Rede vom 29.07.02 im CCH, Hamburg, vor dem 16. Weltkongress der internationalen Lotsen-Vereinigung IMPA

(deutsche Fassung)

 

Anrede,

für die große Ehre, Ihre heutige erste Arbeitssitzung zum Thema "Pilots serving the Public Interest" eröffnen zu dürfen, bedanke ich mich herzlich. Nach dem deutschen Gesetz über das Seelotswesen ist der Lotse der ortskundige (revier-) und schifffahrtskundige Berater des Kapitäns. Er braucht für die Ausübung seines Berufes eine behördliche Zulassung und hat vorher zur Qualitätssicherung eine vorgeschriebene Ausbildung und Erfahrensseefahrtszeit zu durchlaufen.
Das Gesetz schreibt bei uns die Rechtsstellung des Lotsen als Freiberufler und als Mitglied einer Lotsenbrüderschaft vor, die eine unmittelbare Körperschaft des öffentlichen Rechts ist.
Ebenfalls gesetzlich geregelt ist die Vorhaltung und Unterhaltung der Lotseinrichtungen, also der Versetzfahrzeuge und der Lotsenstationen, außerdem legt die Bundesregierung eine für alle Lotsen und Schiffe verbindliche Gebührenordnung fest, die gewährleistet, dass Lotsen mit ihrer Dienstleistung keine Gewinne machen dürfen und alle Schiffe gleichbehandelt werden: Nur dadurch ist der diskriminierungsfreie Zugang zu den Häfen gewährleistet. Die Definition des Revierlotsen legt zusätzlich fest, dass der Lotse aufgrund "besonderer beruflicher Qualifikation persönlich, eigenverantwortlich und fachlich unabhängig seine Leistungen im gemeinsamen Interesse der Schifffahrt und der Allgemeinheit erbringt". Die Lotsen sind damit in erster Linie der Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs für alle Verkehrsteilnehmer, d.h. der Gesamtschifffahrt auf ihrem jeweiligen Revier und dem Schutz der Umwelt verpflichtet, sie sind persönlich verantwortlich für ihr Handeln und haften auch entsprechend.
"Typisch deutsch!" können Sie nun sagen, "alles überreguliert!" "Nicht überreguliert, sondern zwingend notwendig!", antworte ich darauf. Die klare gesetzliche Verpflichtung auf das Allgemeinwohl, auf das allgemeine wirtschaftliche Interesse stärkt den Lotsen in seiner Rechtsstellung gegenüber dem direkten einzelnen Auftraggeber: Sie alle werden immer wieder die Erfahrung gemacht haben, dass Reeder, Charterer, Hafenbetrieben oder auch Kapitäne Druck auf den Lotsen ausüben, die Wirtschaftlichkeit ihres gerade gelotsten Schiffes vor die Sicherheit, vor die Leichtigkeit aller anderen, vor den Schutz der Umwelt zustellen. Gerade deshalb ist die rechtlich abgesicherte, fachliche, disziplinarische und wirtschaftliche Unabhängigkeit des Lotsen von größter Bedeutung.
Dem Allgemeinwohl verpflichtet, heißt übrigens keineswegs unwirtschaftlich. Ganz im Gegenteil: Gerade die Organisation der Lotsen in der Reihenbört, d.h. die permanente Verfügbarkeit und Rufbereitschaft ausgeruhter Lotsen, 24 Stunden, Tag und Nacht ohne jegliche Wartezeiten für ein Schiff, Gleichbehandlung aller Schiffe, ob groß oder klein, ob Konzern oder Einzeleigner zu festgelegten Tarifen ohne Gewinnperspektive für die hochqualifizierten Lotsen - wirtschaftlicher und leistungsstärker kann einfach kein qualitätssicheres privatwirtschaftliches System arbeiten.
Entsprechend hoch ist der Sicherheitsstandard in unseren Revieren, die Unfallrate bewegt sich im Promillebereich, die Pünktlichkeit der Schiffe ist gewährleistet, den Belangen der Umwelt wird immer Rechnung getragen. Gerade in unseren Tidegewässern ist Pünktlichkeit ohne Wartezeit unverzichtbar: Das Verpassen einer Tide könnte Verzögerungen von 8 bis 10 Stunden mit den entsprechenden Kosten für das Schiff bedeuten. Und natürlich wird dieser Anspruch - zu Recht - von den Reedern und Charterer erhoben. Die ehrbaren Kaufleute waren es übrigens, die vor fast 400 Jahren die Hamburger Admiralität veranlassten, für die erste regulierte Lotsordnung zu sorgen: Sie wollten ihr Eigentum an Schiff und Ladung vor Schäden durch "wilde Lotsen" und Strandräuber bewahren, die Obrigkeit wollte den Handel durch eine sichere Zufahrt zum Hafen Hamburg fördern und die Kapitäne konnten sicher sein, einen wirklich ortskundigen Berater für ein angemessenes Entgelt zu bekommen. Und genau dieses System trägt im Grunde heute noch.
