Kommentar Niederelbe-Zeitung:

Von Arbeit muss man leben können

April 2007
Es ist kaum zu fassen: In einem Hamburger Hotel, in dem man durchschnittlich 200 Euro pro Nacht bezahlt, arbeiten die Zimmermädchen für knapp über 2 Euro die Stunde! Das ist kein ausgedachtes Beispiel, sondern harte Realität der Einkommensschere in unserem Land und ein gesellschaftlicher Skandal. 3,50 Euro pro Stunde erhalten ostdeutsche Friseurinnen, Briefzusteller bei einem Unternehmen, das der Post Konkurrenz macht, knapp vier Euro. Viele Menschen arbeiten den ganzen Tag und können sich und ihre Familien trotzdem nicht ernähren. Mehr als 2,5 Millionen Vollzeitbeschäftigte in unserem Land erhalten Armutslöhne, die weniger als 50 Prozent des Durchschnittslohnes betragen. Rund 570.000 Vollzeitbeschäftigte sind auf ergänzende Sozialleistungen angewiesen.

„In einem reichen Land wie Deutschland ist es schier unanständig, dass Vollzeitstellen derart schlecht bezahlt werden, dass diese durch Steuermittel auf ein Niveau aufgestockt werden müssen, das den Lebensunterhalt sichert.“ Keine Frage, dass hier eigentlich jeder von seiner Arbeit leben können müsste – und zwar ohne Zweit- und Drittjob und ohne ergänzende Grundsicherungsleistungen.

Mit einer ausschließlichen Festlegung der Löhne durch die Tarifparteien ist dieses Ziel nicht zu erreichen, denn in den vergangenen Jahren haben sich Arbeitsbereiche herausgebildet, in denen es keine Tarifbindung gibt oder in denen die Durchsetzungsmacht der Gewerkschaften nicht mehr ausreicht, armutssichere Löhne auszuhandeln. In West-Deutschland sind 68 Prozent, in Ost-Deutschland sogar nur 53 Prozent der Menschen tarifgebunden beschäftigt. Gewerkschaftsmitglied sind im Durchschnitt weniger als die Hälfte der Beschäftigten – mit weiter sinkenden Tendenz.

Es muss dringend etwas geschehen! Deshalb macht sich die SPD auf allen Ebenen für die Einführung von flächendeckenden Mindestlöhnen stark. Dabei stehen tarifliche Lösungen für uns im Vordergrund. Mit der Ausweitung des Geltungsbereiches des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes auf alle Wirtschaftsbereiche wollen wir den Tarifpartnern die Möglichkeit geben, branchenbezogene Vereinbarungen zu treffen. Für die Bereiche, in denen tarifliche Lösungen nicht möglich sind oder diese nicht greifen, brauchen wir einen gesetzlichen Mindestlohn.

In der Bauwirtschaft gibt es Mindestlöhne bereits seit 1996. Damals trat das Arbeitnehmer-Entsendegesetz in Kraft, das 1999 noch einmal verändert wurde. Nach diesem Gesetz müssen ausländische Baufirmen ihren Mitarbeitern Löhne nach den hiesigen Tarifverträgen zahlen, wenn sie diese zu Arbeiten in die Bundesrepublik entsenden. Anfang dieses Jahres hat der Bundestag beschlossen, auch das Gebäudereinigerhandwerk in das Gesetz mit aufzunehmen.

Das ist immerhin ein erster Schritt.

Mit der Einführung flächendeckender Mindestlöhne  aber tut sich unser Koalitionspartner – CDU und CSU – noch schwer. Wir diskutieren darüber schon seit Monaten, aber viele Abgeordnete unseres Koalitionspartners fürchten, Mindestlöhne könnten sich negativ auf die Wirtschaft auswirken. Dabei können wir ohne Frage den internationalen Wettbewerb nicht mit einem Wettlauf um die niedrigsten Löhne und schlechtesten Arbeitsbedingungen gewinnen, sondern nur mit der Qualität der Arbeit. Und: 20 der insgesamt 27 EU-Mitgliedstaaten haben bereits einen gesetzlichen Mindestlohn, z.B. Frankreich mit einem Stundenlohn von 8,27 Euro, Großbritannien mit 7,96 Euro und (bereits seit 1999!) die Niederlande mit 8,13 Euro.  In keinem dieser Länder folgte dem Mindestlohn ein Abbau von Arbeitsplätzen. Im Gegenteil, Mindestlöhne kurbeln die Binnennachfrage an und sind auch für die Unternehmen hilfreich, da sie so vor Lohndumping und ruinösen Unterbietungswettläufen geschützt werden.

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