29. Mai
2009
Nein zu
Verfassungs-Änderungen
Renate
Gradistanac stimmte im Bundestag gegen Föderalismusreform
II
Renate
Gradistanac hat am gestrigen Freitag im Deutschen Bundestag in
namentlicher Abstimmung gegen die Verfassungsänderungen zur
Föderalismusreform II gestimmt.
Gemeinsam mit
Kolleginnen und Kollegen ihrer Fraktion unterzeichnete die
SPD-Bundestagsabgeordnete die folgende persönliche
Erklärung:
„Ohne
die von den Finanzmärkten ausgegangene Weltwirtschaftskrise
hätten wir derzeit ausgeglichene öffentliche Haushalte.
Es war das Ergebnis wirtschaftlichen Wachstums der Jahre 2005 bis
2008, dass wir uns aus der Krise heraus wachsen konnten, anstatt
die Krise der vorangegangenen Jahre durch Sparen zu
verschärfen. Diese Entwicklung war vor allem von
sozialdemokratischer Wirtschafts- und Finanzpolitik geprägt.
Dieser Ausgleich der öffentlichen Kassen erforderte keine
verfassungsrechtliche Regelung.
Es bedarf
daher keines Beweises der Bereitschaft der Sozialdemokratie,
Schulden zu begrenzen und abzubauen. Auch unser Entwurf des
Regierungsprogramms zur Bundestagswahl 2009 ist der einzige
Wahlprogrammentwurf, der überhaupt die Frage der
künftigen Staatsfinanzen konstruktiv aufgreift und
Vorschläge zur Finanzierung künftiger Staatsausgaben
macht (zum Beispiel Börsenumsatzsteuer, Solidarbeitrag
für Bildung). CDU, CSU und FDP überbieten sich
gegenseitig mit Ankündigungen zu Steuersenkungen. Sie
beschwören einerseits die grundgesetzliche
„Schuldenbremse“, lassen andererseits aber jeden Ansatz
vermissen, wie sie die Schulden abbauen wollen.
Ihre
Vorschläge führen allesamt in höhere Verschuldung.
Dies gilt gerade auch für die Aussage der Kanzlerin, bei
Wachstum die Steuern zu senken. Dieses Geld würde für den
Schuldenabbau fehlen. CSU und CSU haben faktisch den Konsens der
Großen Koalition verlassen und den Anspruch verloren, in
dieser Frage die Einhaltung von Koalitionsabsprachen
einzufordern.
Dies gilt umso
mehr, als die Union derzeit jeden Versuch unternimmt, mit teuren
Geschenken an die eigene Klientel Wählerstimmen zu fangen. Wie
der Fall Hypo Real Estate (HRE) gezeigt hat, bekämpft sie
jeden Ansatz, die Lasten der Finanzkrise für den Staat durch
die Umwandlung von öffentlichen Hilfen in Eigentumstitel zu
begrenzen. Nur so könnte man aber den Steuerzahler nicht zum
reinen Bürgern degradieren, sondern auch an künftigen
Erträgen beteiligen.
Die
Weltwirtschaftskrise hat die Rahmenbedingungen für
öffentliche Haushalte dramatisch verändert. Niemand kann
heute die künftige ökonomische Entwicklung, die der
Finanzmärkte, die der vom Staat im Zuge der
Rettungsmaßnahmen eingegangenen Kredit- und
Bürgschaftsrisiken, die der Steuereinnahmen und der Ausgaben
für Krisenfolgen seriös voraussagen.
Eine starre
grundgesetzliche Regelung kann diesen Risiken keinesfalls gerecht
werden, geschweige denn den notwendigen politischen
Gestaltungsspielraum sichern. So hebt die Schuldenregel bei der
Frage des finanziellen Spielraums von Bund und Ländern allein
auf wirtschaftliches Wachstum oder Naturkatastrophen ab. Dringend
benötigte Investitionen in Bildung, Schulen und
Universitäten würden nur möglich sein bei einem
Tsunami in der Nordsee oder einem Erdbeben! Ländern und
Kommunen wird ein finanzpolitisches Korsett angelegt, das sie in
unverantwortlicher Weise lähmt oder/und zu Kostgängern
des Bundes degradiert.
