Arbeitsalltag
Der Türke Asim Altuntas und die Marokkanerin Samya Bousmaha haben sich erfolgreich in ihren Berufen etabliert. Ein Bericht aus der Praxis.
Polster. Wo man hinblickt, sieht man Schaumstoffpolster. Hellblau, rosa und weiß. Quadratisch, rund und trapezförmig. Häusliche Kuscheligkeit will sich dennoch nicht einstellen. Ein leicht beißender Industriegeruch und das Röhren von Maschinen vertreiben sämtliche Gedanken an Heimeligkeit. Und trotzdem ist die Fabrik für Asim Altuntas ein Ort, an den er jederzeit gerne kommt: "In der Arbeit fühle ich mich wie im eigenen Haus."
Seit 20 Jahren arbeitet Altuntas bei dem Polstermöbelhersteller Himolla im oberbayerischen Taufkirchen an der Vils. Der 41-jährige Türke hat sich in der Abteilung Schnittschaum hochgearbeitet - mit Disziplin und Ausdauer: vom einfachen Bandmesserschneider zum Zeichner, vom Zeichner zum Vorarbeiter. Er ist der einzige türkische Mitarbeiter unter 850 Kollegen, der einen leitenden Posten besetzt.
Die Kollegen begegnen ihm mit Respekt. "Der Wille zur Integration muss von einem selbst kommen", betont Altuntas. "Ehrlich muss man sein, korrekt und nett." Mit 13 Jahren kam Altuntas aus der Küstenstadt Ordu am Schwarzen Meer nach Deutschland. Nicht nur die Eindrücke einer fremden Kultur verunsicherten den Jungen, auch der Umzug von der Stadt in eine ländliche Region fiel ihm zunächst schwer. "Aber dann habe ich sehr schnell die Sprache gelernt. Das war mein erster Schritt, hier heimisch zu werden."
Auch Samya Bousmaha hält die Sprache für den Schlüssel zur Eingewöhnung in ein fremdes Land: "Wenn keine Kommunikation da ist, kann man die ganze Sache vergessen." Die 32-jährige Marokkanerin arbeitet seit einem Jahr als Bauingenieurin beim TÜV Süd in München. Weil sie für die Auslandsaktivitäten des Unternehmens auch in Nordafrika zuständig ist, erleichterte ihre Herkunft ihr den Einstieg in den Betrieb. "Dass ich die Mentalität und Sprache dieser Region kenne und die deutschen Maßstäbe beherrsche, hat mir mit Sicherheit geholfen", meint Bousmaha. In ihrer Funktion sitzt sie oft im Flieger, reist durch die Welt.
Aufgebrochen ist Samya Bousmaha erstmals nach ihrem Abitur. Um neue Erfahrungen zu sammeln, kehrte sie ihrer Heimatstadt Marrakesch den Rücken. "Ich habe mich in Europa integriert, um eine neue Kultur und eine andere Mentalität kennen zu lernen." Dabei geholfen, die fremde Sprache schnell zu lernen, hat ihr das Ingenieurstudium an der Technischen Hochschule in Aachen. Bousmaha weiß daher, dass es auch auf das Umfeld ankommt, wenn man im Ausland heimisch werden will. "Eine Putzfrau, die abends mit dem Staubsauer durch leere Büros zieht, hat es schwer, sich zu integrieren. Ihr fehlt der Kontakt zu den Menschen", sagt sie.
Dass sie eine überzeugte Muslimin ist, jeden Tag betet und den Fastenmonat Ramadan einhält, war für Bousmaha kein Hindernis bei der Integration - ganz im Gegenteil: "Mein Glaube hat mir dabei geholfen, mit den Werten, die er vermittelt - Ehrlichkeit, Friedlichkeit und Respekt vor anderen Menschen und Religionen." Für ihre Haltung erntet Bousmaha überall in der Firma Achtung. Wenn sie sich an einem islamischen Feiertag frei nehmen will, gibt es keine Probleme. Als sie an ihrem ersten Arbeitstag ins Büro kam, hatte ihr eine Kollegin Frühstück gemacht. Weil Ramadan war, musste die Muslimin jedoch ablehnen. Beleidigte Blicke erhält sie dafür nicht. Stattdessen schlägt ihr freundliche Neugierde entgegen: "Die Leute fragen nach. Dann erkläre ich ihnen unsere kulturelle Tradition, und alles ist in Ordnung."
