FORUM Tadschikistan

 

 

 

Vom 29. Januar bis 04. Februar - kurz vor den Parlamentswahlen - war ich auf Einladung der Friedrich-Ebert Stiftung zu Gesprächen mit Vertretern verschiedener Parteien und politischer Organisationen in Tadschikistan.

Meine Eindrücke und Erfahrungen habe ich in folgendem Bericht zusammengefasst:

 

Die Qual der Wahl

Demokratische Mehrheiten – und damit Regierungen - können von einer Stimme abhängen. Für uns im deutschen Parlamentarismus ist das eine Binsenweisheit, über die wir nicht nachdenken müssen. „Demokratie ist, wenn einer dagegen stimmt“, erklärt mir mein Gegenüber, ein führender Oppositionspolitiker Tajikistans in Berlin. Auf Einladung der Friedrich-Ebert-Stiftung besuchen tajikische Oppositionelle den Bundestag, hören gebannt im Plenum zu, führen Gespräche über Politik, Demokratie, Parlamentarismus. „Abstimmungsergebnisse haben bei uns immer eine Gegenstimme – sonst wären wir ja keine Demokratie“, erklärt er weiter, „aber wenn ein Parlamentarier wirklich eine Gegenmeinung aktiv vertritt, kann es schon sein, dass der Präsident ihm eine andere „Verwendung“ anbietet, z. B. als Hausmeister im Innenministerium. Und Angebote des Präsidenten müssen angenommen werden…“

Mein Interesse an diesem fremden Land ist geweckt.
Tajikistan, kleinster zentralasiatischer GUS-Staat, zwischen Usbekistan, Kirgisistan und China, mit 1.200 km Grenze zu Afghanistan, vorwiegend Hochgebirge, ein Eldorado für Drogenschmuggler. Der größte Teil der 6,1 Mio Einwohner lebt in den Großstädten, der Hauptstadt Duschanbe, der Industriestadt Khujand oder in den fruchtbaren 7 % des Landes in den Tälern, z. B. im multiethnisch besiedelten Ferghanatal, der Kornkammer Zentralasiens.

Mittwochs und samstags fliegt die TajikAir aus München über Istanbul nach Duschanbe. Paris, London – alle Wege aus Europa nach Duschanbe führen über München. Die Tupolev ist rappelvoll, die Gepäckfächer werden nicht geschlossen, große Blechkisten rappeln durch die Pantry. Start in eine andere Welt. „500 US Dollar kostet bei uns eine Kandidatur für das Parlament, wer gewählt wird, erhält das Geld zurück, wer nicht gewählt wird, hat es verloren“, erklärt mein Gegenüber und fragt nach den deutschen Konditionen zur Wahl. Bis zum 31. Januar 2005 waren es noch 500 Dollar, bei 20 US Dollar durchschnittlichem Monatseinkommen schlicht unerschwinglich für politisch interessierte Normalbürger in Tajikistan. Trotz Schattenwirtschaft, die auf mindestens 50 % geschätzt wird. Trotz oder wegen der hohen Korruption. Trotz der schwarzen Rückführung russischer Rubel von den 1 bis 1,5 Mio Tajiken, meist jüngerer Männer, die in Russland arbeiten, weil sie in ihrem Land nach fünf Jahren Bürgerkrieg keine Arbeit finden.

Seminar "Politiker vor den Wahlen" - Diskussion mit führenden Politikern aller Parteien

 

