Plenarrede zum Thema "Ladenschluss" |
29. Oktober 1999 |
Frau Präsidentin!
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und
Kollegen!
Einkaufen rund um die Uhr – das klingt zunächst einmal ganz verlockend. Aber nur die Hälfte der Verbraucher, vor allem Jüngere und Berufstätige, nutzt die seit 1996 verlängerten Ladenöffnungszeiten, - und dies nur von Donnerstag bis Samstag. Der Einzelhandel hatte sich von der Liberalisierung eine Umsatzsteigerung von 20 Milliarden DM und uns 50.000 neue zu schaffende Arbeitsplätze versprochen. Das Gegenteil ist eingetreten: Der Umsatz stagniert seit Anfang der 90er Jahre kontinuierlich, und 150.000 Arbeitsplätze sind im Einzelhandel verloren gegangen. Nur gut ein Fünftel der Verkaufsstellen – das waren überwiegend Lebensmittelsupermärkte, Kaufhäuser und große Fachgeschäfte in attraktiven Citylagen - nutzt überhaupt die Möglichkeit der verlängerten Öffnungszeiten an mindestens zwei Tagen; die meisten bleiben darunter. Der Kostendruck, der dadurch zustande kommt, dass ständig größer werdende Verkaufsflächen und längere Öffnungszeiten bei gleichbleibendem Umsatz zu einer verringerten Produktivität führen, wurde im Personalbereich aufgefangen. Die Gutachten belegen, dass insbesondere die Unternehmen, die längere Öffnungszeiten genutzt haben, in erheblich größerem Maße Arbeitsplätze abgebaut haben. Die kleinen, inhabergeführten Geschäfte und der ländliche Raum waren die Verlierer dieser Entwicklung. Der Strukturwandel im Einzelhandel hat sich durch die längeren Öffnungszeiten deutlich beschleunigt. Deshalb wundert es auch nicht, dass die kleinen Einzelhändler und die große Mehrheit aller Beschäftigen keine weitere Freigabe der Ladenöffnungszeiten wollen. Vollzeitbeschäftigte und Führungspersonal beklagen sich über die hohen Belastungen durch Schichtarbeit und durch die unzumutbar kurzen Planungsvorlauf bezüglich ihrer wechselnden Arbeitszeiten. Es handelt sich dabei überwiegend um Frauenarbeitsplätze: Mich interessiert wirklich, wie nach den Vorstellungen der FDP von Frauen, die möglicherweise wechselnden, kurzen Arbeitszeiten rund um die Uhr eingesetzt werden und dazu noch niedrige Einkommen haben, Kinderbetreuung geleistet werden soll. So etwas geht doch überhaupt nicht. Der ÖPNV ist immer noch nicht abgestimmt auf die veränderten Ladenöffnungszeiten, und die langen abendlichen Heimwege sind mit erheblichen Sicherheitsrisiken verbunden. Würden wir eine völlige Liberalisierung einführen, wären davon wieder die Kommunen in erheblichem Umfang betroffen. Andererseits müssen wir natürlich zur Kenntnis nehmen, dass etliche unserer Nachbarländer den Schutz durch Ladenschlussgesetze nicht haben und damit in Grenzregionen natürlich ein Wettbewerbsdruck entsteht. Außerdem ist ein Regelungsbedarf vorhanden, wenn wir den lockeren Umgang verschiedener Bundesländer und Kommunen mit der Fülle von Ausnahmebestimmungen und Sonderregelungen des Ladenschluss-Gesetzes in Verbindung mit Erlebnistourismus verfolgen. Metropolen wie Berlin, Frankfurt, München, wollen verständlicherweise ihre Weltoffenheit und Attraktivität auch internationalen Verbrauchern präsentieren. Das allein setzt uns aber nicht unter einen irgendwie gearteten aktuellen Handlungsdruck. Denn der Wunsch mobiler, junger Verbraucher nach mehr Einkaufsflexibilität steht den Bedürfnissen anderer Verbrauchergruppen gegenüber. Was machen denn eigentlich die älteren Menschen, die Kinder und Jugendlichen, die Behinderten und die Immobilen in unserer Gesellschaft, wenn sich, wie in den vorliegenden Gutachten ganz klar prognostiziert, ein harter Verdrängungswettbewerb entwickelt, bei dem die Großen sich behaupten und die Kleinen auf die "geschickte Besetzung von Marktnischen" verwiesen werden? Sollen wir unser Ziel der wohnortnahen Arbeitsplätze wirklich aufgeben, den ländlichen Raum veröden, weiteren Arbeitsplatzabbau forcieren und Zwangsmobilität schaffen? So kann Wirtschaftspolitik nicht wirken wollen. Insofern hat Herr Beck recht, wenn er sagt, dass hier Wirtschaftspolitik und das Ladenschlussgesetz gestaltend eingreifen müssen. Frau Kopp hat die Entwicklung des E-Commerce ins Feld geführt, um die Freigabe zu begründen: E-Commerce schluckt einen Teil des Umsatzes vom Gesamtkuchen. Dieser Anteil wird größer werden. Wir werden auch verhindern, dass technikfreundliche Verbraucher – das sind vor allem die Jüngeren und Berufstätigen – E-Commerce nutzen. Auch die können aber jede Mark nur einmal ausgeben. Solange wir also den Umsatz nicht erhöhen, ändert sich gar nichts. Niemand wäre auf die Idee gekommen, der Einführung von Geldautomaten und Telebanking durch eine Rundumöffnung der Banken begegnen zu wollen. Im Gegenteil: Mehr Service, bessere Dienstleistung, qualifizierte Beratung führen die Kunden zur Bank. Genau das ist es, was wir auch im Einzelhandel brauchen, wenn dieser nicht an Attraktivität verlieren, sondern sich im Gegenteil durch eine höhere Attraktivität gegenüber dem E-Commerce behaupten soll. Die Kirchen fordern zu Recht - das ist schon erwähnt worden - nachdrücklich den Sonn- und Feiertag als Ruhetag ein. Der Sonntag als Tag der Familie und der sozialen Lebensbezüge muss geschützt bleiben und darf in niemandes Belieben gestellt werden. Wir haben also ein ganz umfassendes Spektrum an unterschiedlichen, z.T. völlig gegenläufigen Interessen und Wünschen, die bei einer Neuregelung der Ladenöffnungszeiten, die es ganz sorgsam gegeneinander abzuwägen gilt. Deshalb müssen wir, so denke ich, abwarten. Die Bundesregierung hat mit der steuerlichen Entlastung der Familien und dem erhöhten Kindergeld für mehr Nachfrage gesorgt. Wir müssen abwarten, ob sich diese Entwicklung stabilisiert und auf den Einzelhandel auswirkt. Erst dann können wir prüfen, wie wir mehr Lebensqualität beim Einkauf schaffen, wie die Qualität der Beratung in den Geschäften erhöht werden kann und wie wir eine vielfältige Einzelhandelsstruktur in lebendigen Städten und wohnortnahe Einkaufsmöglichkeiten erreichen. Blinder Aktionismus oder übereilte Entscheidungen sind nicht angesagt. Zunächst müssen wir versuchen, uns bundesweit – zwischen Bund und Ländern - zu verständigen und die verschiedenen Interessengruppen einzubeziehen, bevor wir entscheiden, in welcher Form wir handeln müssen. Ich bedanke mich! |