Ein Kopftuch, jenes Symbol, das aus westlicher Sicht befremdlich wirkt, trägt Bousmaha nicht. Sie stellt sich jedoch vor alle Glaubensgenossinnen, die es tun. "Die deutschen Kollegen dürfen davor nicht erschrecken und Distanz schaffen", sagt sie. Das Kopftuch sei kein religiöses Symbol. Wenn sie mit Deutschen über das Thema offen spreche, erhalte sie auch Verständnis. Bousmaha betont zugleich: "Weil ich keines trage, heißt das aber nicht, dass ich weniger religiös wäre." Ihre kulturellen Wurzeln leugnet sie nicht: Ihren Schreibtisch zieren eine silberne Schale aus Marokko und eine Kiste aus Aarar-Holz, in der sie Taschentücher aufbewahrt. Wenn in der Kantine nicht gerade über Arbeit gesprochen wird, ist auch Religion ein Thema.
Wenn Asim Altuntas mit seinen Kollegen beim Mittagstisch sitzt, steht eine andere Art von Bekenntnis im Mittelpunkt. "Wir reden vor allem über Fußball", erzählt Altuntas, der als Bayern-Fan gerne über die Anhänger des Lokalrivalen TSV 1860 frotzelt. Seine Religion wurzelt dennoch nicht im Fußballstadion, sondern in Mekka. "Jeder Mensch braucht einen Glauben", sagt er. "Hätte ich keinen, würde ich mich leer fühlen."
In seiner Freizeit geht er in die Moschee. Sobald er aber an seine Arbeitsstätte kommt, lässt er seine religiösen Überzeugungen im Spind des Umkleideraums zurück. "Jedes Schaf wird am eigenen Fuß aufgehängt", zitiert er eine türkische Redensart und erklärt: "Jeder hat seinen eigenen Glauben, den er ausleben soll." Dass er Moslem ist, merken die Kollegen nur daran, dass er in der Kantine kein Schweinefleisch ist.
Dass Religion kein Kriterium am Arbeitsplatz ist, betont auch Josef Folger. Der Abteilungsleiter hat Altuntas vor zwei Jahren zum ersten türkischen Vorarbeiter bei Himolla gemacht. "Es geht nicht um den Glauben, sondern um die Einstellung", betont Folger. "Asim ist fleißig und in seiner Sparte ein Ass. Warum sollte er den Job nicht bekommen, wenn er am meisten kann?" Querelen werden auf dem kurzen Dienstweg geregelt. Wenn es Streit unter den Arbeitern gibt, zitiert Folger die Beteiligten in sein Büro. Dann wird die Auseinandersetzung im Gespräch beigelegt.
Um von dem letzten kulturell geprägten Eklat zu berichten, muss Folger schon im Langzeitgedächtnis kramen. Er selbst habe vor 20 Jahren einmal als Vorarbeiter einen Streit mit einem türkischen Mitarbeiter heraufbeschworen, der gemeinsam mit seiner Frau in dem Werk arbeitete. "Ihre Leistung hat nicht gestimmt. Als ich das dem Ehemann gesagt habe, war er so beleidigt, dass er mir gleich an die Gurgel gehen wollte." Eine Aussprache mit dem Chef bereinigte die Situation.
Eine Anlaufstelle für diskriminierte Mitarbeiter beim TÜV Süd ist die Personabteilung oder der Betriebsrat. Für die Firma ist es eine Selbstverständlichkeit, Beauftragte für solche Fälle zur Verfügung zu stellen. Viel beschäftigt sind sie in dieser Funktion nicht. "Ich habe meinen Beauftragten noch nie gebraucht", sagt Samya Bousmaha, ist aber dennoch froh, dass es ihn gibt. "Er schenkt mir Sicherheit. Ich kann zu jemandem hingehen, falls es tatsächlich Probleme geben sollte."
Für Altuntas ist es vollkommen unvorstellbar, jemals mit einem Mobbing-Beauftragten sprechen zu müssen. Er fühlt sich schon lange in Deutschland aufgenommen. Wird er gefragt, ob er manchmal Heimweh nach der Türkei empfindet, winkt er lachend ab: "Mein Zuhause ist jetzt hier."
Für Bousmaha liegen die Wurzeln zwar immer noch in Marokko. Nach Deutschland gegangen zu sein, bereut sie dennoch keine Minute. "Ich verknüpfe jetzt das Beste aus beiden Welten. Von daheim habe ich die Familienbindung und die Kultur, hier habe ich mir die deutsche Zuverlässigkeit angeeignet." Zu wissen, wo die Wurzeln liegen und dennoch in neue Regionen hineinwachsen - das ist die Lebensphilosophie von Samya Bousmaha: "So lebt man glücklich."
Der Autor ist freier Journalist in München.