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Renate Gradistanac
Mitglied des Deutschen Bundestages
SPD
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Renate Gradistanac MdB

Das Antidiskriminierungsgesetz

Worum geht es im Antidiskriminierungsgesetz?

Das am 21. Januar 2005 in erster Lesung in den Bundestag eingebrachte Antidiskriminierungsgesetz setzt vier EU-Gleichbehandlungsrichtlinien in einem einheitlichen Gesetz um. Darunter sind zwei Richtlinien, die die Gleichbehandlung von Frauen und Männern betreffen. Verboten werden Diskriminierungen und Benachteiligungen von Menschen aufgrund des Geschlechts, der ethnischen Herkunft, der Religion oder Weltanschauung, des Alters, aufgrund einer Behinderung oder der sexuellen Identität. Der Schwerpunkt des Gesetzentwurfes liegt im Bereich des Arbeits- und Zivilrechts. Vorgesehen ist die Einrichtung einer unabhängig arbeitenden bundesweiten Antidiskriminierungsstelle. Angesiedelt wird sie beim Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. Sie soll Anlaufstelle für alle Menschen sein, die sich wegen eines der genannten Merkmale benachteiligt fühlen. Aufgaben der Antidiskriminierungsstelle sind die Information, Beratung und Vermittlung, die Öffentlichkeitsarbeit, die Durchführung von präventiven Maßnahmen und wissenschaftlichen Untersuchungen sowie die Vorlage von Berichten mit Handlungsempfehlungen an den Deutschen Bundestag.

Frauen bezahlen mehr ...

Bislang bezahlen Frauen wegen höherer Lebenserwartung teilweise höhere Versicherungsbeiträge. Wenn künftig ein Versicherungsunternehmen keine Unisextarife anbietet, muss es dies begründen; die Rechtfertigungsgründe sind an strenge Anforderungen geknüpft. Der Versicherer darf bei Schwangerschaft und Entbindung künftig nicht mehr die Kosten alleine zu Lasten der Frauen ansetzen.

... und verdienen weniger

Wird eine Frau bei gleicher Qualifikation schlechter bezahlt, kann sie künftig leichter dagegen vorgehen.

Was bringt das Antidiskriminierungsgesetz für die Gleichbehandlung von Frauen und Männern?

Das Gesetz schreibt ein zivilrechtliches Benachteiligungsverbot wegen des Geschlechts im Privatrecht (bezogen auf Massengeschäfte und Versicherungen) fest. Das Gesetz verbessert den Schutz bei Mehrfachdiskriminierung und erlaubt es etwa Frauen, eine Klage vor dem Arbeitsgericht an den Betriebsrat abzutreten.

Übererfüllt das deutsche Antidiskriminierungsgesetz die EU-Vorgabe?

Nein, im Arbeitsrecht werden die EU-Richtlinien 1:1 umgesetzt. Im Zivilrecht und bei der geforderten Antidiskriminierungsstelle beschränkt sich die EU bislang auf den Schutz der Merkmale ethnische Herkunft und Geschlecht. Der Gesetzentwurf geht über die Vorgabe hinaus, indem die weiteren Diskriminierungsmerkmale (Religion/Weltanschauung, sexuelle Identität, Behinderung, Alter) einbezogen werden. Eine Beschränkung auf ethnische Herkunft und Geschlecht wäre wirklichkeitsfremd. Wie ließe sich rechtfertigen, dass ein Mensch, der wegen seiner ethnischen Herkunft benachteiligt wird, durch das Gesetz geschützt ist, im gleichen Fall aber nicht der Mensch, der aufgrund seiner Behinderung diskriminiert wird. Ein Beispiel: Bei der Hotelsuche könnte jemand wegen seiner Behinderung oder sexuellen Identität abgewiesen werden, aber nicht wegen seiner ethnischen Herkunft.

Persönliche Vorlieben und Einstellungen dürfen in einer Demokratie nicht per Gesetz geregelt oder verordnet werden!

Aber der Staat hat eine Schutzpflicht gegenüber Benachteiligten. Die Privatsphäre fällt nicht in den Geltungsbereich des Antidiskriminierungsgesetzes. Ein Beispiel: Niemand muss aufgrund des Gesetzes ein bestimmtes Kindermädchen oder Pflegepersonal einstellen.

Zwingt das Antidiskriminierungsgesetz Vermieter dazu, Verträge gegen deren Willen abzuschließen?

