Plenarrede zur Ratifizierung der ILO-Resulotion 163
(Soziale Betreuung von Seeleuten) 

21. Febuar 2002
 

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Sie erinnern sich: Im März letzten Jahres kollidierten der Tanker Baltic Carrier und das Frachtmotorschiff Tern vor der Kadetrinne in der Ostsee. Zur Reparatur lief die Tern Rostock an. Lassen Sie uns für wenige Minuten an Bord der "Tern" zu den philippinischen, rumänischen und polnischen Seeleuten gehen. Durch die Kollision schwer traumatisiert, darf die Besatzung dennoch nicht von Bord, muss aufräumen, steht oft knöchelhoch im Ölschlamm. Das Misstrauen der griechischen Schiffsleitung macht die seelsorgerische oder psychologische Betreuung der Besatzung unmöglich. Telefonieren ist erlaubt: 5 Minuten pro Mann und Tag unter Aufsicht der Schiffsleitung oder eines Reedereivertreters. Nach einer Woche darf die Besatzung erstmals von Bord, aufatmen im Seemannsclub, ungestört und lange mit der Familie telefonieren, Seelsorge wird möglich, auf Wunsch der Besatzung wird eine gemeinsame Andacht gehalten.

Begleiten Sie mich nun nach Hamburg, in den Duckdalben, eine von zahlreichen Seemannsmissionen weltweit: Sonntag Abend, 19.00 Uhr. Ein Seemann aus Tuvalu bittet um Teststreifen für sein Diabetes-Messgerät von einem deutschen Hersteller. Bis Montag Mittag sollten sie wohl zu besorgen sein. Die Realität sieht anders aus. Das Testgerät wurde in Frankreich gekauft, die passenden Teststreifen gibt es nur dort. Die Internationale Apotheke braucht 14 Tage, um sie zu besorgen. Vom Duckdalben wird der Kollege in Le Havre angerufen, er kauft eine ausreichende Menge Teststreifen, schickt sie auf schnellstem Weg voraus zum nächsten Hafen: In Felixtowe wartet der Diakon mit den Teststreifen auf den Seemann aus Tuvalu. Das ist "soziale Betreuung von Seeleuten", liebe Kolleginnen und Kollegen. Ohne die Missionen wären Seeleute manchmal völlig hilflos, ohne Telefonkarten oder -zellen, allein zwischen Containern, Kränen und Kaimauern, garantiert auch kein Taxi weit und breit.

Kennen Sie das weltweit einschlägige Symbol für festen Boden unter den Füßen? Es ist der Billardtisch! Können Sie sich die unbändige Freude des nigerianischen Seemanns vorstellen, der, mitten im tiefen Winter, in leichter Sommerkleidung von Bord kommt, im Seemannsclub zufällig einen Fußball sieht, fragt, ihm ein ganzjährig bespielbares Fußballfeld bestätigt und die Winterkleidung incl. fester Schuhe aus dem ITF-Fond gezeigt werden? Verwunderung im Club: Er lässt sich sofort zurück an Bord bringen. Dort erst zeigt sich das ganze Ausmaß seiner Begeisterung: Aus allen Ecken stürmen Seeleute, in Kochskleidung, in Blaumann, mit Helm, mit Sicherheitsschuhen, mit Badelatschen, so viele wie möglich quetschen sich in den Kleinbus, stürmen die Schuh- und Kleidungskiste im Club. Sie genießen das Fußballspiel, wie es wohl keiner von uns jemals nachempfinden könnte, sie haben einige schöne, entspannende Stunden erfahren. Zuwendung, Freude, Spaß, Vergnügen. Dank ITF und Seemannsmission eine gute, eine freundliche, eine liebevolle Visitenkarte eines deutschen Hafens.

1,2 Millionen Seeleute sind immer in der Fremde, fremd unter Fremden. Sie finden Fürsorge, Zuwendung, Freundlichkeit, Hilfe, wenn nötig: Sie dürfen ein Stück zu Hause sein im Seemannsheim, im Club, manchmal sogar in der Home Mission, der Aufnahme in die Familie des Seemannsdiakons. Und freuen Sie sich mit mir über Swaanke, ganze eineinhalb kleine Jahre alt, ist sie Sonnenschein und Maskottchen im Duckdalben. Tochter der Diakonin: sie hat schon so viel Zeit ihres kleinen Lebens im Club verbracht; schwarz, weiß, gelb oder braun, klein oder groß, laut oder leise, Bart oder Glatze - sie sieht all diese vielen Nationen, Kulturen, Sitten, Gebräuche - das alles ist selbstverständlicher Alltag für sie: Können Sie ermessen, was Seeleute empfinden, wenn sie - oft monatelang fern von der eigenen Familie, den eigenen Kindern - plötzlich solch ein kleines Knuddelkind treffen? Oder den Hauskater? "Support of Seafarer's dignity" - das kann man nicht kaufen. Das muss man leben. In unseren Missionen wird das gelebt. Und weil das Parlament des Deutschen Bundestages das weiß, findet diese unverzichtbare Arbeit unser aller Unterstützung, indem wir heute beschließen, dass die ILO-Resolution 163 ratifiziert werden soll. Dafür danke ich Ihnen allen, liebe Kolleginnen und Kollegen.

 

 

zurück zur Übersicht