Kommentar Niederelbe-Zeitung:

Juni 2005

Reden wir Tacheles!

Und plötzlich ist wieder Bewegung in der Politik, den Medien und den Köpfen der Menschen. Die Ankündigung vorgezogener Neuwahlen hat die Karten neu gemischt. Jetzt geht es nicht mehr nur einfach darum, zu schimpfen und schlecht zu reden. Nun müssen von der CDU/CSU und der FDP endlich Konzepte auf den Tisch gelegt werden, mit denen sie unser Land in die Zukunft führen wollen.
Zunächst versuchte man (oder besser frau) es noch weiter mit allgemeinen Phrasen – Ich diene, Du dienst, wir dienen diesem Land. Dann wurden eiligst alte und frisch gestrickte einzelne Vorstellungen dargelegt und schon konnte man sehen, wohin die Reise mit einer von der Union geführten Regierung gehen würde:
Die Union plant, den Spitzensteuersatz noch weiter – auf 39 Prozent – zu senken. Bezahlen sollen dies die Normalverdiener: „Die Steuerbefreiung für Sonntags-, Feiertags- und Nachtzuschläge wird innerhalb von sechs Jahren abgebaut“, kündigt Edmund Stoiber an. Für die Betroffenen – z.B. Krankenschwestern, Busfahrer oder Polizisten – bringt das erhebliche Einkommenseinbußen mit sich. Eine verheiratete Krankenschwester mit drei Jahren Berufserfahrung würde laut Ver.di 660 Euro weniger pro Jahr verdienen. Zugunsten der Spitzenverdiener.
Im Falle einer Regierungsübernahme durch die Union würde nach sozial gerechten Antworten auf Probleme unserer Zeit gar nicht mehr gesucht werden. Dafür steht auch die Kopfpauschale im Gesundheitswesen, die die Union einführen will. Das bedeutet: Versicherte zahlen dann etwa 7 Prozent ihres Einkommens – aber maximal 109 Euro – einerlei ob sie als Hausmeister arbeiten oder als millionenschwerer Manager. Da das Geld dann trotzdem nicht reichen wird, um die Gesundheitskosten abzudecken, sollen die medizinischen Leistungen weiter eingeschränkt werden. „Was soll’s“, scheint Schwarz-gelb zu denken. Besser- und Spitzenverdiener können sich ja private Zusatzversicherungen leisten. Und die Hausmeister?
Auch die von den Menschen unserer Republik über Jahrzehnte erkämpften Arbeitnehmerrechte würden bei einer schwarz-gelben Koalition schnell und leicht gestrichen: Der Kündigungsschutz soll weiter eingeschränkt und die Tarifautonomie gekappt werden. Es gibt sie also doch die Unterschiede, die in den vergangenen Jahren wie verwischt schienen, weil die Union sich aufs bloße Schlechtreden konzentrierte und den Menschen in unserem Land systematisch das Selbstbewusstsein nahm.
Die Unterschiede wurden innerhalb weniger Tage auch in der Umweltpolitik deutlich. Die Laufzeiten der Atomkraftwerke sollen bei Merkel & Co. über den von der rot-grünen Koalition in intensiven Verhandlungen mit den Stromkonzernen erreichten Atomkonsens hinaus verlängert werden. Die mittlerweile keineswegs mehr umstrittene, sondern durchweg als Problem erkannte Atomkraft würde dann also noch weit länger bleiben als ausgehandelt. Eine solche Laufzeitverlängerung reduziert den Druck, alte Kraftwerke durch neue zu ersetzen und kostet damit auch langfristig Arbeitsplätze in Deutschland. Ein „ökologisches Rollback“ stände bevor. Auch bei der Förderung umweltfreundlicher Energien.
Die Ökosteuer allerdings will Angela Merkel keinesfalls sofort abschaffen, obwohl die Union gerade dagegen seit Jahren Stimmung gemacht hat. Es ist schon faszinierend, was die Ankündigung vorgezogener Neuwahlen so alles an den Tag bringt. Auch dass die Union, so Edmund Stoiber, der Eigenheimpauschale und der Entfernungspauschale zu Leibe rücken will, - zugunsten der Senkung der Unternehmenssteuer. Bildung statt Eigenheimpauschale? Ich erinnere mich noch genau, wie die Union uns da blockiert hat. Wie auch immer das Ergebnis der Wahlen im Herbst ausfallen wird, eins haben sie schon im Vorfeld bewirkt: Man sieht wieder klarer!
 
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