Aber, meine sehr verehrten Damen und Herren, die Zeit ist fortgeschritten. Die Schiffe werden immer schneller, deutlich größer, technisch komplizierter, anspruchsvoller. Diese rasante technische Entwicklung umfaßt auch die Manövriertechnik und die navigatorischen Hilfsmittel. Lotsen müssen also ständig auf der Höhe des technischen Fortschritts bleiben und sich weiterbilden. Da sie vor allem präventiv in potentiellen Gefahrensituationen wirken müssen, brauchen sie Managementfähigkeiten, persönliche Souveränität, Durchsetzungsvermögen, Entscheidungsfreude - und dazu ein ausgeprägtes Verantwortungsbewußtsein.
Und damit kommen wir zu einem Punkt, an dem Deutschland m.E. nicht gerade wegweisend ist und nicht Beispiel für andere Länder sein sollte: Während seit Jahrzehnten für Lotsen eine Erfahrenszeit von 6 Jahren als Kapitän auf großer Fahrt sowie eine Fachhochschulausbildung vorgeschrieben waren, wurde 1997 die Erfahrenszeit auf 2 Jahre reduziert und 1998 wurde das STCW-Abkommen in nationales Recht umgesetzt und damit der Kapitän auf großer Fahrt abgeschafft. Die Einhaltung der IMO-Mindestausbildungsstandards mag für viele Länder ein deutlicher Fortschritt sein. Wenn für das Lotswesen aber damit die Eingangsvoraussetzungen zurückgeschraubt werden, obgleich die Anforderungen ständig höher werden, dann ist das alles andere als vorbildlich und Sie alle sollten in Ihren Ländern darauf achten, dass niemand dem Beispiel Deutschlands folgt.
Ähnliches gilt m.E. für die Diskussion "Englisch als Reviersprache", die von einigen Ländern als fortschrittlich begriffen wird. Ich kann darin keinen Fortschritt erkennen, sondern höchstens den Versuch, indirekt die Lotsenannahmepflicht aufzuweichen. Sie wissen selbst am besten, dass die IMO - Standardredewendungen nicht ausreichen können, beim Ausfall von Maschine oder nautischer Technik in einer akuten Gefahrensituation angemessen zu reagieren, um Schäden von Schiff und Ladung und der Umwelt erfolgreich abzuwenden. Es ist also sinnvoll, neben dem sprachlichen IMO-Mindeststandard klare Priorität auf die Nutzung der Revier-Heimatsprache zu setzen, wenn die Kommunikationspartner beide dieser Sprache mächtig sind. Welch eine absurde Idee, die jeweiligen Heimatsprachen bei der Bewältigung potentieller Konflikte, im Dienst am Allgemeinwohl, der Sicherheit verpflichtet, durch eine gemeinsame Fremdsprache zu ersetzen.
Und ich will gar nicht behaupten, dass unterschiedliche Nationen unterschiedliche Weisen der Nutzung der englischen Sprache haben - und damit vielleicht ein Inder, der einen russischen Hafen anläuft, schwieriger zu verstehen sei; nein, wir brauchen uns nur zu fragen, wie eigentlich 4 Engländer miteinander reden, wenn einer aus Nordirland, der andere aus Schottland, der dritte aus Wales und der vierte von der Isle of Man kommt? Und damit stehen wir mitten in der Frage, was wäre, wenn die Lotsen nicht dem Allgemeinwohl dienten, sondern das Lotswesen der Privatisierung geöffnet würde. Sie wissen, dass das unter dem Stichwort "Port Package" zur Zeit in Europa heiß diskutiert wird.
