Ex-Konsularreferatsleiter: Visa-Missbrauch in Kiew schon Mitte der 90er Jahre
Berlin: (hib/CHE) Schon Mitte der 90er Jahre ist es an der Botschaft in Kiew in erheblichem Umfang zu Visumserschleichungen gekommen. Mit dieser Feststellung begann der ehemalige Leiter des Konsularreferates in Kiew, Nikolai von Schoepf, seinen einführenden Vortrag vor dem Visa-Untersuchungsausschuss am Donnerstagmittag. Nicht nur Touristenvisa, sondern auch die Bereiche der Kontingentflüchtlinge und Aussiedler seien davon betroffen gewesen. Von Schoepf machte dafür "eine Reihe von strukturellen Gründen" verantwortlich, die er im Laufe seines Vortrages näher erläuterte. So beschrieb er ausführlich "die völlig unzureichende räumliche Ausstattung" des weltweit zweitgrößten deutschen Konsulats. Lediglich zwei Quadratmeter hätten jedem Mitarbeiter als Arbeitsplatz zur Verfügung gestanden. "Es waren völlig unmögliche Zustände", sagte er und kritisierte in diesem Zusammenhang "das politische Desinteresse" des Auswärtigen Amtes (AA) unter Außenminister Klaus Kinkel (FDP). Wiederholte Anstrengungen, in Berlin auf eine Beseitigung der Missstände zu dringen, seien erfolglos geblieben. Von Schoepf kritisierte, dass Kinkel die Botschaft in den Jahren seiner Tätigkeit dort, von 1993 bis 1996, nicht besucht habe. Diesen Einwand ließ der FDP-Obmann im Untersuchungsausschuss, Hellmut Königshaus, nicht gelten: "Der Außenminister ist kein Betriebsratsvorsitzender", erwiderte er in gereiztem Ton.
Als zweiten strukturellen Mangel bezeichnete der Beamte die personelle Ausstattung des Konsulats und ging dabei vor allem auf die so genannten Ortskräfte ein, in der Mehrzahl ukrainische Staatsbürger. Kurz nach seinem Amtsantritt habe er mehrere von ihnen entlassen, da sich darunter offenbar Mitarbeiter des ukrainischen Geheimdienstes befunden hätten. Erste Hinweise darauf hätten sich bestätigt, so von Schoepf, als diese Mitarbeiter kurz nach der Entlassung hohe Posten im ukrainischen Geheimdienst besetzt hätten. Auch an dieser Stelle wurde der Zeuge von den Mitgliedern der Oppositionsfraktionen im Ausschuss unterbrochen. Sie kritisierten, dass solche Einzelheiten nichts mit dem Untersuchungsauftrag zu tun haben, der sich vor allem auf die Erlasslage konzentriere. Doch von Schoepf erwiderte: "Es tut mir leid, dass ich Ihnen die Zeit stehle, aber wenn ein Oberst des ukrainischen Sicherheitsdienstes über die Visa-Vergabe in einem deutschen Konsulat entscheidet, halte ich dies durchaus für sehr wichtig."
Einen weiteren Grund, der für die illegale Erschleichung von Visa für die Bundesrepublik verantwortlich sei, sah von Schoepf in der "sehr schwierigen Lage auf der Straße". Vor den Türen des Konsulates habe die ukrainische Mafia erheblichen Einfluss auf die Wartenden ausgeübt: "Zu uns kam nur, wer von der Mafia vorgelassen wurde." Standgebühren von bis zu 200 Dollar habe die Mafia von den Menschen in der Warteschlange erhoben. Auch in diesem Zusammenhang kritisierte der Beamte das Desinteresse des AA: "Wir haben mehrere Berichte über die Situation nach Berlin geschickt, zum Beispiel 1995. Aber es ist nichts geschehen."
Schließlich ging der Beamte noch auf mehrere Grundsatzerlasse des AA aus den Jahren 1993 und 1994 ein. Er bezeichnete die Visumspolitik jener Jahre als nicht "realitätsorientiert" und bemängelte, "dass die Vorgaben die Ermessensentscheidungen vor Ort erheblich einschränkten". Von Schoepf zitierte aus einem Erlass von 1994, der von dem Grundsatz "So viel Reisefreiheit wie möglich, so viel Kontrolle wie nötig" ausgegangen sei. In diesem habe es geheißen, geringe Verdachtsmomente würden nicht ausreichen, um einen Visumsantrag abzulehnen: "Wir waren aber der Meinung, dass in vielen Fällen eine pauschale Ablehnung nötig gewesen wäre."
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