Plenarrede zum Antrag der Fraktion DIE LINKE "Privatisierungsfolgen seriös bilanzieren - Privatisierungen aussetzen" und zum Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über den Bau und die Finanzierung von Bundesfernstraßen durch Private (Fernstraßenbauprivatfinanzierungsgesetzänderungsgesetz) " |
26. April 2007 |
Sehr geehrter Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen,
Privatisierungen und Öffentlich-private Partnerschaften aussetzen möchte DIE LINKE Fraktion und wer nur den Schafspelz des Wolfes sehen will, mag gute Ansätze daran finden: Selbstverständlich muss jeder Privatisierung eine gründliche Nutzen-Kosten-Analyse vorausgehen, selbstverständlich müssen möglichst alle Aspekte potentieller Veränderungen bedacht werden, ebenso selbstverständlich ist die Notwendigkeit von Evaluierungen, von Verhältnismäßigkeit und Zielgerichtetheit solcher Entscheidungen. Die von den LINKEN aufgelisteten Faktoren müssen – je nach konkreter Privatisierungsabsicht – ganz gewiss in der Prüfung der jeweiligen Einzelfallentscheidung seriös bedacht und geprüft werden. Und gerade uns als Sozialdemokraten ist wichtig, dass Standorte und Arbeitsplätze sicher und zukunftsfähig sind, dass jeder Arbeitsplatz, der erhalten oder geschaffen werden kann, sorgsam gehütet wird. Wir setzen unsere ganze Kraft dafür ein, ein positives wirtschaftspolitisches Klima und starke Arbeitnehmervertretungen zu fördern, für uns ist der Einsatz für soziale Gerechtigkeit und angemessene Löhne eine ständige Herausforderung! ABER: Ihr vorliegender Antrag verlangt eine Bilanzierung aller Privatisierungen seit 1995, bei der überhaupt nicht klar wird, was eigentlich der politische Nutzen der Ergebnisse sein soll? Ist das eine Arbeitsbeschaffungsmaßnahme, die ganze Abteilungen im Regierungsapparat für längere Zeit lahm legen soll, bis die ca. 23 Leitzordner mit Antworten gefüllt wären? Was soll der politische Mehrwert einer solchen Bilanz eigentlich sein? Wollen Sie Preisveränderungen, die mit Markt und Wettbewerb zu tun haben, auf Privatisierungen reduzieren? Wollen Sie feststellen, ob der Anteil von Sonn- und Feiertagsarbeit sich in staatlichen oder privaten Krankenhäusern unterscheidet? Möchten Sie zusätzliche Schichtarbeit in modernen Industriebetrieben, die durch eine hervorragende Auftragslage bedingt ist, als Folge der Privatisierung veralteter Staatsbetriebe verteufeln? Steckt die platte Dämonisierung, die platte Gleichsetzung von Privatisierung und Entlassung von Arbeitskräften hinter Ihrem Antrag? Lässt Stamokap grüßen? Ich habe einen konstruktiven Vorschlag für Ihren Kraut-und-Rüben-Antrag: Herr Dr. Schui, Sie sind – für alle offensichtlich - erkennbar als Initiator des Antrages. Sie haben doch immer noch das Promotionsrecht. Warum loben Sie nicht Dissertationsthemen zu den Privatisierungsfolgen aus? Finden Sie keine Doktoranden dafür und nun soll die Bundestagsverwaltung herhalten? Doktoranden könnten dann als eigene Leistung - die notwendige Differenzierung, Kategorisierung und Explizierung vornehmen, - könnten feststellen, dass der von Ihnen in Anspruch genommene DGB-Antrag mit dem Hinweis auf die Organisationsprivatiserung der Bahn und deren soziale Folgen weitaus legitimer war als der jetzt von Ihnen vorgelegte, - und würden vor allem die Begriffe Strukturwandel und weltweiten Kampf um Technologieführerschaft ergänzen. Was in Ihren Überlegungen – oder sollte ich besser sagen Privatisierungsalbträumen – nun gar nicht vorkommt, ist der Umweltschutz. Keine Frage nach den Reduzierungen von Schadstoffen und CO 2 durch die Stilllegung völlig veralteter Industriebetriebe