Keine Antwort
auf Massenbriefe
Renate
Gradistanac kritisiert Kampagne der Privaten
Krankenkassen
Die
SPD-Bundestagsabgeordnete Renate Gradistanac kritisiert die teure
Kampagne der Privaten Krankenkassen gegen die Gesundheitsreform.
„Viele Briefe, die ich erhalten habe, sind Kopien von
Standardmassenbriefen. Ich kann nicht unterscheiden, welche Kopie
oder Abschrift tatsächlich aus Sorge abgeschickt worden ist
oder einfach aus der Bürokratie der privaten Krankenkassen
oder deren Verbände stammt. Meinen vierseitigen Antwortbrief
werde ich deshalb nicht ebenfalls hundertfach kopieren und
verschicken.
Sehr geehrte/r
Frau/Herr
vielen Dank
für Ihren persönlichen Brief! Ich freue mich immer sehr,
wenn sich Bürgerinnen und Bürger einbringen, sich
Gedanken machen, diese zu Papier bringen und mir im Dialog mit
ihrem Wissen und ihren Erfahrungen weiterhelfen. Das ist aktive
Demokratie.
Sehr gern
hätte ich Ihnen individuell auf Ihre persönlichen Fragen,
Kritik oder Anregungen geantwortet. Leider, eigentlich
glücklicherweise, haben mich mehr Briefe erreicht, als sich in
der gebotenen Zeit und inhaltlichen Ausführlichkeit
beantworten lassen.
Sie werden es
nicht glauben: Einige Briefe sind einfach Kopien von
Standardmassenbriefen aus dem Umfeld der privaten
Krankenkassen.
Ein Kollege
berichtete mir sogar, dass er Briefe von Absendern erhalten habe,
die keinen Brief geschickt hatten. Es handelte sich also um
Fälschungen im Massenpostversand. Ich kann also nun nicht mehr
unterscheiden, welche Kopie oder Abschrift tatsächlich aus
Sorge abgeschickt wurde oder einfach aus der Bürokratie der
privaten Krankenkassen oder deren Verbände stammt.
Sicher
können Sie sich meine Verunsicherung vorstellen, wenn mir die
Möglichkeit genommen wird, im Einzelfall zwischen echter und
gestohlener Betroffenheit zu unterscheiden.
Sollten Sie
nun von mir angeschrieben worden sein, ohne selbst überhaupt
an mich geschrieben zu haben, bitte ich um Entschuldigung. Wenn es
Ihnen möglich ist, würde mich ein Hinweis darauf
freuen.
Die sehr
große und teure Aktion der Privaten Krankenversicherungen mit
den Titeln „Ihre Gesundheitsreform ist enttäuschend und
zu teuer“, „Ihre Reformpläne machen mich
krank“ oder „Ihre Reformpläne machen mich
verrückt“ deckt die Verschwendung auf. Sie macht auch
deutlich, dass die PKV finanziell reich ausgestattet ist und dies
nutzt, sich intensiv mit ihren Belangen an das Parlament und die
Regierung zu wenden.
Da mich in den
letzten Tagen so viele Standardbriefe erreichten, habe ich mich
dazu entschlossen, Ihnen den gegenwärtigen Sachstand ebenfalls
in einem nicht individualisierten Schreiben zu erläutern. Ein
Verfahren, das ich im Grundsatz ablehne, weil ich damit im
Einzelfall nicht gerecht oder angemessen reagiere - aber sicher
haben Sie die Zwänge verstehen können, unter denen diese
Antwort entstanden ist.
Nun einige
Anmerkungen zu meinen bisherigen Überlegungen, die ich im
Dialog mit Kolleginnen und Kollegen und Akteuren im
Gesundheitssystem entwickelt habe.
Einige
Passagen meines Briefes stimmen mit denen meiner Kollegin Frau
Marion Caspers-Merk, die Parlamentarische Staatssekretärin im
Bundesministerium für Gesundheit ist, sinngemäß
oder auch wörtlich überein.
Wir sind
aufgrund der steigenden Kosten für die medizinische Versorgung
in Deutschland zum Handeln aufgefordert. Dafür gibt es im
Wesentlichen drei Ursachen:
• Die
Auswirkungen des demografischen Wandels - wir werden
älter,
• den
medizinischen Fortschritt - mehr
Heilungsmöglichkeiten,
• und die
Zunahme chronischer Krankheiten.