Wehren Sie sich, meine Herren, wehren Sie sich mit allem, was sie legal nutzen können! Gewinnen Sie die Politiker Ihrer Länder zur Unterstützung, überzeugen Sie gemeinsam Ihre Regierungen, dass es im Lotswesen keine Privatisierung geben darf! Es gibt heute bereits in begründeten Fällen, in denen Kapitäne für ihr Schiff nachweisen können, dass sie über die entsprechende Revierkenntnis verfügen und eine ausreichende Zahl von Anläufen nachweisen können, die entsprechende Befreiung. Das ist in Ordnung, auch wenn keineswegs immer gewährleistet ist, dass der Kapitän auch ausgeruht und nicht von ständigen Hafenanläufen in kurzer Folge völlig übermüdet ist.
Lotsen im Dienst eines Reeders sind wirtschaftlich abhängig, also dem betriebswirtschaftlichen Erfolg des Arbeitgebers verpflichtet. Lotsen, die eingebunden sind in die Logistik eines Containerterminals, verhelfen diesem zu deutlichen Wettbewerbsvorteilen gegenüber Konkurrenten - neue Umschlagbetriebe hätten von vornherein keine Chance. Lotsen im Dienst von Schiffsmaklern und Schiffsagenturen helfen genau denen, die zu hohe Lotskosten beklagen, ihren eigenen Profit auf Kosten der Lotsen zu steigern. Glauben Sie, dass ein privatisiertes Lotswesen noch einen diskriminierungsfreien Zugang zu den Häfen gewährleisten könnte? Ich halte das für ausgeschlossen. Die großen Schifffahrtskonzerne würden ihre eigenen Reedereilotsen haben, diese Schiffe fallen damit aus der Kostenkalkulation heraus. Folge: die kleinen Betreiber zahlen entweder deutlich höhere Kosten oder müssen notgedrungen Wartezeiten in Kauf nehmen, weil die ständige Rufbereitschaft von Lotsen unvermeidbar teurer werden müsste.
Deregulierung hat - wo sie durchgeführt wurde - zu entsprechenden Ergebnissen geführt, außerdem ist dort fatigue zu einem Problem auch bei den Lotsen geworden, die Unfallhäufigkeit hat zugenommen: Das Great Barriere-Reef mit einem Anstieg der Unfälle um nahezu 400 % ist das abschreckendste Beispiel dafür.
Das zeigt übrigens, dass mit einer Privatisierung des Lotswesens auch der jeweilige Nationalstaat seiner Pflicht für die Kontrolle der Verkehrssicherheit, die Gewährleistung des diskriminierungsfreien Zugangs zu den Häfen, die Sicherung der Leichtigkeit des Verkehrs, dem Umweltschutz und damit ggf. der Verhütung immenser volkswirtschaftlicher Schäden, aber auch der Sicherung der Aus- und Fortbildung und der Fortentwicklung des Verkehrssicherheitssystems nicht mehr nachkommen kann.
Ist Ihnen, meine sehr geehrten Herren Lotsen, überhaupt bewußt, welch eine Schlüsselfunktion Sie sowohl für die verladende Wirtschaft als auch für ihre Nationalstaaten einnehmen? Ihr Wissen, Ihr Know How, Ihre fachliche Qualifikation sind es, über die der Staat seine Pflichten im Bereich des maritimen Handels erfüllt.
Deshalb ist es auch eine öffentliche Aufgabe im allgemeinen wirtschaftlichen Interesse, dass die Staaten sich mit Nachdruck und größten Einsatz darum bemühen, ausreichend qualifizierten Nachwuchs auszubilden. Weltweit ist der Mangel an nautischem Offiziersnachwuchs seit Jahren nicht mehr zu übersehen. Nautische Offiziere müssen eine berufliche und damit auch finanzielle Perspektive haben, die so interessant und lohnend ist, wie Ihr Ausfall, meine Herren, dramatisch für die betroffenen Länder wäre!
Seien Sie sich dessen bewußt!
Nehmen Sie die Politiker ihrer Staaten in die Pflicht! Sie haben jedes Recht dazu - aber bitte denken Sie auch daran, dass Politiker von Ihrem beruflichen Umfeld im allgemeinen keine Vorstellung haben. Was Sie selbst ihnen nicht zur Kenntnis bringen, können sie auch nicht wissen, beachten, beheben!
Kenntnisse über Ihre Sorgen sind eine Bringpflicht! Bringen Sie also Ihre Betroffenheiten den Politikern zur Kenntnis!
Ich selbst freue mich nun darauf, aus Ihrer anschließenden Diskussion für die Fortentwicklung des Lotswesens in Deutschland zu lernen und bedanke mich für ihre Aufmerksamkeit.

 

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