und ihren Ersatz durch moderne, technologisch höchst fortschrittliche Unternehmen! Nein, Sie bleiben uns die Erklärung schuldig, welchen politischen Wert die Klärung der Frage hat, ob Bahn- oder Postreform sich auf die Frauenquote unter den Beschäftigten ausgewirkt haben, oder wie Unterschiede zu bewerten sein mögen zwischen der Schichtarbeit bei VW oder im ÖPNV? Also, ich bleibe dabei: Was gut für wissenschaftliche Zuarbeit sein mag, ist noch lange nicht ausreichend als Grundlage für parlamentarische Entscheidungen! Und wenn Sie, Herr Dr. Schui, dann entsprechende Doktoranden fänden, die Ergebnisse kritischer Dissertationen ließen sicher die Prognose zu, dass die ökonomistische Brutalität des marxistischen Keynesianismus noch offenkundiger ist als die herrschender neoklassischer Lehren. Herzlich Willkommen in der politischen Wirklichkeit! Und darüber hinaus wollen Sie dann auch noch das Fernstraßenbauprivatfinanzierungsgesetz zu Grabe tragen und keine weiteren ÖPP-Projekte zulassen. Was ist denn falsch daran, wenn wir versuchen, mehr Effizienz durch die Partnerschaft von öffentlicher Hand und privaten Unternehmen zu generieren? Was ist falsch daran, dass wir versuchen, privates Kapital für die schnellere Realisierung von Infrastruktur einzuwerben? Ist es falsch, wenn wir mit weniger Steuermitteln mehr und schneller Verkehrsinvestitionen tätigen können? Sie betonen zwar die „Unterfinanzierung im Verkehrswegebau“, lehnen aber alternative Finanzierungsmethoden wie ÖPP ab und bezeichnen sie gar als „Irrweg“. Wieso sollte es ein Irrweg sein, mehr privates Kapital in die Finanzierung der Verkehrswege einzubinden? Kennen Sie eigentlich die Prognosen zur Entwicklung des Verkehrsaufkommens? Sind Ihnen die massiven Steigerungen insbesondere im Güterverkehr bewusst? Ist Ihnen bewusst, dass die öffentlich-private Partnerschaft in den F-Modellen nicht nur Akquise privaten Kapitals ist, sondern auch einen – wenn auch kleinen - Einstieg in die Nutzerfinanzierung von Straßen bedeutet? Und glauben Sie wirklich, dass mautpflichtige Straßenabschnitte für Personenfahrzeuge keine Akzeptanz in der Bevölkerung hätten? Bei der Warnowquerung in Rostock passieren täglich rund 10.000 Fahrzeuge den Tunnel. Sind die Interessen von über 10.000 Menschen Ihnen nicht eine Beachtung wert? Ich will gar nicht bestreiten, dass die Betreiber zu Beginn mit 20.000 täglichen Fahrzeugen wesentlich höhere Erwartungen hatten und ihre Prognosen ändern mussten. Das heißt aber doch, dass man aus diesen Fehlern eines Pilotprojektes lernen sollte. Die künftigen Verkehrsprognosen müssen immer aktuell, umfassend sein und kritisch beleuchtet werden. Mit der Verlängerung der Vertragslaufzeit wurde bei der Warnowquerung übrigens ein für alle Beteiligten gangbarer Weg entwickelt, der dem Lebenszyklusansatz der Projekte durchaus entspricht. Außerdem wurden in diesem Projekt bei einem Investitionsvolumen von 219 Mio € insgesamt nur 26 Mio € aus EU Mitteln, vom Land und der Stadt gemeinsam aufgebracht, der Bund wurde gar nicht belastet. Auch Ihr zweiter Beleg für ein vermeintliches Scheitern des Gesetzes, der Lübecker Herrentunnel, ist bei genauerem Hinsehen nicht angebracht. Sie kritisieren, dass der Zuschuss des Bundes dort „sogar 50 %“ betrug. Das ist richtig, aber richtig ist auch: Der Bund hat den Bau zwar finanziell unterstützt, aber: der Herrentunnel hat die Herrenbrücke im Zuge der Bundesstraße 75 ersetzt, deren Straßenbaulastträger der Bund war. Der schlechte bauliche Zustand hatte den Ersatz der Brücke erforderlich gemacht, der Bund hätte diesen leisten müssen. Der Bund hat der Hansestadt