Die Registrierung

Am 27. Februar sind Parlamentswahlen und die Registrierung ist das beherrschende Thema bei allen, die sich als Opposition im Land verstehen. Für die Kandidatur müssen sie umfangreiche Unterlagen einreichen, unter anderem ein psychologisches Gutachten, ob sie als Parlamentarier geeignet wären. Sie wissen nicht genau, was sie brauchen, werden zurückgewiesen, die Unterlagen seien falsch, unvollständig, nicht korrekt. Am 7. Februar läuft die Frist zur Registrierung ab. Seit dem 1. Februar sind aus den 500 US Dollar bereits 800 Dollar geworden. Der legale Erwerb des Geldes muss nachgewiesen werden, Unterstützung z. B. durch die zahlreichen NGO m Land ist erlaubt. Ob es die Registrierung für sie gibt, erfahren die Kandidaten sehr willkürlich, nacheinander, der eine früher, der andere später. Erst wenn sie die Registrierung in der Hand haben, dürfen sie Wahlagitation machen, für ihre Programme, ihre Partei werben. Manche länger, manche ganze 14 Tage.

Überhaupt – die Registrierung: Das Land verlassen darf ich nur, wenn ich vom Hotel die „Registrierung“ habe, 8 Dollar kostet der Stempel auf dem Formblatt, den ich erst bekomme, wenn nachgewiesen ist, dass die Rechnung bezahlt wurde. Auch die Pressefreiheit, von der Verfassung formal vorgesehen, steht und fällt mit der Registrierung.

Gespräch mit Politikern aller Parteien über soziale Demokratie - in den Räumen des "Zentrums für Strategische Forschung". In dieser regierungsnahen Einrichtung sind sogar die Räume geheizt! Eine Erholung!

 

Pressefreiheit

Die letzten Nachrichten im Internet der Tajikischen Regierung sind vom 04.07.2003. Immerhin gibt es Links zur regierungstreuen Zeitung Khovar und zur Nachrichten-Agentur Asia-plus. Internews wurde im letzten Sommer verboten, mehrere kleine Zeitungen können nicht erscheinen, weil sie keine Druckereien finden. Die Eigengründung einer Druckerei scheitert an der Registrierung, an den Voraussetzungen, die verlangt werden: Regelmäßige Verfügbarkeit von Wasser, Gas und Strom muss nachgewiesen werden. Das kann nicht klappen. Der Strom fällt mehr aus, als dass er da ist. Die Wasserversorgung ist katastrophal, heizen ist gemäß einem alten sowjetischen Gesetz erst erlaubt, wenn die Temperaturen an fünf Tagen hintereinander auf minus sieben Grad sinken. Gas kann man also gar nicht regelmäßig beziehen. Druckereien wurden geschlossen – angeblich weil sie sich nicht gesetzestreu verhalten haben. Die Auflagenhöhe, mit 15.000 schon bescheiden genug, soll mit 7000 angegeben worden sein. Abgaben, Steuern und Gebühren summieren sich so, dass sie den Umsatz weit übersteigen. Es ist zwar erlaubt, aber faktisch offenbar unmöglich, Zeitungen erscheinen zu lassen. Eine im Ausland gedruckte Auflage wurde an der Grenze konfisziert: drucken im Ausland ist illegal.

Wie sieht es mit dem Zugang zu Informationen aus? Vom Staatsapparat bekommen kritische Journalisten nichts. Gerüchte, Spekulationen, Vermutungen – aber die dürfen nicht gedruckt werden. Schriftlich gibt es nichts. Offiziell auch nicht.

Für eine unabhängige TV-Sendung bekommt Asiaplus keine Genehmigung, ein Rundfunksender wartet ebenfalls vergeblich. Asiaplus erscheint mit einer Auflage von 8.000 Exemplaren, 5000 davon bleiben als Abonnements im Raum Duschanbe. Abonnements regelt der Staat. Die 5000 Exemplare gehen also direkt an den Staatsapparat. 3 % der Haushalte haben ein Radio, 3,6 % ein TV-Gerät. Im Programm drehen sich langhaarige Tänzerinnen, dudeln herzergreifende Soaps oder prügeln sich harte Männer. Ob die Bewohner im Pamir überhaupt wissen, dass in ihrem Land Wahlen stattfinden? Eher wohl nicht.

