"Haltung der Bundesregierung zur Fortgeltung des Ladenschlussgesetzes nach den Sanktionen gegen eine thüringische Friseurin" |
in der Aktuellen Stunde auf Antrag der F.D.P. |
28. September 2000 |
Frau Präsidentin!
Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Ich denke auch, dass diese Aktuelle Stunde eigentlich nur peinlich, absurd und des Parlamentes nicht würdig ist. Das müssen Sie als F.D.P. einfach begreifen. Wir wollen mit Ihnen nicht über esoterische Mondscheinsperenzchen reden. Wir wollen mit Ihnen genauso wenig über den Werbegag einer Unternehmerin oder darüber reden, wer hier eigentlich wen instrumentalisiert. Die Frage ist doch, ob die F.D.P. die Unternehmerin instrumentalisiert, damit sie uns hier eine Ladenschlussdiskussion aufzwängen kann, oder die Unternehmerin möglicherweise die F.D.P. instrumentalisiert; denn sie hat ihre Werbung bundesweit so hervorragend organisiert, dass auch diese Aktuelle Stunde de facto nichts weiter ist als eine Werbeveranstaltung für ihre Dienstleistung, Das muss man schlicht und einfach feststellen. Der Zweck heiligt auch nicht die Mittel. Ihrer absurden Logik können wir wirklich nicht folgen. Wenn jemand spendet, muss er nicht gegen Gesetze verstoßen. Dass es hier im Haus einige gibt, die mit Spenden gewisse Probleme haben wissen wir. Aber darüber sollten wir besser an anderer Stelle diskutieren. Das müssen wir nicht in einen Zusammenhang bringen. Wenn jemand ein Bußgeld nicht bezahlt und der Rechtsstaat daraufhin seine Mittel einsetzt, dann ist dies überhaupt keine Diskussion in diesem Parlament wert; denn dies ist nichts weiter als Ausübung dessen, was die Gerichte machen müssen. Sie behaupten nun, das Ladenschlussgesetz sei nicht mehr zeitgemäß. Ich frage: Wie sieht es denn bei den Geschwindigkeitsüberschreitungen aus, die schon mehrfach erwähnt wurden? Schaffen wir etwa die Straßenverkehrsordnung ab, weil sie nicht mehr zeitgemäß ist? Denken wir an andere Bereiche. Bedauerlicherweise sind die Kirchen meistens leer. Die Leute gehen nicht mehr regelmäßig in den Gottesdienst. Ist es deshalb nicht mehr zeitgemäß zu glauben? Viel zu viele Ehen, behaupte ich, werden geschieden. Ist es deshalb nicht mehr zeitgemäß, Ehe und Familie unter den Schutz des Gesetzes zu stellen? Nach ihrer Logik wäre das nicht mehr zeitgemäß. Dieser Logik wollen wir nicht folgen. Über sie können wir nicht diskutieren. Das, was im Moment nicht zeitgemäß ist, ist der Populismus, den Sie mit dem Thema des Ladenschlusses betreiben. Das ist peinlich und dem Diskussionsniveau in diesem Parlament nicht angemessen. Ich möchte Ihnen auch sagen, worüber wir gerne reden wollen. Das hängt ein bisschen mit der Ernsthaftigkeit der Diskussion über den Ladenschluss zusammen, weil es hier absolut unterschiedliche, aber auch durchaus berechtigte Interessen gibt, die gegeneinander stehen. Es gibt auf der einen Seite die kleinen Unternehmer, die mehr Umsatz in den Innenstädten haben wollen. Es gibt auf der anderen Seite die großen Konzerne, die ihren Gewinn optimieren wollen. Es gibt auch noch die Verbraucher, von denen laut Umfragen mehr als die Hälfte keine verlängerten Ladenschlusszeiten braucht. Es stellt sich des weiteren die Frage, warum denn eigentlich die geltende Regelung der Ladenöffnungszeiten bei weitem nicht ausgeschöpft wird. Es stellt sich auch die Frage, warum uns reihenweise die Untergliederungen und die Regionalverbände – nicht zuletzt die kleinen und mittelständischen Einzelhändler aus Berlin, einer Großstadt, der ich Weltstadtcharakter und damit ein Recht auf Liberalisierung zugestehe – trotz entsprechender Beschlüsse der Bundesverbände in Briefen inständig darum bitten, ihre Interessen hier entsprechend zu vertreten. Schauen wir uns auch einmal die Interessen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer im Einzelhandel an. Wie wollen die denn angesichts ständig wechselnder Arbeitszeiten ihre Kinder betreuen? Auch darüber müssen wir uns Gedanken machen. Wie sollen die noch genügend gemeinsam Freizeit haben, sodass sie miteinander Aktivitäten entfalten und miteinander reden können, ein Ehrenamt ausüben können und in Vereinen und Verbänden aktiv werden können? Alle diese Dinge müssen geklärt werden. Wir wollen, verehrte Frau Kopp, mit all diesen Betroffenen in Ruhe reden, um zu zeigen, dass wir ihre Wünsche und Forderungen ernst nehmen. Wir nehmen die Betroffenen ernst. Wir werden uns in aller Ruhe damit auseinander setzen: denn wenn das Ladenschlussgesetz geändert wird, soll es vernünftig geändert werden, sodass es den unterschiedlichen Interessen der Betroffenen auch tatsächlich entspricht, und zwar auf längere Zeit. |