Kommentar Niederelbe-Zeitung:

Juni 2007

Gesetze mit Halbwertzeit?

„Was habt Ihr denn da bloß wieder fabriziert?!“ Diese Reaktion auf Gesetze höre ich leider immer häufiger. „Das liegt daran, dass wir wieder einmal gar nicht so schlecht denken konnten wie Menschen handeln“, möchte ich manchmal antworten. Damit meine ich, dass Gesetze immer häufiger zu Fehlentwicklungen führen , weil es Menschen gibt, die spitzfindig jede noch so kleine Lücke zu finden verstehen und nutzen, um Gesetze in ihrem Sinne zu missbrauchen. Na, und wenn erst mal einer anfängt, dann gibt es jede Menge Nachahmer.

Grundsätzlich kann es nicht Aufgabe der Politiker sein, dies vorherzusehen. Sie bestimmen die politische Zielrichtung eines Gesetzes. Die Aufgabe, das Gesetz im einzelnen so zu formulieren, dass es im Sinne dieser Zielrichtung wirkt, ist Aufgabe der Beamten in den zuständigen Ministerien, aber auch sie können offensichtlich häufig gar nicht so schlecht denken ...

Ein Beispiel sind die Folgen einiger Änderungen des „Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes“. Es regelt die gewerbsmäßige Überlassung von Arbeitnehmern durch einen Arbeitgeber (Verleiher) an einen Dritten (Entleiher). Dieses Gesetz ist zuletzt 2004 grundlegend verändert worden. Ziel war es damals, die Qualität und die gesellschaftliche Akzeptanz der Leiharbeit zu erhöhen und den Weg zu ebnen, dass mehr Menschen über Leiharbeit in einen festen Job kommen. In diesem Zusammenhang wurden bestimmte Schutzfunktionen für Leiharbeiter gestrichen, z. B. die Beschränkung der Überlassungsdauer auf höchstens zwei Jahre und das Synchronisationsverbot, also das Verbot der Einstellung eines Arbeitnehmers nur für die Entleihfrist. Gleichzeitig wurde aber der Gleichbehandlungsgrundsatz eingeführt, der den Leiharbeitern gleiche Arbeitszeit, gleiches Arbeitsentgelt und gleiche Urlaubsansprüche sichert wie den Stammarbeitern. Ausnahmen von diesem Grundsatz sind zugelassen, wenn durch Tarifverträge etwas anderes geregelt wird. Hintergrund war damals, dass wir wollten, dass auch in Zeitarbeitsfirmen Tarifverträge gelten.

Dadurch wurde nun – ungewollt – die Möglichkeit eröffnet, dass sich Unternehmen durch die Gründung „eigener“ Arbeitnehmer-Überlassungsgesellschaften selbst mit billigeren Arbeitskräften versorgen und schlechteren Zeitarbeitstarifverträge beitreten, die für die Firmen günstiger sind, als die für die Stammbelegschaft geltenden.

 Durch die Aufhebung des Synchronisationsverbotes und der Überlassungshöchstdauer kann dies sogar ohne Befristung geschehen und es wäre theoretisch möglich, die komplette Belegschaft nach und nach auf dieser Basis zu beschäftigen. So kann das Gesetz dazu führen, dass Arbeitnehmer nicht aus der Leiharbeit heraus in einen festen Job kommen, sondern dazu, dass immer mehr Beschäftigte immer schlechter bezahlt werden. Kürzlich habe ich mich deshalb mit Journalisten und dem Betriebsrat eines Zeitungsverlages unserer Region getroffen, da gerade Verlage immer häufiger auf diese Weise Personalkosten einzusparen versuchen und ihre Mitarbeiter vor die Alternative stellen, entweder als Leiharbeiter für weniger Geld zu arbeiten oder ihren Job ganz zu verlieren.

Kann man das Problem lösen? Bisher zeichnet sich noch nicht ab, dass unser Koalitionspartner die Überlassungshöchstdauer wieder einführen oder aber den Gleichbehandlungsgrundsatz wieder zur Geltung bringen oder gegebenenfalls Ausgründungen verbieten will, die nur das Ziel haben bestehende Tarifverträge zu unterlaufen.

Ganz grundsätzlich aber bräuchten wir künftig „Gesetze mit Halbwertzeit“, d.h. Gesetze, in denen Fristen zur Überprüfung ihrer Wirkung festgelegt sind, so dass Missbrauch schnell registriert und ein Riegel vorgeschoben werden könnte.

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