Kommentar Niederelbe-Zeitung:

Juli   2006

Jetzt geht’s los

Föderalismusreform – das Wort klingt schrecklich trocken und schwerfällig, aber lassen Sie sich davon nicht abschrecken. Das Thema nämlich ist spannend: Mit der Föderalismusreform haben wir am 7. Juli im Bundestag die größte Verfassungsreform seit Bestehen des Grundgesetzes 1949 beschlossen. Sie ist also ein großer historischer Schritt in die Zukunft – ein Schritt, der in seiner Auswirkung uns alle betrifft, einerlei ob wir in Hadeln oder in Hamburg, in Stade oder in München leben.

In den vergangenen Jahrzehnten ist immer deutlicher geworden, dass unser politisches System oft viel zu schwerfällig war, um schnell auf Probleme reagieren und Lösungen umsetzen zu können. Dies lag an unserem föderalen System: Immer wieder blockierte die Zustimmungspflicht des Bundesrates Entscheidungen, die im Bundestag verabschiedet wurden. Besonders drastisch war das immer, wenn die Partei, die die Bundesregierung führte, eine andere war als die, die im Bundesrat mehrheitlich das Sagen hatte. Häufig auch nutzten einzelne Länder ihre Widerspruchmöglichkeiten und nicht selten ersetzte am Ende das Verfassungsgericht politische Entscheidungen. Durch dieses System des solidarischen Föderalismus, das andererseits natürlich auch Teil der Erfolgsgeschichte der Bundesrepublik ist, gab es in den vergangenen Jahrzehnten in unserem Land häufig eine regelrechte Blockadepolitik - mit der Folge politischen Stillstands.

Manchmal wurden nur sehr schwer Kompromisse gefunden, mit denen dann keiner so richtig glücklich war, und viel zu oft hatten Bürger/innen, die sich nur wenig mit Politik befassen, Mühe zu verfolgen, wer hier eigentlich welche Probleme wie lösen wollte.

Mit der Föderalismusreform haben wir diese Situation deutlich verbessert. Wir haben Zuständigkeiten entflochten, so dass Bund und Länder mehr eigene Kompetenzen haben, ohne dass andere ihnen da hineinreden und die Arbeit blockieren können. Die Zahl der sog. zustimmungspflichtigen Gesetze haben wir damit halbiert. Die Ministerpräsidenten haben auf große Teile ihres Vetorechts im Bundesrat verzichtet und wir haben die Befugnisse ihrer Landtage stärken lassen – ein Plus für den Parlamentarismus und die Demokratie.

Es ist keine Frage, dass so ein großes Werk durchaus seine Tücken hat und ich bin davon überzeugt, dass im Laufe der kommenden Jahre mit den dann gemachten Erfahrungen das eine oder andere noch etwas geschliffen werden muss. Keine Frage auch, dass sich an einzelnen Punkten der Gesamtreform die Kritiker reiben. Wer schon einmal mit seinen Kindern von einem Bundesland in ein anderes umgezogen ist, der kann ein Lied davon singen, wie schwer so ein Wechsel heute schon für die Schüler sein kann. Wir Sozialdemokraten haben uns schwer damit getan, die Zuständigkeit der Länder für Bildungspolitik auch noch zu verstärken. Mag sein, dass nun die Unterschiede noch größer werden. Aber: Die Belange der Bürger liegen nun stärker in den Händen der Landesparlamente und ich bin sicher, dass sie dort grundsätzlich auch gut aufgehoben sind. Es wäre schon sehr vermessen, nur der Bundespolitik Qualität zuzusprechen. Trotzdem werden nicht nur die Kritiker, sondern wir alle - in der täglichen Praxis, im Bundestag und in den Ländern - die Entwicklung genau beobachten und nicht tatenlos dasitzen, wenn der erwartete „Wettbewerb der Länder um das beste Konzept“ de facto zu Qualitätsverlusten führen würde. Wir waren unseren Bürgern und unserem Land die Föderalismusreform schuldig – dem wachsenden Europa und unseren Kindern aber schulden wir die beste Bildungspolitik, die nur möglich ist!

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