Wer nicht kämpft, hat schon verloren |
Juni 2004 |
Zugegeben, ein
Fußballfan bin ich nicht, trotzdem kann und möchte ich
mich in diesen Tagen dem beliebten Volkssport nicht entziehen. Und
so habe auch ich vorm Fernseher gesessen, als die
Rudi-Völler-Truppe allen Unkenrufen zum Trotz gezeigt hat, was
in ihr steckt. Etliche Mitglieder der SPD-Bundestagsfraktion haben
mit ihren Mitarbeitern das Spiel im Fraktionssaal im Reichstag
gesehen, gemeinsam mit dem portugiesischen Botschafter. Auch
unserem Kanzler Gerhard Schröder, einem ausgewiesenen
Fußballfachmann, hat die Leistung der deutschen Mannschaft
Respekt abgenötigt: “Wer gewinnen will, muss
kämpfen, wer nicht kämpft, hat schon verloren.“
Verloren haben die deutschen Sozialdemokraten die Europawahl. Haben sie nicht gekämpft? Doch, das haben sie, allen voran hier im Norden die SPD-Kandidatin Franka Strehse. Und deshalb bin ich so enttäuscht, dass so viele meiner Landsleute von Europa nichts wissen wollen, einfach NEIN sagen, und gar nicht zur Wahl gehen. Wissen sie nicht, wie gut es ihnen hier in Deutschland geht, im Vergleich zu den neuen Mitgliedsstaaten dieses nunmehr 25 Länder umfassenden Europa? Ich war im Herbst vergangenen Jahres im Rahmen einer Auswahlreise für das Internationale Parlamentarische Patenschaftsprogramm in Litauen und Lettland. An dem Tag, als sich die lettische Fußballnationalmannschaft für die Europameisterschaft in Portugal qualifizierte, durfte ich in Riga Zeuge der Begeisterung sein, die die ganze Nation erfasste. Jetzt sollte man nicht nur politisch zu Europa gehören, nein auch im Fußball waren die Letten plötzlich Europäer. Und dann haben diese „No-Names“ auch noch bei ihrem ersten Auftritt in Portugal die geheimen Favoriten aus Tschechien das Zittern gelehrt. So macht Europa Spaß und lässt für kurze Zeit die Probleme in den Hintergrund treten. Jetzt gerade ist eine Stipendiatin aus Litauen, die 22-jährige Studentin Kristina, zu Gast bei mir. Sie lernt für ein halbes Jahr den Deutschen Bundestag kennen. So begleitete sie mich zu verschiedenen Terminen im Wahlkreis, unter anderem zu einer Vortragsveranstaltung zum Thema Renten, zu der ich den Parlamentarischen Staatssekretär aus dem Gesundheitsministerium Franz Thönnes eingeladen hatte. Das Publikum bestand überwiegend aus Rentnern. Viele von ihnen fühlen sich zurzeit infolge von Kürzungen oder Zuzahlungen im sozialen Bereich benachteiligt und bei dieser Veranstaltung machten dann auch etliche von ihnen ihrem Unmut richtig Luft. Der Referent, der übrigens auch gerade in den baltischen Ländern unterwegs gewesen war, appellierte an die Kritiker, doch auch einmal dort hin zu fahren, um den Unterschied zwischen dem „alten“ und dem „neuen“ Europa persönlich in Augenschein zu nehmen. Meine Praktikantin Kristina meinte dazu: „ Ja, sie würden sich über die eigenen sozialen Bedingungen weit mehr freuen, wenn sie wieder zu Hause sind.“ Wir leben hier in Deutschland nicht auf einer Insel. Unsere Demokratie ist schon 55 Jahre alt, wir brauchen nicht mehr um das Wahlrecht zu kämpfen, nicht mehr um Mitbestimmung in den Betrieben, nicht mehr um die 5-Tage-Woche, die Pressefreiheit und wofür es sonst noch gelohnt hat. Oder doch? Steht nicht manches auch wieder in Frage? Sollen wir jetzt aufhören, zu kämpfen? Gibt es heute nichts mehr, wofür es sich lohnt? Wer so denkt, ist schon mitten auf der Verliererstraße. Und wenn wir so weiter machen, auf hohem Niveau zu jammern, immer nur denen „da oben“ die Schuld geben, müssen wir uns nicht wundern, wenn die jungen, hungrigen Menschen aus Estland, Lettland, Litauen, Polen, Tschechien, Slowakei, Ungarn, Rumänien, Bulgarien, Zypern und Slowenien uns irgendwann ins Abseits stellen. Und Treffer aus dem Abseits zählen nicht, das weiß auch ich. Deshalb hoffe ich, dass sich die deutsche Nationalmannschaft morgen gegen Lettland wieder auf ihre alten Tugenden besinnt: Kämpfen, kämpfen, kämpfen. |