Plenarrede zum Antrag von Bündnis 90 / Die Grünen „Umweltfreundliche Stromversorgung von Schiffen in Häfen unterstützen“ (Manuskript) |
30. November 2006 |
Anrede Präsident/in,
liebe Kolleginnen und Kollegen,
ein spannendes Zukunftsthema hat uns die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN da am späten Plenarabend beschert und zuallererst gebührt Ihnen dafür durchaus Dank, liebe Kolleginnen und Kollegen. Ihr Antrag enthält eine Fülle absolut richtiger und wichtiger Informationen. Kein Wunder, - ist er doch in vielen Passagen nahezu wortgleich mit der Empfehlung der EU-Kommission über die Förderung der Landstromversorgung von Schiffen in Häfen vom Mai 2006. Und zumindest eine Bitte der Kommission erfüllen Sie damit: den Punkt 5 der Empfehlung, das maritime Umfeld zu sensibilisieren für dieses wichtige Thema. Damit hört meine Begeisterung dann aber auch schon auf. Schade, dass Sie sich nur um Schiffsliegeplätze sorgen, die in der Nähe von dadurch lärmbelasteten Wohngebieten liegen. Durch meine Mitarbeit in Seemannsmission und Deutschem Nautischem Verein weiß ich, welche Probleme durch Übermüdung der Besatzungen entstehen, die gequält durch den ständigen Motorenlärm der Hilfsdiesel nicht ausreichend schlafen können. Man muss sich die Frage stellen, ob Sie sich überhaupt wirklich mit dem Problem befasst haben, selbst ob Sie über mögliche Realisierungschancen der Landstromversorgung überhaupt ernsthaft nachgedacht haben: 1. Die Landstromversorgung ist nur eine der Möglichkeiten, von Schiffen ausgehende Schadstoffe in Häfen zu reduzieren. Die für 2010 geplante Reduzierung des Schwefelgehalts auf 0,1 Prozent bei Kraftstoffen, die Schiffe in Häfen verbrauchen, ist eine weitere. Darüber hinaus blasen Schiffe ihre Abgase ungefiltert in die Luft – auch mit Filtertechniken wäre viel zu gewinnen, letzteres übrigens nicht nur in Häfen, sondern auch auf den Meeren. 2. Die Landstromversorgung müsste für viele Arten sehr verschiedener Schiffe konzipiert werden: Was für kleinere Schiffe, die oft im Hafen liegen, bereits erfolgt, weil es umweltfreundlich und durchaus wirtschaftlich sein kann, ist auch für Fähren mit immer gleichen Routen, Liegeplätzen und einem geringeren Stromverbrauch im Hafen durchaus darstellbar und wird ja auch schon praktiziert. Auch für andere Schiffstypen würde die Entwicklung zeitnah erfolgen können und kann durchaus sinnvoll sein. Kritisch allerdings wird es für solche Schiffe, die z. B. bei wechselnden Routen und Häfen sehr viel Energie für ihre Ladung - z. B. für Schwergut, für Ladungspumpen etc. - brauchen oder während der gesamten Hafenliegezeit eine hohe Zahl von Kühlcontainern versorgen müssen. Der Strombedarf eines solchen Schiffes wird mit fünf bis sieben Megawatt angenommen. Das sind Spitzenlasten, die zurzeit noch dafür sorgen würden, dass ganze Stadtteile aufgrund der Sicherheitsmaßnahmen der EVU vom Netz fallen würden. Und wie stellt sich das bei mehren, ja bei vielen Schiffen gleichzeitig dar? 3. Und da zeigt sich das eigentliche Problem: die Häfen bräuchten leistungsstarke eigene Kraftwerke für die Versorgung der Schiffe. Und das, liebe Kolleginnen und Kollegen, wird dann richtig teuer. Das regelt man nicht über das BIMSCHG, was zudem rechtlich wohl auch ausgesprochen fragwürdig wäre! Teure Großinvestitionen der Energieversorgungsunternehmen mit den entsprechenden aufwendigen Planungen und kostenintensiven Maßnahmen in den Häfen, in der Zuständigkeit der Länder, der Hafenbetreiber und den von teuren Umrüstungen betroffenen Terminals, der Reeder, die ihre Schiffe entsprechend bauen bzw. umrüsten müssen – dies alles wollen Sie über