Kommentar Niederelbe-Zeitung: |
Mai 2004 |
Faust raus aus der Tasche... |
... und in den Himmel gereckt! Wenige Tage nach dem 1. Mai
wartet die Bundesagentur für Arbeit wieder mit schlechten
Zahlen auf: Im Jahresdurchschnitt sei mit etwa 60.000 Arbeitslosen
mehr zu rechnen als im Vorjahr. In Gesamt- Niedersachsen liegt die
Quote immerhin um 0,5 Prozent unter dem Wert von 2003. In unserer
Region sieht es insgesamt nicht so gut aus: für Otterndorf z.
B. wurde eine Arbeitslosenquote von 10,1 Prozent registriert. Viele
Menschen haben daher Angst und berechtigte Sorge angesichts der
anhaltenden Konjunkturflaute. Und gleichzeitig sind viele richtig
wütend auf die Reformpolitik, die sie als sozial ungerecht
empfinden. Nein, da gibt es auch nichts zu beschönigen: In den
90er Jahren haben unsere europäische Nachbarn, z.B.
Frankreich, Schweden und Dänemark, die notwendigen Reformen
durchgeführt. Regierungen – vor allem
sozialdemokratische - wurden dafür abgestraft. Aber in diesen
Ländern geht es inzwischen wieder aufwärts. Auch ich
fände eine bequeme Politik des Gestaltens und Verteilens
deutlich angenehmer. Aber in unserem Land gibt es im Moment nichts
zu verteilen, es gibt nur etwas zu retten. Und wer soll eigentlich
bei uns gestalten, wenn rund 80 Prozent aller politischen
Beschlüsse durch EU-Richtlinien und –Verordnungen schon
vorgegeben sind? Da bleibt kaum noch Entscheidungsfreiheit. Und
wenn doch, dann zwingt die satte Mehrheit von CDU/CSU und FDP im
Bundesrat zu – manchmal schon abstrusen - Kompromissen.
Für die Bürger und Bürgerinnen gibt es verschiedene
Möglichkeiten, zu reagieren: Man kann mit der Faust in der
Hosentasche lauthals schimpfen, man kann sich in die private
Sphäre zurückziehen und behaupten, die Politiker machten
doch immer nur, was sie wollen. Man kann die jeweils Regierenden
abstrafen, verzweifeln, alles ignorieren und, und, und... Das sind
aber meines Erachtens keine einer Demokratie würdigen
Antworten. Richtig wäre, sich gerade in solch schwierigen
Zeiten einzubringen, mitzumischen und zu kämpfen! Das gilt
meiner Meinung nach heute gerade und vor allem für die
Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Wie wichtig ihr Engagement und
Kampfgeist ist, hat sich jüngst bei der Verteidigung der
Tarifautonomie gegen die Angriffe der CDU gezeigt. Die
Tarifautonomie ist eine wesentliche Grundlage sozialer
Gerechtigkeit, sie ist ein Freiheitsrecht, bei dem die
Sozialpartner auf gleicher Augenhöhe verhandeln.
Tarifverträge haben eine Schutzfunktion, sie sichern das
Mindestniveau der Löhne – das auch nicht durch einen
staatlich geförderten Niedriglohnsektor unterlaufen werden
darf. Kampfgeist ist auch in der Frage der Ladenschlusszeiten
gefordert – gerade hier von uns im ländlichen Raum. Die
Öffnung der Ladenschlusszeiten hat bislang noch nie zu mehr,
sondern immer zu weniger Arbeitsplätzen und vor allen zu einem
Ausbluten des ländlichen Raumes geführt. Auf der
grünen Wiese bestimmen die Konzerne Preise und Löhne. Die
Welt besteht nicht nur aus internationalen Großstädten,
sondern viele von uns leben und wohnen in Dörfern und kleinen
Städten und wollen dort auch vernünftig bezahlt arbeiten.
Auch das von CDU und CSU zur Zeit als
„Wachstumsprogramm“ servierte Maßnahmenpaket mit
einer „Verschlankung“ des Arbeits- und Tarifrechts, der
Aufhebung des Kündigungsschutzes und der Abschaffung des
Rechts auf Teilzeitarbeit und der gleichen Arbeitsbedingungen
für Leiharbeitnehmer sollte uns alle wachrütteln: Nicht
wegsehen und aufgeben, genau hinschauen und sich engagieren –
nur so kommen wir gut in eine gemeinsame europäische Zukunft.
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