Lübeck deshalb in Höhe der ersparten Aufwendungen für den Bau und Betrieb eines Ersatzbrückenbauwerks in jährlichen Raten nach Baufortschritt einen so genannten Sockelbetrag in Höhe von 87,8 Mio. € zur Verfügung gestellt. Das heißt, hier entstand ein mit Blick auf die Hafenwirtschaft in Lübeck und die Schifffahrt gewünschtes Projekt, das den Bund nicht mehr Geld kostete als eine weniger leistungsfähige Standardlösung. Das, was sie als komplett gescheiterte Modelle darstellen, ist so gescheitert also nicht. Dennoch ist es richtig, dass beim Fernstraßenbauprivatfinanzierungsgesetz Verbesserungsbedarf besteht. Das können Sie übrigens bei uns schon im Koalitionsvertrag nachlesen, der eine Weiterentwicklung und Stärkung der öffentlich-privaten Partnerschaften vorsieht. Und daran arbeiten wir intensiv. Wir wollen und werden ÖPP weiter voranbringen. Für mich bleibt der größte Nutzen öffentlich-privater Partnerschaften nach wie vor die angemessene Risikoverteilung: jeder Partner soll das Risiko übernehmen, das er am besten beherrscht und für den Part verantwortlich sein, worin er besser als sein Partner ist. Ein weiterer Vorteil ist – auch wenn DIE LINKEn das abstreiten - die Effizienzsteigerung, die durch viele andere nationale, vor allem aber auch durch internationale Erfahrungen deutlich belegt wird. Leider sind wir noch nicht so weit wie z. B. Großbritannien. Die Briten haben einen ÖPP-Anteil von gut 15% bei ihren Investitionen, also deutlich mehr Erfahrung als wir. Oder nehmen Sie Großprojekte wie den Flughafen in Athen, der – auf der Basis einer einzelgesetzlichen Grundlage - in kürzester Zeit unter Wahrung der archäologischen Schätze Griechenlands pünktlich zur Olympiade fertig gestellt werden konnte – sollten wir wirklich die Erfahrungen deutscher Unternehmen, die dabei gewonnen wurden, nicht in unserem Land nutzen? Sollen wir verzichten auf die Erfahrungsfortschritte der beim Verkehrsministerium angesiedelte PPP Task Force? Sollen wir verzichten auf die Kompetenz unserer Verkehrsinfrastrukturfinanzierungsgesellschaft anstatt sie auszubauen? Wir müssten mit dem Klammerbeutel gepudert sein, wenn wir uns nicht bemühten, Standards für Ausschreibungsverfahren und Wirtschaftlichkeitsvergleiche fortzuentwickeln und an der Verbesserung der ÖPP-spezifischen Rahmenbedingungen zu arbeiten. In Deutschland beträgt das Investitionsvolumen von ÖPP-Projekten mit Vertragsabschluß allein im Hochbau schon 1,4 Mrd. €. Und auch Ihr Vorwurf, das Fernstraßenbauprivatfinanzierungsgesetz würde nicht mehr angewandt, stimmt schlicht nicht. Der Bund lässt die Eignung von Bundesfernstraßenabschnitten wie z.B. den Albaufstieg oder die Weserquerung auf ihre Eignung als F-Modelle prüfen. Immer wird es sich dabei um Einzelfallentscheidungen handeln, denn natürlich ist nicht jedes Projekt ÖPP-geeignet. Öffentlich-private Partnerschaften sind nicht per se ein Allheilmittel. Wirtschaftlichkeitsuntersuchungen, Machbarkeitsstudien und aktualisierte Nachfrageprognosen müssen die Sinnhaftigkeit von ÖPP-Projekten belegen. Das Interesse der Privaten ist natürlich auch davon abhängig, ob eine angemessene Rendite für das eingesetzte Kapital zu erwarten ist. Und für die wirtschaftliche Entwicklung sind vorgezogene Investitionen in Infrastruktur nicht falsch, sondern sinnvoll. Wir sind weder bei öffentlich-privaten Partnerschaften allgemein noch beim Fernstraßenbauprivatfinanzierungsgesetz am Ende des Weges angelangt. Aber stehen zu bleiben wäre verantwortungslos – deshalb werden wir mit allem Nachdruck an der weiteren Verbesserung der Rahmenbedingungen für ÖPP in Deutschland arbeiten!
|