Unter diesen Umständen ist es schon ein riesiger Fortschritt, dass es eine Zugangsquote für Mädchen aus Bergdörfern an die Universitäten des Landes gibt. Dass sie nicht ausgeschöpft wird, weil die Eltern weder Kleidung noch das Schul- oder Wohngeld für die Mädchen bezahlen können, spielt eine untergeordnete Rolle

Gespräch mit Journalisten in Duschanbe. Eine Stunde vorher ist eine Bombe in der Nachbarschaft hochgegangen, deshalb sind weniger Gäste da als zugesagt hatten.

 

Traditionelle Frauenrolle

Die Frauen, die mit mir in großer Runde sitzen, sind so verschieden, wie Frauen nur sein können: Junge moderne, westlich gekleidete Frauen, ältere Frauen in Landestracht, mit Kopftuch oder Schleier, ohne Kopftuch, mit elegant drapiertem Schal, wärmend und die Tradition respektierend zugleich. Einige sind lethargisch, andere sprühen, wollen mir voller Feuer von ihren Nöten berichten. Viele, sehr viele von ihnen engagieren sich in NGO.

Als ich erzähle, dass ich zwar Politikerin bin, aber Kinder groß gezogen und Eltern gepflegt habe, bekomme ich deutlich gespanntere Aufmerksamkeit. Auf die Frage, ob es in Deutschland Frauen gäbe, die ihre Kinder allein erziehen müssen, gebe ich ehrliche Antwort. Allerdings: Den tajikischen Frauen kommen die Männer „abhanden“, wenn sie in Russland arbeiten und Geld nach Hause schicken. Unsere Männer kommen uns meist „abhanden“, weil wir uns scheiden lassen. Ein Wort für „Scheidung“ gibt es im Tajikischen offenbar nicht. „Scheidungsrate“ bringt meinen bemühten, jungen, deutschlanderfahrenen Dolmetscher in gewisse Übersetzungsschwierigkeiten.

Tajikische Männer versorgen ihre Frau/en mit Wohnung, Kleidung, Nahrund und Liebe. Wenn alle vier Voraussetzungen ausreichend vorhanden sind, gibt es neben der privilegierten Hauptfrau noch einige Nebenfrauen. Der gesellschaftliche Status der vierten Nebenfrau ist immer noch höher als der einer Frau „ohne Mann“. Sie haben durchschnittlich fünf bis sieben Kinder, keine Hilfsmittel im Haushalt, kein sauberes Wasser, keinen Strom, kein Gas, jedenfalls nicht so, wie wir es kennen. Damit haben sie Arbeit, viel Arbeit in ihrem Haushalt und mit den Kindern.

 

Seminar über Frauenpolitik in Duschanbe

49,8 % der Bevölkerung ist männlich, 50,2 % weiblich. Wie kann das funktionieren mit der Polygamie? So viel Frauenüberschuss ist das ja nicht. Offenbar werden die allein gebliebenen Migranten-Frauen von den daheim gebliebenen Männern zumindest mit Liebe versorgt. Ob das die 20 % Abtreibungsrate erklärt? Den Mädchenhandel? Die Selbstverbrennungen, bei denen Frauen sich angeblich nicht töten, sondern Aufmerksamkeit und Zuwendung erreichen wollen? Vermutlich. Niemand weiß es wirklich, nichts weiß man hier genau.

Aber die Frauen lachen, sie plaudern fröhlich in den Pausen, in denen es Kaffee, Tee, Brote und Gebäck gibt. Das gehört dazu. Sie gehören ganz unterschiedlichen Parteien an, vertragen sich aber prächtig. Eines ist allen gleich: Sie wollen sich politisch engagieren, sie wollen gern ins Parlament, sie wollen eine Demokratie. „Wie lange braucht eine Demokratie bis sie erwachsen ist?“ werde ich immer wieder gefragt. Motivierend deute ich die Spanne einer Generation an. Wenn ich diese jungen, tüchtigen, interessierten Frauen und die jüngeren, gebildeten Männer sehe, möchte ich wirklich daran glauben. Sicher bin ich nicht.

