Manuskript der Rede „Ausweis für Seeleute“

11. November 2004

 

Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen,

 

im Juni 2003, unmittelbar nachdem 129 Mitgliedsländer der ILO - mit allen Stimmen der deutschen sowie der amerikanischen Delegation - das neue Übereinkommen über Identitätsausweise für Seeleute angenommen hatten, appellierte der Verband Deutscher Reeder „an die Bundesregierung und die Gesetzgebungsorgane, die innerstaatliche Gesetzeslage rasch an das neue Übereinkommen anzupassen und dessen Ratifizierung unverzüglich in die Wege zu leiten“, damit „es zu einer schnellen internationalen Anwendung des Übereinkommens kommt, um bereits eingeleitete regionale Eigenentwicklungen künftig zu verhindern, die nicht im Interesse der weltweiten und nationalen Seeschifffahrt liegen.“

Eigentlich ganz im Sinne der Regierung, denn schon die G8-Gipfeltreffen 2002 in Kanada und im Juni 2003 in Frankreich hatten diese Forderung aufgestellt.

Diese hochrangigen Bemühungen und der Appell der Reeder hatten und haben einen sehr realen Hintergrund: Die Internationale Konvention der IMO zum Schutz von Schiffen und Häfen vor terroristischen Anschlägen, der sogen. ISPS-Code, der auf Drängen Amerikas Ende 2002 beschlossen und über die SOLAS-Vereinbarung schnellstmöglich, nämlich zum 1. Juli 2004, international in Kraft gesetzt wurde, hatte die Fragen der Identitätskontrolle von Schiffsbesatzungen ausgespart. Hier musste also dringend nachgearbeitet werden.

 

Dringend? Wieso dringend?

Weil nach den Anschlägen vom 11. September das internationale Bemühen um „Security“ eine überragende Bedeutung gewann, sich aber niemand Gedanken darum machte, dass die 90 % des Welthandels, die über Schiffe abgewickelt werden, Arbeitskräfte brauchen, die an Bord dieser Schiffe arbeiten, die ihren Arbeitsplatz „Schiff“ in Häfen erreichen müssen. Besatzungen  – will man sie nicht wie Gefangene am Arbeitsplatz behandeln, sondern ihnen ihre ganz normalen Menschenrechte zugestehen – müssen in Häfen zum Landgang von Bord dürfen. Reeder haben ein absolut verständliches Interesse daran, den Crew-Wechsel so reibungslos wie möglich vollziehen zu können: Die Identität von Seeleuten muss auf verlässlicher, modernster und international einheitlicher Grundlage kostengünstig und schnell feststellbar sein, damit eine ausgewogene Balance geschaffen wird zwischen den Sicherheitsbedürfnissen der Staaten, den individuellen Menschenrechten der Seeleute und den Handelsinteressen der Wirtschaft.

Dies alles wurde mit der ILO Konvention 185 erreicht. Unsere französischen Nachbarn haben z. B. sehr schnell ratifiziert: Die „ILO 185“ wird zum 9. Februar 2005 in Kraft treten.

Jeder Seemann soll einen international gleichen Identitätsausweis erhalten, ein Dokument, das ihm die aktive Berufsausübung bescheinigt, das später ggf. ein biometrisches Merkmal enthält, ein Dokument, dessen Daten für Kontrollen in einer international stets zugänglichen nationalen Datenbank gespeichert ist: das Dokument, das ihm nach internationalem Übereinkommen ohne weitere Bürokratie den Landgang und zusammen mit seinem Pass möglichst auch die visumsfreie Durchreise zum Schiffswechsel oder zum Heimaturlaub ermöglichen soll. Sicherheitsbegründete Ausnahmeregelungen sind selbstverständlich möglich.

Aber: Deutschland hat die Konvention wider Erwarten bisher nicht ratifiziert, sondern ist immer noch mit der Prüfung befasst.

Und genau hier setzt der eigentlich einmütige Wille des Parlaments – quer über alle Fraktionen des Bundestages – ein: Wir wollen, dass die Prüfung schnellstmöglich zu Ende gebracht, die Ratifizierung vorgenommen, in nationales Recht umgesetzt und vor allem so schnell wie möglich zur Realität gebracht wird! Die Unterschiede bezüglich des möglichen Verzichts auf  ein Visum in den Anträgen der Fraktionen dürfen wir bei dieser Debatte getrost vernachlässigen: sie kommen, wenn überhaupt, erst zum tragen, wenn es die nationale gesetzliche Implementierung der Prüfungsergebnisse gibt. Und gerade bei der Visumsfrage sollten wir einen ergänzenden Blick auf die vom europäischen Rat geplante Datenbank des Visa-Informationssystems VIS werfen, das incl. der biometrischen Daten bis Ende 2007 verwirklicht sein soll.

Warum haben wir Parlamentarier es denn so eilig? Warum drängen wir in Form von Anträgen und einer Plenardebatte die Ministerien zur Eile, wenn doch schon seit mehr als einem Jahr geprüft wird?

 

Liebe Kolleginnen und Kollegen, werfen Sie mit mir einen Blick auf die derzeitige Praxis in vielen Häfen der Welt: Landgang ist für Seeleute aufgrund der kurzen Liegezeiten ihrer Schiffe inzwischen auch ohne Sicherheitshintergrund schon schwierig geworden.

Für viele von ihnen ist er inzwischen unmöglich.