Ihnen ist
sicher bekannt, dass sich die Bevölkerungsstruktur in
Deutschland und den meisten anderen europäischen Staaten
grundlegend verändert - ein Prozess, der sich in Zukunft noch
verstärken wird. Die Lebenserwartung ist in den vergangenen
hundert Jahren erfreulicherweise deutlich gestiegen. Und sie steigt
weiter. Gleichzeitig nimmt die Zahl der Beitragszahler stetig ab.
Das wird so bleiben, denn schon seit langem werden immer weniger
Kinder geboren. Das bedeutet weniger Geld für die
Krankenversicherung.
Vor diesem
Hintergrund haben wir in der Regierungskoalition den Gesetzentwurf
zur Stärkung des Wettbewerbs in der Gesetzlichen
Krankenversicherung (GKV-WSG) erarbeitet.
Am 27. Oktober
hat der Deutsche Bundestag den Entwurf in erster Lesung
beraten.
Wir bringen
damit vier Reformen auf den Weg:
- eine
Strukturreform,
- eine
Organisationsreform,
- die
Neuordnung der Finanzierung
- und eine
Reform der privaten Krankenversicherung (PKV).
Zu allen Punkten
gibt es seitens der jeweiligen Interessenvertreter Kritik. Dies ist
im parlamentarischen Verfahren üblich und auch notwendig. Die
Einbeziehung von externen Sachverständigen im Rahmen von
Anhörungen in den Ausschüssen ist gängige Praxis und
hilft uns und mir sehr bei der Entscheidungsfindung.
Für mich
ist der Austausch mit Bürgerinnen und Bürgern als
Abgeordneter deshalb so wichtig, weil es eine Gruppe im System
gibt, die keine eigene Lobbyvertretung hat. Im Gegenteil, oft wird
diese Gruppe noch von Lobbyisten in eigener Sache
missbraucht.
Ich spreche
von den Patientinnen und Patienten. Ich habe es schon oft erlebt,
dass mir Bürgerinnen und Bürger schreiben, ich sie dann
anrufe und sie mir berichten, man habe ihnen den Brief mit der
Bitte zur Unterschrift vorgelegt. Sie erklären dann, dass sie
nicht genau wissen, was der Brief bewirken soll und wessen
Interessen verfolgt werden.
Drängende
Problem oder auch unzulängliche gesetzliche Regelungen
können in die politische Diskussion eingebracht werden, wenn
jemand persönlich schreibt und seine Situation transparent
macht. Ebenfalls können auf diesem Wege auch Verunsicherungen,
Ängste und Fehlinformationen besprochen und ausgeräumt
werden.
Die von der
PKV initiierte Kampagne trägt leider in diesem Sinne wenig zur
Versachlichung der Diskussion bei. Im Gegenteil: Ich habe beim
Studium dieser Briefe den Eindruck, dass viele Menschen
verunsichert sind. Ich stelle fest, dass dies vor allem auf
fehlenden oder falschen Informationen beruht.
Sie haben
sicher inzwischen erfahren, dass es keineswegs Absicht der
Bundesregierung ist, die PKV "zu zerschlagen". Nach dem
Gesetzesentwurf der Bundesregierung bleibt das spezifische
Geschäftsmodell der PKV erhalten.
In der
Regierungskoalition sind wir uns einig, dass auch Reformen in der
PKV erforderlich sind. Insbesondere für die
Bestandsversicherten muss der oft geforderte Wettbewerb Einzug
halten. Deshalb werden wir die Wahl- und Wechselmöglichkeiten
der Versicherten durch die Schaffung eines neuen PKV-Basistarifs
und die Übertragbarkeit der Alterungsrückstellung im
Umfang dieses PKV-Basistarifs deutlich verbessern. Dazu sieht der
Entwurf folgende Regelungen vor:
- Alle
Unternehmen der PKV bieten künftig einen Basistarif an, der
sich am Leistungsumfang der GKV orientiert. Der Leistungsumfang des
Basistarifs ist bei allen Anbietern gleich. Der Basistarif tritt
neben die bestehenden Tarife. Der Basistarif kann mit
Zusatzversicherungen desselben oder eines anderen PKV-Unternehmens
kombiniert werden. Ein Wechsel in einen der anderen Tarife ist
möglich.
- Jeder
PKV-Versicherte, freiwillig GKV-Versicherte und alle
Nichtversicherten, die vormals in der PKV versichert waren oder
systematisch der PKV zuzuordnen sind, können in den Basistarif
wechseln. Durch den Kontrahierungszwang kann die PKV keine
Versicherten mehr ablehnen. Im Basistarif dürfen zudem keine
risikobasierten Beiträge erhoben werden. Um eine nicht
behebbare Risikoselektion zu verhindern, wird ein branchenweiter
Risikoausgleich eingeführt.