Diskussion über Parlamentarismus in Deutschland mit Studenten, die alle gut deutsch können: diese junge Generation lässt hoffen für eine demokratische Zukunft in Tajikistan.

„Tajikische Frauen brauchen viel Schutz, wenn sie für das Parlament kandidieren wollen!“ sagt eine selbstbewusste ältere Frau, die sich als Kandidatin vorgestellt hat, allerdings ohne ihre Parteizugehörigkeit zu nennen. Die 800 Dollar? Sie winkt ab, dafür gäbe es NGO’s. Spontan frage ich sie, ob sie sich interparlamentarische Patenschaften westlicher weiblicher Abgeordneter für tajikische Kandidatinnen als hilfreich vorstellen könne? „Wir brauchen starken Schutz,“ sagt sie, „wir tajikischen Frauen stehen unter dem besonderen Schutz unseres Präsidenten.“ Überflüssig zu sagen, dass sie der volksdemokratischen Partei des Präsidenten angehört. Was der Präsident sagt, ist richtig, was er tut, ist gut. Der Präsident steht einem demokratischen Parlament, bestehend aus Unterhaus und Oberhaus vor.

Wie oft das Parlament tagt, weiß niemand, auch die männlichen Kandidaten, die Politiker, all die schwarzhaarigen Männer in ihren Lederjacken und dicken Pelzmützen nicht. Die Schätzungen bewegen sich zwischen viermal jährlich und „immer“ – so steht es auch auf der Website der Regierung: Das Unterhaus arbeitet „konstant und professionell“.

Niemand weiß, welches Volumen der Staatshaushalt hat. Der Präsident entscheidet. Er gibt Geld an die von ihm benannten Gouverneure, bei denen die Städte und Gemeinden sich ggf. um Unterstützung bemühen müssen. Erstaunlich mit welcher Kraft, mit welcher Motivation und mit welchem Optimismus diese Menschen an die Demokratie glauben. Ja, sie haben Zweifel, sie wissen, dass sie es nicht schaffen können, gewählt zu werden. Trotz alledem, sie wollen, sie wissen, dass sie noch Rückschläge erleiden werden, bevor Demokratie einzieht. Ein Tbilissi oder Kiew wird es in Duschanbe nicht geben. Von Parlamentarismus hat man keine reale Vorstellung.

Trotz der großen Armut im Land: das Interesse ist groß und das Lachen hat niemand verlernt.
Mit und ohne Kopftuch - für soziale Demokratie in Tajikistan

 

Parlamentarismus und Parteien

Lange reden wir über Immunität und Indemnität in Deutschland. Indemnität, ein Wort, das bei uns nur wenige sofort richtig einordnen können, dessen Inhalt bei uns aber selbstverständlichste Sache der Welt ist, wird hier plastisch deutlich. Es gibt sie nicht. Die Parlamentarier haben keine Möglichkeit, Parlamentarismus zu entwickeln. Niemand weiß so richtig, was das ist. Abstimmungen sind offenbar „konstant und professionell“ Abnickungen. Eine Opposition gibt es nicht, eine konstruktive Opposition schon gar nicht. Hier gibt es ja oder nein, gut oder böse. Kompromisse zu finden, scheint ein Zeichen von Schwäche zu sein.

Die wenigen Parlamentssitze, die die kommunistische Partei errungen (oder zugestanden bekommen?) hat, fallen nicht ins Gewicht. Sie unterscheidet sich nicht von der volksdemokratischen, der Regierungspartei. Anders die Islamische Partei der Wiedergeburt, eine gemäßigte, kooperationsbereite islamische Kraft, die zwischen den radikalen Islamisten und dem aggressiv säkularen Staat einen schwierigen Spagat vollbringt und vielfältigen Repressionen ausgesetzt ist. Ihr Parteivorsitzender will nichts versprechen, was nicht zu halten ist: Ernüchtert stellt fest, dass man in den vergangenen Jahren viel zu wenig erreicht habe, die Löhne seien zu gering, die Rentner arm. Man wolle die islamischen Traditionen stärken und die regionale Zusammenarbeit fördern. Nur mit Mehrheiten im Parlament ließen sich Lösungen finden. Woher er denn in dieser schwierigen Lage seine Motivation nähme, frage ich. Mein Dolmetscher gibt sich größte Mühe, das mit arabischen Worten, Koranversen und Gedichten versetzte Tajikisch zu übersetzen: „Mag das Pferd auch noch so schnell sein, der Esel gibt nicht auf“, lautet die Antwort.