Zahlreiche wichtige Welthäfen haben seit dem 1. Juli 2004 derart komplizierte, bürokratische Sicherheitsvorschriften, dass die Zeit nicht reicht, all die bürokratischen Anforderungen zu erfüllen – so  wird  Verzicht auf Landgang erzwungen.

In vielen Häfen dürfen Seeleute aus islamischen Ländern überhaupt nicht mehr von Bord.

In manchen Häfen darf die ganze Besatzung nicht von Bord, wenn die Angaben eines einzelnen Seemanns (meist islamischer Herkunft) angezweifelt werden. Selbst schwer kranke Seeleute durften in amerikanischen Häfen nicht von Bord zur Behandlung gebracht werden. Das erinnert fatal an Rassendiskriminierung!

Oder stellen Sie sich vor, was mir aus dem Hafen Hamburg berichtet wurde: Ein Seemann darf sein Schiff zum Landgang verlassen und soll, weil sein Schiff inzwischen zum Laden oder Löschen an einen anderen Kai verholt, dort nach drei Stunden wieder seine Arbeit antreten. Er kann aber nicht an Bord, weil an dem anderen Terminal andere Sicherheitsvorschriften gelten, die er vorher nicht kannte.  Was dann?

Pakistanische Besatzungsmitglieder durften in Brunsbüttel nicht einmal zum Landgang von Bord um mit ihren Familienangehörigen zu telefonieren.

Oder denken Sie an all die Reedereien, die ihre Crew – wie üblich - in irgendeinem Hafen der Welt auswechseln wollen: und die alte Besatzung darf nicht von Bord, darf nicht zum Flughafen, um zum nächsten Schiff zu kommen oder den verdienten Heimaturlaub anzutreten. Auch das ist übrigens in unserem Welthafen Hamburg geschehen.

Wie viele Besatzungen mussten deshalb schon weiterarbeiten, an Bord bleiben, obwohl der Heuervertrag zu Ende war! Wie viel Leid bei Seeleuten, wie viel unnötige Kosten bei Reedereien sind daraus bereits entstanden!  Seeleute werden wirklich zu Gefangenen auf ihren Schiffen – das kann so nicht bleiben, das muss schnellstens geändert werden.

Landgang ist für den Seemann ein ebenso grundlegendes Menschenrecht wie das Recht darauf, seinen Arbeitsplatz erreichen und verlassen zu dürfen. Was würden wir sagen, wenn man uns in unseren Häusern einsperrte, Besucher nicht durchlässt und uns das Verlassen des Hauses aus Sicherheitsgründen untersagt? Das ist nicht vergleichbar? Oh doch! Denn auch Besuch darf der Seemann in vielen Häfen nicht mehr empfangen. Da ist z. B. die Kapitänsfrau, die nach langer Anreise zu ihrem Ehemann in der Schleuse Kiel-Holtenau nicht an Bord durfte.

Und selbst den Diakonen der Seemannsmission und den Vertretern der Gewerkschaft wird das Betreten der Schiffe unendlich schwer gemacht: Sie sind es, die wenigstens noch Kontakt zur Außenwelt schaffen können, die Medikamente, Briefe von Angehörigen oder die dringend benötigten Telefonkarten bringen könnten – wenn man sie ließe. Aber auch da sieht es schlimm aus: Seemannsdiakone berichten davon, dass sie sich beim Zugang zum Hafen ausweisen müssen, am Terminal noch einmal und an Bord des Schiffes ein drittes Mal – in vielen Fällen müssen sie ihren Identitätsnachweis abgeben, was nach Verbrauch von Personalausweis und Führerschein dann letztlich schwierig wird.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, da können wir nicht tatenlos zusehen! In jedem Hafen, an jedem Kai, auf jedem Schiff andere Sicherheitsbestimmungen – so kann kein Seemann arbeiten.

Und genau deshalb, aus dieser Verantwortung der Arbeitgeber für ihre Besatzungen heraus, kam auch der eingangs erwähnte Appell der Reeder, dass wir für eine schnellstmögliche Umsetzung der Konvention 185 sorgen sollen.

Und deshalb nun die einmütige Aufforderung der Fraktionen an die Mitarbeiter in den Ministerien, die dort ihrer Prüfarbeit nachgehen: Bitte denken Sie daran, dass auf den Schiffen Menschen arbeiten, Menschen mit dem Bedürfnis nach unbürokratischem Landgang, mit dem Bedürfnis, ihren Arbeitsplatz zu erreichen und verlassen zu können, mit dem Bedürfnis, zurück in die Heimat zu ihrer Familie zu fahren. Um mehr geht es nicht, aber auch nicht um weniger!

Was unsere französischen Nachbarn können, wollen wir auch: nämlich schnellstmöglich die ILO Konvention 185 ratifizieren. Seeleute dürfen nicht de facto über ihren Beruf als potenzielle Terroristen diskriminiert werden.

129 Länder-Delegationen haben im Wissen um den ISPS-Code im Juni 2003 ihr Bestes getan, um die Menschenwürde der Seeleute, die Handelsinteressen der Reeder und die Sicherheitsbedürfnisse der Staaten in Einklang zu bringen.

Die Ausweise für Seeleute, den damit visumsfreien Landgang und die erleichterte Durchreise – wo immer vertretbar – ohne Visum, aber mit internationalem Seemannsausweis und nationalem Pass, hätte es – als Gebot der Menschenwürde - bereits zum 1. Juli 2004 geben müssen! 

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich danke Ihnen für die – trotz kleiner Differenzen – doch im Kern breite überfraktionelle Unterstützung zur Ratifizierung der ILO-Konvention 185.

 

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