- Beim Wechsel
eines Versicherten zwischen PKV-Unternehmen wird die
Alterungsrückstellung im Umfang der Leistungen des Basistarifs
übertragen (Portabilität), eine Auszahlung scheidet aus.
Für Versicherungsnehmer, die aus einem anderen Tarif in einen
Vollversicherungstarif bei einem anderen PKV-Unternehmen wechseln,
wird die vorhandene Alterungsrückstellung höchstens in
der Höhe übertragen, die dem Leistungsniveau des
Basistarifs entspricht.
- Der Beitrag
für den Basistarif wird in der Höhe begrenzt. Um die
Bezahlbarkeit des Basistarifs zu gewährleisten, darf dieser
den durchschnittlichen GKV-Höchstbeitrag nicht
überschreiten. Würde die Bezahlung eines solchen Beitrags
Hilfebedürftigkeit im Sinne der Sozialhilfe oder der
Grundsicherung für Arbeitsuchende auslösen, stellen
weitere Regelungen sicher, dass die Betroffenen nicht finanziell
überfordert werden.
Die geplante
Portabilität nützt also auch Ihnen. Langfristig ist es
immer von Vorteil, wenn die Rahmenbedingungen für
konkurrierende Systeme vergleichbar sind.
Sie sind
dadurch nicht mehr lebenslang auf eine Versicherung festgelegt. Der
geplante Basistarif ist eine Art Sicherheitsgurt. Wer
beispielsweise als Freiberufler in einer wirtschaftlich schwierigen
Phase seine Versicherung verloren hat, weil er die Beiträge
nicht mehr bezahlen konnte, hat jetzt die Chance zur Rückkehr.
Immerhin leben inzwischen in Deutschland bis zu 400.000 Menschen
ohne Versicherungsschutz.
Die vom
Verband der privaten Krankenversicherung als Folge der Reform
behaupteten Beitragssteigerungen entbehren jeder Grundlage. Mehr
Wettbewerb, wie er durch die Reform möglich wird, ist vielmehr
die Voraussetzung dafür, dass sich die Unternehmen im privaten
Krankenversicherungsmarkt künftig stärker als bisher auch
um ihre langjährig Versicherten bemühen. Wollen sie diese
behalten, müssen sie in Zukunft effizienter wirtschaften und
entsprechende Erfolge ihren Kunden zugute kommen lassen. Davon
profitieren alle privat Krankenversicherten. Werbekampagnen und
politische Kampagnen könne diese Verantwortung für die
Versicherten nicht ersetzen.
Auch wenn es
Veränderungen geben wird, die für die Funktionäre in
den PKV bis vor wenigen Jahren nur schwer vorstellbar waren, bleibt
die PKV als Vollversicherung erhalten.
Allerdings
müssen sich auch die Vertreter der PKV Gedanken machen, wie
sie den Herausforderungen für ein zukunftsfähiges
gesamtes Gesundheitswesen begegnen wollen. Die Risikoselektion
zugunsten der privaten Krankenversicherung hat solange
funktioniert, wie die PKV in der Lage war, die
„schlechten“ Risiken wie Alter, Armut und chronische
Krankheiten zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung
auszugrenzen.
Gleichzeitig
wurde die Einnahmenseite der GKV durch die Abwanderung von
Versicherten in die PKV massiv geschwächt, was die vorhandenen
Probleme noch verschärft hat. Die Gesundheitsreform will hier
für fairere Rahmenbedingungen sorgen.
Lassen Sie es
mich anhand eines Bildes deutlich machen: Rosinenpickerei ist nur
so lange von Vorteil, wie es erstens Rosinen gibt und zweitens
Kuchen, aus dem sie sich picken lassen.
Wir machen
unser Gesundheitssystem zukunftsfest. Dies liefert die Grundlage
dafür, auch weiterhin medizinische Versorgung von hoher
Qualität für die gesamte Bevölkerung zu
gewährleisten. Was allerdings auch bedeutet, dass alle
Beteiligten mit einbezogen werden müssen, auch die
Versicherten der PKV.
Ich hoffe
sehr, dass Ihnen meine Antwort weiterhelfen kann und
verbleibe
mit
freundlichen Grüßen
Renate
Gradistanac
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