Die Sozialisten beklagen die zweigeteilte Gesellschaft, in der es für 95 % der Bevölkerung keine Rechte und keine Rechtssicherheit gäbe, nur 5 % hätten von der größtenteils illegalen Privatisierung profitiert. Man habe eine gute Verfassung, die aber nur auf dem Papier stünde. Solange es keine Gewaltenteilung gäbe, sondern alle Macht in den Händen des Präsidenten läge und nichts gegen die allgegenwärtige Korruption getan werde, müsse es eine - unwahrscheinliche – Revolution oder eine entschlossene Reformpolitik geben, die nur durch Kooperation der Oppositionsparteien zustande kommen könne.

Bei der Diskussion über die Funktion einer Konstruktiven Opposition ist sogar kurz das Staatsfernsehen dabei (Kamera im Hintergrund). Im Bild Vertreter der Sozialistischen Partei, der Sozialdemokratischen Partei und der regierungsnahen Volksdemokratischen Partei.

Die Sozialdemokraten wollen sich für die Teilhabe der Bürger am rechtlichen und politischen Leben einsetzen, das Parlament soll die Gesetze machen und deren Umsetzung überwachen, es soll Kontrolle über den Haushalt haben. Vor allem müssten die Wahlen wirklich frei sein, die Regierungsmacht dürfe nicht darüber entscheiden, wer Abgeordneter werde. Die Bürger bräuchten eine sichere Gasversorgung, man brauche neue Technologien, höhere Gehälter, Stipendien für die Universitäten, Versorgung für die Rentner. Die etwa 20-30% Arbeitslosen müssten zu Fachleuten ausgebildet werden.

Programme hat man also, wie sie umgesetzt werden sollen, steht in den Sternen. Aber die Leute haben Kraft und Motivation, das spürt man überall. Sie sind freundlich, aufmerksam, reden miteinander, lachen, strahlen Zuversicht und ehrliches Wollen aus. Sie werden es schaffen. Irgendwie, irgendwann. Die Idee der Demokratie ist in diesen Köpfen als Ziel angelegt.

Die Vertreter der Regierungspartei und etliche hochrangige Staatsangestellte verweisen immer wieder auf die sichtbaren Erfolge, die das Land bereits erreicht hat: die Stabilität nach dem Friedensvertrag, man versuche, die abgelegenen Bergregionen besser einzubinden, die Schulen und Universitäten arbeiten, man verzeichne ökonomisches Wachstum und versuche, die Arbeitslosigkeit zu bekämpfen, die Mobilität zu verbessern.

Seminar: Aufgaben einer Parlamentarierin
Im Festsaal von Gissor findet die Diskussion reges Interesse, gekommen sind in diesem kleinen Ort aber überwiegend regierungsnahe Vertreter, darunter allein drei Kandidaten der Volksdemokratischen Partei, die alle drei auf einen Sitz im Parlament hoffen.
seitengetrennt: Hier die Männer ...
... da die Frauen

 