Selbstverständlich nicht. Philosophie und Intention des Gesetzes ist nicht der Zwang. Das Gesetz soll schützen und Benachteiligung vorbeugen. In Fällen, in denen ein besonderes Nähe- und Vertrauensverhältnis besteht, gilt das Gesetz nicht. Selbstverständlich entscheidet auch künftig der Vermieter, mit wem er in seinem Haus zusammenwohnen will.

Schränkt das Antidiskriminierungsgesetz Privatautonomie und Vertragsfreiheit ein?

Die Privatautonomie leitet sich von der grundgesetzlich garantierten Allgemeinen Handlungsfreiheit ab, sie findet ihren Ausdruck in der Vertragsfreiheit - der Freiheit, Verträge abzuschließen wie, wann und mit wem man will. Vertragsfreiheit steht allen zu. Das Antidiskriminierungsgesetz schränkt die Freiheit zu benachteiligen ein. Vertragsfreiheit wird auch ohne Antidiskriminierungsgesetz nicht schrankenlos gewährleistet - Verbraucherschutzgesetze, Allgemeine Geschäftsbedingungen und der Kündigungsschutz wirken auf sie ein.

Muss jemand künftig beweisen, dass er nicht benachteiligt?

Nein, diese angebliche Beweislastumkehr gibt es nicht. Das Gesetz setzt die in der EU-Richtlinie vorgeschriebene Beweiserleichterung um. Die bloße Behauptung, benachteiligt worden zu sein, genügt nicht. Es müssen objektive Tatsachen vorgetragen werden.

Provoziert das Antidiskriminierungsgesetz eine Klageflut? Profitieren bloß Anwälte und Verbände? Droht Missbrauch?

Das Verbot von Ungleichbehandlung wegen des Geschlechts in der Arbeitswelt (Paragraph 611 a, Bürgerliches Gesetzbuch) hat keine Klageflut ausgelöst. Der/die Betroffene muss Tatsachen glaubhaft machen, die eine Diskriminierung vermuten lassen; diese Hürde ist hoch und beugt Missbrauch vor. Das Kostenrisiko liegt zunächst beim Kläger/der Klägerin. Das wirkt für unbegründete Klagen abschreckend. Außerdem wird die Antidiskriminierungsstelle dazu beitragen, unnötige Klagen zu vermeiden. Das Gesetz sieht kein Verbandsklagerecht vor; nicht gewerbsmäßig arbeitende Verbände dürfen Betroffene vor Gericht unterstützen oder als Bevollmächtigte für sie auftreten. Missbrauch wird durch eine klare Beweislastregelung vorgebeugt.

Führt das Antidiskriminierungsgesetz zu Rechtsunsicherheit?

Das Antidiskriminierungsgesetz lässt den Gerichten den notwendigen Raum für die Auslegung des Falles im Sinne einer Einzelfallgerechtigkeit. Das Gegenstück wäre eine starre und schwer praktikable Regelung.

Muss ein Arbeitgeber die Verfolgung durch „Graue Panther“ und Frauenverbände fürchten, wenn er per Annonce nach einer „jungen, dynamischen Verkäuferin mit guten Deutschkenntnissen“ sucht?

Das Zuspitzen und Überzeichnen fördert durchaus das Nachdenken über die Sache. Der Arbeitgeber mag die gewünschte junge, dynamische Verkäuferin mit guten Deutschkenntnissen und mit oder ohne Akzent einstellen. Als kluger Arbeitgeber wird er auf den soliden, erfahrenen Mitarbeiter nicht verzichten wollen. Das Antidiskriminierungsgesetz kommt allerdings zur rechten Zeit. Supermarktketten - und nicht nur diese - suchen in Anzeigen offen nach „Mitarbeiterinnen bis 35 Jahren“.

Wozu ein Antidiskriminierungsgesetz?

Die Europäische Union versteht sich nicht nur als Wirtschafts- und Währungsunion, sie ist auch eine Werteunion. Zu diesen Werten zählt die Nichtdiskriminierung. Durch das Gesetz erfährt die Antidiskriminierungskultur in Deutschland einen höheren Stellenwert. Die Antidiskriminierungskultur soll als wesentlicher gesellschaftlicher Wert gesehen werden. Ein Gesetz schützt nicht immer vor Diskriminierung, aber es ermutigt die Benachteiligten sich zu wehren. Das Gesetz gibt gute Instrumente an die Hand, Benachteiligungen aufzugreifen und zu unterbinden. Das Antidiskriminierungsgesetz schützt die Rechte der Bürgerinnen und Bürger. Es stärkt die Menschenwürde.