Kommentar Niederelbe-Zeitung:

Februar  2005

Wahl ist nicht gleich Wahl

Sie sehen es mir hoffentlich nach, dass ich mich zunächst einmal freue – als Frau, weil uns unsere einzige Ministerpräsidentin hoffentlich erhalten bleiben wird, und als Sozialdemokratin, weil es so aussieht, als würden wir knapp zwar, aber eben doch in einer bunten oder geduldeten Koalition weiterregieren dürfen. Es mag sein, dass Sie sich als CDU- oder FDP-Wähler in Schleswig-Holstein einen anderen Wahlausgang gewünscht hätten. Spannend war das Kopf-an-Kopf-Rennen im Vorfeld ja schon, der Wahlabend ein regelrechter Politkrimi, aber genau das ist ja auch das Wunderbare: Jede Stimme zählt! Und Grund zum Freuen gibt es für uns alle zusammen: Wieder einmal haben wir in unserem Land – für uns ganz selbstverständlich - demokratische Wahlen erleben und durchführen dürfen. Niemand von uns musste stundenlang in der Kälte stehen, um überhaupt wählen zu dürfen. Es gab keine Lochkartenwahl, bei der die Stimmen nicht mehr nachvollzogen werden können. Nirgends setzten Gruppen die Wähler unter Druck. Warum ich das so beachtlich finde? Weil es wirklich mehr als beachtlich ist!

Was für uns hier selbstverständlich ist, muss andernorts immer wieder oder erstmals mühsam erstritten werden. Das ist mir vor gut drei Wochen während einer Reise nach Tajikistan wieder einmal deutlich vor Augen geführt worden. In Tajikistan, dem kleinsten zentralasiatischen GUS-Staat zwischen Usbekistan , Kirgistan, Afghanistan und China wird am 27. Februar gewählt. Die dortige sozialdemokratische Partei, gegründet 1998, verboten 1999, neu zugelassen 2002 tritt erstmalig zu den Parlamentswahlen an und hatte mich als Parlamentarierin um Unterstützung vor der Wahl gebeten.

800 US-Dollar kostete zu dem Zeitpunkt eine Kandidatur für das Parlament. Bei durchschnittlich 20 US-Dollar Monatseinkommen schlicht unerschwinglich für politisch interessiert Normalbürger. Wer für das Parlament kandidieren möchte, muss umfangreiche Unterlagen einreichen, u. a. ein psychologisches Gutachten, ob er (oder sie!) als Parlamentarier/in geeignet wäre. Niemand weiß genau, welche Unterlagen benötigt werden, zuweilen erhalten Bewerber sie mit dem Vermerk zurück, sie seien falsch oder unvollständig – erst wenn man die erforderliche Registrierung erhalten hat, darf man für sein Programm oder seine Partei werben. Manche Kandidaten haben dafür am Ende gerade einmal 14 Tage Zeit gehabt.

Unabhängige Zeitungen haben in Tajikistan kaum eine Chance zu erscheinen – Abgaben, Steuern und Gebühren sind zu hoch, Druckereien kaum zu finden, da sie z.B. die regelmäßige Verfügbarkeit von Wasser, Gas und Strom nachweisen müssen, was in Tajikistan schlicht  unmöglich ist. Nur 3 Prozent der Haushalte verfügen über ein Radio, 3,6 Prozent über einen Fernseher. Während wir hier zuweilen über die Überflutung mit Nachrichten schimpfen, wissen viele Menschen in Tajikistan noch nicht einmal, dass sie am 27. wählen gehen dürfen.

Und später? Wir hier sind, wenn wir wollen, immer darüber informiert, was im Parlament passiert und was unsere Parlamentarier tun. In Tajikistan ist es schon in Rätsel, wie oft das Parlament überhaupt tagt. Wie hoch das Volumen des Staatshaushaltes ist, weiß dort nur der Präsident, der dem Parlament vorsteht. Er entscheidet in Tajikistan.

Und doch glauben die Menschen in Tajikistan, die gerade einen fünfjährigen Bürgerkrieg hinter sich haben, mit großem Optimismus daran, dass es ihnen gelingen wird, Demokratie zu leben – irgendwie, irgendwann. Noch ist der Weg weit: Opposition bedeutet in Tajikistan zurzeit noch, dass Entscheidungen des Präsidenten mit einer Gegenstimme abgenickt werden. „Eine Gegenstimme“ soll dort der Beweis für Demokratie sein.

Wenn aber  ein Parlamentarier wirklich einen Gegenmeinung aktiv vertritt, kann es schon sein, dass der Präsident ihm eine andere Verwendung  anbietet: z.B. als Hausmeister im Innenministerium. Und Angebote des Präsidenten müssen angenommen werden – wie schön, dass bei uns die einzelne Stimme auf ganz andere Weise zählt.

Das ist wirklich für uns alle ein Grund zur Freude – einerlei, ob uns die Wahlergebnisse gefallen oder nicht.

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