinte der Islam brauche einen Reformer…
… sie hat aber gleichzeitig auch gesagt, dass dies alleine von den Muslimen ausgehen sollte. Aber mir scheint, dass es ihr um etwas ganz anders ging. Der Islam fungiert selbst in der evangelischen Kirche als medialer Eye-Catcher. Es ist doch schon höchst sonderbar, dass eine Frau Käßmann sich am Tag der Reformation, einer der höchsten Feiertage der Protestanten, den Kopf über Muslime zerbricht.
Aber inhaltlich sind Sie ihrer Meinung?
Die Muslime sind vielerorts in ihrer geistigen Entwicklung vor 300 Jahren stehen geblieben. Während die europäische Aufklärung den Staffelstab übernommen hat, mit allen ihren nachhaltigen Entwicklungen, ist die islamische Geistesgeschichte zum Teil auf uraltem Stand. Die Konsequenz kann ja nicht sein, dass wir das Rad der Geschichte zurück drehen. Sondern wir müssen den Anschluss finden, die geistigen Errungenschaften des Westens mit aufnehmen. Dazu gehört auch die Demokratie. Sie ist gegenwärtig die beste Staatsform.
Im neuen Zuwanderungsgesetz sind höhere Hürden eingebaut worden. Die Antragsteller müssen Deutschkenntnisse nachweisen...
Gegen höhere Zumutbarkeit ist nichts einzuwenden. Jedes Land hat ein Recht, die Kriterien selber fest zu machen. Doch sie müssen für alle Einwanderer gleich hoch sein. Es kann nicht sein, dass ein Türke mehr Hürden zu nehmen hat als ein Australier.
Was hat die Islamkonferenz gebracht?
Es war höchste Zeit, dass der Staat mit und nicht über Muslime spricht. Das ist ohne Zweifel das Verdienst der Islamkonferenz. Aber es fehlt ihr eine Road-Map. Es ist nicht klar, wo wir hin wollen. Ich erwarte von der Bundesregierung bei der Anerkennungsfrage mehr, als nur Diskussionen zu moderieren. Der Staat braucht verlässliche muslimische Partner, an denen niemand zweifelt. Bei der Etablierung dieser Partner sollten die muslimischen Verbände aber nicht klein und nichtig geredet werden - und zwar gerade eingedenk der Tatsache, dass noch viel in Sachen Struktur und Transparenz bei uns zu leisten ist.
Haben Sie im Bundesinnenminister einen Bruder im Geiste?
Wir wissen, dass Herr Schäuble viele interne ministerielle Interessen zu bedienen hat, das ist nicht immer leicht. Aber sein Ministerium wird nach drei Jahren Islamkonferenz inhaltlich besser aufgestellt sein als jetzt, wo Islamthemen vor allem aus dem Blickwinkel der Sicherheitspolitik verstanden werden. Sicherheitsgesetze werden nie eine vernünftige Integrationspolitik oder Islampolitik ersetzen können.
In dem neuesten Drohvideo der "Globalen islamischen Medienfront" wird das Logo des Zentralrats der Muslime gezeigt und auch Ihr Bild wird eingeblendet. Sie werden zum Feind erklärt. Haben Sie Angst?
Ja, aber das ist natürlich. Die Sicherheitsbehörden müssen entscheiden, ob Konsequenzen gezogen werden müssen - auch für einzelne Vertreter muslimischer Organisationen in Deutschland. Diesen Menschen geht es nicht um den Islam, sondern darum, Hass unter den Religionen zu säen.
Was tun die muslimischen Gemeinden, gerade nach der Verhaftung der mutmaßlichen Täter von Neu Ulm, um gefährliche Personen zu entlarven?
Die Gemeinden müssen sich mit dem Extremismus, mit dem Missbrauch des Islam als Ideologie, wesentlich mehr auseinandersetzen, als bisher. Geleistete Distanzierungen, öffentliche Erklärungen bis hin zu Demonstrationen aller muslimischen Organisationen sind gut. Aber besonders unsere Gelehrten und Wissenschaftler müssen sich noch mehr mit einem gefährlichen Einzug von Nihilismus in die islamische Geisteswelt auseinandersetzen, der seinen Nährboden in einem tief sitzenden Minderwertigkeitskomplex findet und dessen Überkompensierung zum Irrweg des Terrors führt.
Wie sollen die Gemeinden die Extremisten denn erkennen?
Wir schulen unsere Mitglieder mit Lehrgängen und Internetmaterialien. Ähnlich wie beim Kampf gegen Rechtsextremismus, zeigen wir, wie man diese Leute erkennt und gegebenenfalls entlarvt. Was ist an den Biografien von den Attentätern aus Neu Ulm exemplarisch? Wo wird der Koran missbräuchlich zitiert und wie ist der entsprechende Vers richtig zu interpretieren? Es muss klar sein, dass die Frontlinie nicht zwischen dem Islam und dem Westen verläuft. Muslime und Nichtmuslime müssen gegen Extremisten kämpfen. Wenn im Koran eindeutig Mord und Selbstmord für verboten erklärt wird, und einige immer noch Selbstmordattentate für legitim halten, dann haben sie ein gewaltiges Problem mit den Islam, weil sie sich gegen ihn stellen.
Für viele Deutsche ist das Kopftuch ein Symbol der Unterdrückung, es wird als politisches Statement verstanden. Wie verstehen Sie es?
Wir müssen sehen, dass wir nicht zu einfache Bilder aufmachen, die lauten: Die Muslima mit Minirock ist eine moderne Muslima und die Muslima mit Kopftuch ist eine rückständige, nicht emanzipierte Frau.
Es ist eine Frage der Religionsfreiheit, den Menschen zu überlassen, wie sie sich selbst kleiden wollen. Fakt ist auch, dass wir zur Zeit eine stete Zunahme von Diskriminierung junger beruflich aufstrebender gläubiger Muslimas mit Kopftuch in unserem Land haben, was mit Gleichberechtigung der Geschlechter rein gar nichts zu tun hat. Und wenn wir es ernst meinen mit Muslima, die Verantwortung in der Mitte der Gesellschaft übernehmen wollen - ich denke an Lehrerinnen und Juristinnen -, dann ist es nicht klug und rechtlich ohnehin falsch, sie wegen des Kopftuches zu verbannen.
Was haben junge Mädchen in engen bauchfreien T-Shirts und mit Kopftuch eigentlich mit dem Gedanken der Keuschheit zu tun....
Ich glaube nicht, dass bei diesen Mädels ein großartiges Islamverständnis dahinter steht. Da wird das Kopftuch als Fetisch verstanden. Und das lehne ich sowieso ab. Aber für viele andere Muslima steht ein religiöses Gebot dahinter. Im Übrigen bin ich der Meinung, dass wir - auch die Muslime - dem Kopftuch viel zu viel Bedeutung zu messen, die es im Islam eigentlich gar nicht genießt. Wir kennen die fünf Säulen des Islam, die ihn in Gänze beschreiben. Manchmal habe ich das ungute Gefühl, dass auch Muslime gerne das Kopftuch zur sechsten Säule machen würden. Das ist absurd.
Das Interview führte Annette Rollmann. Sie arbeitet als freie Journalistin in Berlin und hat, in Koordination mit der Redaktion, das Konzept dieser Themenausgabe erarbeitet.