Kommentar Niederelbe-Zeitung:

Februar  2006

EU-Dienstleistungsrichtlinie: Guter Kompromiss 

Die für uns alle sehr bedeutende EU-Richtlinie wird kaum öffentlich wahrgenommen. Ist sie ein Spagat zwischen Dienstleistungsfreiheit und Arbeitnehmerschutz? Ein Kniefall vor dem einen oder dem anderen? Ich meine, der von Sozialdemokraten und Konservativen im europäischen Parlament ausgehandelte Kompromiss ist eine gelungene Verknüpfung von beidem. Statt über Prinzipien zu streiten, wurde ein Weg gefunden, ganz konkrete Hindernisse aus dem Weg zu räumen. Der Wettbewerb verlangt einerseits die Öffnung der Märkte und soll dabei doch das Europäische Sozialmodell garantieren. Warum beides notwendig ist?

Unternehmen, die wettbewerbsfähige Dienstleistungen anbieten, eröffnet sich so die Perspektive eines größeren europäischen Absatzmarktes. Bis zu 600.000 neue Arbeitsplätze können im Dienstleistungssektor entstehen – wenn z.B. deutsche Betriebe nicht mehr gezwungen sind, eine aufwändige Zertifizierungsprozedur über sich ergehen zu lassen, wenn sie in Belgien arbeiten – und umgekehrt. Durch den Wegfall bürokratischer Hindernisse würde die europäische Investitionstätigkeit mit den damit verbundenen positiven Effekten für Wachstum und Beschäftigung steigen. Dabei haben auch deutsche Dienstleister gute Chancen, durch Aufträge in den Nachbarländern ihr Unternehmen und damit verbundene Arbeitsplätze zu halten oder neue zu schaffen.

Keine Frage ist aber gleichzeitig, dass z.B. polnische oder niederländische Handwerker häufig viel billiger arbeiten als deutsche Firmen. Das nutzen auch die Menschen in Hadeln – etwa bei Reparaturen, wenn sie die für sie preisgünstigste Variante wählen wollen. Deshalb ist die Befürchtung nicht unberechtigt, dass ausländische Billiganbieter quasi deutsche Arbeitsplätze an sich ziehen. Freier Markt und Schutz der Arbeitsplätze sind somit – nicht nur aus deutscher Sicht - zwei gleich wichtige Aspekte.

Ursprünglich sollte das so genannte Herkunftslandprinzip gelten, nach dem Unternehmen ihre Dienste im Ausland nach den Vorschriften ihres Heimatlandes anbieten dürften. Dies soll jetzt geändert werden. Ausführung und Kontrolle sollen sich zukünftig nach den Vorschriften des Ziellandes richten. Arbeitnehmerrechte, soziale Rechte, Verbraucher- und Umweltschutz müssen weiter gesichert sein. Deshalb ist z.B. das Arbeitsrecht vollständig vom Anwendungsbereich der Richtlinie ausgeschlossen, genauso wie der Gesundheitsbereich, Transportdienstleistungen und Zeitarbeitsagenturen.

Kurzum: Dienstleister müssen die Rechte des Landes beachten, in dem sie tätig werden – und nicht die ihres Heimatlandes. Damit wird eine Aushebelung von Arbeitsschutzregeln und Sozialvorschriften verhindert. Im Gegenzug müssen die EU-Staaten Dienstleistern aus anderen Mitgliedsländern grundsätzlich freien Zugang gewähren. So dürfen sie dem Anbieter z.B. nicht mehr vorschreiben, dass er in einem anderen Land ein Büro eröffnen muss, um dort zu arbeiten, oder ihn nicht mehr daran hindern, grenzüberschreitend mit seinem eigenen Material zu arbeiten.

Das EU-Parlament hat den schwer erarbeiteten Kompromiss nun in erster Lesung verabschiedet. Überzeugt werden muss aber auch noch der EU-Ministerrat - und ganz sicher wird es auch in den kommenden Jahren immer wieder Diskussionen über Details geben, denn in der Praxis erst werden sich die Auswirkungen der Richtlinie in ganzer Breite zeigen. Wir werden diesen Prozess sehr wachsam begleiten.

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