das BIMSCHG veranlassen? Entschuldigung, aber das lohnt noch nicht einmal ein Lächeln! Während die Empfehlung der EU-Kommission absolut ernst genommen werden muss, kann man über Ihren Antrag nur den Kopf schütteln. Natürlich müssen wir, sprich die Bundesregierung, gemeinsam mit den anderen Mitgliedsstaaten der EU bei internationalen Zusammentreffen der IMO und ISO energisch daran arbeiten, internationale Mindestanforderungen und harmonisierte Normen für die landgestützte Stromversorgung zu entwickeln! Was nützt es uns, wenn die Kontinente verschiedene technische Systeme aufbauen, die mit den eintreffenden Schiffen nicht kompatibel sind? Nichts! Im Gegenteil: dann sind Schiffe von ökologisch und ökonomisch bewussten Reedern teuer ausgerüstet worden und fahren ihr Equipment nutzlos auf den Meeren herum. Und wie überzeugen wir die Energieversorger, dass sie in große Kraftwerke investieren, wenn nicht sicher ist, dass die Schiffe – allein deutsche Reeder haben im Moment über 700 Neubauten geordert – auch so ausgerüstet sind, dass sie Landstrom für ihre Hafenbetriebszeiten überhaupt abnehmen können? Die Industrie, zumal die deutsche Industrie, ist perfekt vorbereitet: Namhafte Anbieter sind mit marktfähigen Entwicklungen in Vorleistung getreten und haben die politischen Entwicklungen der nächsten Jahre antizipiert. Sie verdienen unsere volle politische Unterstützung! Die Probleme, die zu bewältigen sind, liegen ja nicht nur in der Menge des verfügbaren Stroms, sie liegen auch in den unterschiedlichen Spannungen von Land- und Schiffsstrom. Es braucht also Umspannstationen, Transformatoren, entsprechende Höchstspannungskabeltrommelsysteme, die passgenau zwischen Schiff und Landstation sind. Außerdem muss die Frequenz der 50-Hz-Landversorgung für die auf 60 Hz ausgelegten Bordnetze kompatibel gemacht werden. Das sind technische Herausforderungen, die sehr kostenintensiv sind, die auch nicht über das BIMSCHG oder eine gemeinsame Planung von Bund, Ländern und Energieversorgern allein zu bewältigen ist. Was passiert denn bei Stromausfall - bei dem Spitzenbedarf? Haben Sie überhaupt bedacht, dass wir neue Sicherheitsrisiken mit zu bewältigen hätten? Einig sind wir aber sicherlich darin, - dass wir uns intensivst mit dem Thema befassen müssen, - dass die Industrie unsere Unterstützung bekommt, innovative Lösungen zu erarbeiten, - dass die IMO internationale Mindestanforderungen schnellstmöglich definieren und die ISO die Schnittstellen klären muss, damit die „Stecker auch in die Dose passen“, - dass die für die Häfen zuständigen Länder ein eigenständiges politisches Interesse an „sauberen“ Häfen haben müssen, - dass die Reeder bei zukünftigen Schiffsneubauten vorausschauend planen müssen, denn immerhin sind einige amerikanische Häfen bereits seit Jahren zumindest konzeptionell Vorreiter auf dem Weg zur landgestützten Stromversorgung. Und wenn das alles auf einem guten Weg ist, dann – liebe Kolleginnen und Kollegen - bin ich sicher, dass auch unsere Haushälter und Finanzpolitiker wissen, dass deutsche Häfen im europäischen Verbund wettbewerbsfähige Strompreise brauchen. Bis dahin ist aber noch ein vor allem technisch harter Weg zurückzulegen, bei dem immer die Einzelfallprüfung, die je einzelne Abwägung des Nutzen-Kosten-Verhältnisses der geeigneten Lösung zur Schadstoff- und Lärmreduzierung von Schiffen in Häfen voran stehen muss. Fazit: Ihr Antrag ist gut gemeint, aber nicht gut gemacht. Er hilft umweltpolitisch nicht wirklich, schafft neue Probleme statt die richtige Entwicklung nachdrücklich zu unterstützen – kurz: Blinder Aktionismus schüttet nur das Kind mit dem Bade aus! |