Leben in Duschanbe

 Mobilität: In Duschanbe gibt es die breiten, sechsspurigen Straßen aller ehemaligen sowjetischen Länder. Nur wenige Autos fahren darauf, überwiegend alte russische Autos. Die Staatsbusse wirken komfortabel. In der Innenstadt dürfen neuerdings die privaten Mikrobusse, die einen Hauptteil des Öffentlichen Personenverkehrs bewältigt haben, nicht mehr fahren. Warum weiß niemand: Weil es so viel Unfälle damit gab? Weil die kleinen privaten Betreiber nicht zu kontrollieren sind? Weil sie – das behaupten wirklich viele Menschen – den Präsidenten gestört haben? Jedenfalls kommen die Studenten nicht mehr pünktlich zur Uni, die Staatsbusse sind teuer, fahren ohne Fahrplan und unregelmäßig. Sie sind sauer. Und alles, worüber sie sich ärgern, stärkt den Wunsch nach mehr Mitwirkung, nach eigener Gestaltung von Politik, stärkt die Bereitschaft, das eigene System mit dem anderer Länder zu vergleichen.

Ja, dieses Land hat schon viel erreicht. Vor allem: es darf diskutiert werden. Die NGO dürfen ins Land und dort arbeiten. Tajikistan ist zweifellos noch keine Demokratie in unserem Sinne. Ein rätselhaftes Land, dem wir aber die Fortschritte wirklich nicht absprechen dürfen.

Das sehen auch die vielen NGO so. Sie haben eine Basis, auf der sie unermüdlich weiter arbeiten, in kleinen Schritten aufbauen, langsam und behutsam Entwicklungsarbeit leisten. Deutsche Institutionen wie der DAAD haben gewaltige Erfolge: selbst während der Semesterferien sind die Studenten, die deutsch lernen, hoch motiviert, mit einer deutschen Parlamentarierin zu reden. Sie kommen in großer Zahl. Ich bin erstaunt über die guten Deutschkenntnisse, die gute Beteiligung an der Diskussion, die Vorkenntnisse, die gezielten Fragen. Auf diese Generation kann das Land große Hoffnungen setzen.

Oder die OSCE, die Medien- und Wahlbeobachtung macht. IFES bildet Helfer für die Wahlen aus, verhandelt, dass in den 3000 Wahllokalen die Stimmen direkt ausgezählt werden sollen. Man hat noch keine Zusage, dass die ausgezählten Stimmen in Protokollen festgehalten werden, die durch unabhängige Beobachter gegengezeichnet oder als Kopie ausgegeben werden. Die Wahlurnen werden nicht gekennzeichnet sein. Betrug und Manipulationen werden nicht auszuschließen sein. Was geschieht mit den Protokollen? Was mit den Stimmzetteln? Wird jeder und jede Wahlberechtigte wirklich selbst wählen? Oder wählt ein Mitglied gleich für die ganze Familie? Vielleicht auch öfter? Wie können in Ländern, deren Bevölkerung kaum weiß, dass Wahlen sind, Wahlbeteiligungen von über 80 % erreicht werden? Fragen über Fragen.

 

Trotz ständigem Stromausfall - intensives Interesse in Gissor. Eine Lampe geht noch.
... sehr verschieden ist das Publikum und ebenso vielseitig sind die Diskussionen.
Tajikistan ist Mitglied vieler internationaler Organisationen. UNO. IMF, Weltbank, OSCE – wird die internationale Staatengemeinschaft am Nasenring vorgeführt bei den Wahlen? Ist etwas dran an den Gerüchten, dass der Präsident und seine Gouverneure sich ihre Abgeordneten selbst aussuchen, dass lange vor den Wahlen darüber entschieden sei, wer ins Parlament kommt und wer nicht? Am 27. Februar 2005 sind die Wahlen in Tajikistan. Glück auf – hoffentlich werden das Wahlen, die das Land der Demokratie wieder ein Stück näher bringen.
Ein heiliger Baum (angeblich 2000 Jahre alt), der mit in kleinem Stoff-Fetzen gebundenen Wünschen und Bitten behängt wird. Im Hintergrund sitzt ein Imam mit einer gläubigen Frau im Gebet.
Führung durch die alte Koranschule in Gissor

 

zurück zur Übersicht