Aus der
Vergangenheit wissen wir aber, dass gerade in Wachstumsphasen nach
Krisen hohe Defizite in Sozialkassen und öffentlichen
Haushalten entstehen, weil die Entwicklung der Steuer- und
Beitragseinnahmen sowie des Arbeitsmarktes dem Wachstum mit
zeitlicher Verzögerung folgt. In der Wirtschaftsgeschichte
fehlt es nicht an Beispielen für staatliche
Konsolidierungspolitik, die im Aufschwung Krisen verlängert
oder verschärft hat.
Seriöse
Modellrechnungen haben aufgezeigt, welche katastrophalen Folgen
für Wirtschaft und Arbeitsmarkt es gehabt hätte, wenn
eine Bundesregierung in diesem Jahrzehnt eine
„Schuldenbremse“ nach dem jetzt vorliegenden Modell
einzuhalten gehabt hätte: Selbst ohne Einbeziehung von
Ländern und Kommunen und der ökonomischen
Langfristwirkungen wäre die Wirtschaft um ca. 1,5 % weniger
gewachsen und die Arbeitslosigkeit in der Spitze um 500.000
Menschen höher gelegen.
Die Kommunen
werden die ersten Opfer der geplanten Neuregelung sein. Sie tragen
zwei Drittel aller öffentlichen Investitionen und sollen
Garanten der Daseinsvorsorge von Kinderbetreuung über soziale
Dienste bis zur Ver- und Entsorgung sein. Gleichzeitig leiden sie
besonders unter den Krisenfolgen, sowohl was die Sozialausgaben als
auch was die Einnahmen, v. a. aus der Gewerbsteuer, betrifft. Ihnen
fehlt es völlig an Möglichkeiten, unter dem Diktat der
geplanten neuen Finanzordnung eigene Gestaltungsspielräume zu
erhalten. De facto steht somit auch die kommunale Selbstverwaltung
auf dem Spiel.
Wir
können einer Verfassungsänderung nicht zustimmen, die den
politisch Verantwortlichen ab 2011 nur vor folgende Alternativen
stellt:
1. Massive
Steuererhöhungen, selbst bei rückläufigen
Ausgaben.
2. Massive
Ausgabenkürzungen im höheren zweistelligen
Milliardenbereich; dies würde nicht nur die Investitionen
weitestgehend zum Erliegen bringen, sondern massive Einschnitte in
soziale Leistungen bedeuten.
3. Bruch der
Verfassung.
4.
Änderung der Verfassung.
5. Eine
Kombination einzelner diese Alternativen.
Da keine
dieser fünf Möglichkeiten heute den Wählerinnen und
Wählern offengelegt wird und keine dieser Möglichkeiten
politisch wünschenswert ist, ist die grundgesetzliche
Schuldenbremse aus unserer Sicht nicht vertretbar. Es ist der
sechzigjährigen Geschichte, dem Charakter und der Aufgabe
unserer Verfassung völlig unangemessen, sie mit der
vorgesehenen detaillistischen und realitätsfremden Regelung zu
befrachten.
Eine klare
generelle Aussage zur Begrenzung staatlicher Kreditaufnahme und dem
Gebot eines mittelfristigen Ausgleichs eventueller Defizite unter
Verweis auf eine einfachgesetzliche Regelung würde dem
gewünschten Ziel näherkommen und zur Rechtssystematik des
Grundgesetzes passen. Da wir die Staatsschulden wirksam abbauen
wollen, sehen wir dies als tragfähige Alternative zum
vorliegenden Entwurf.
Die
Sozialdemokratie will den Staat handlungsfähig halten. Wir
wollen auch verhindern, dass die Masse der Steuerzahler und die
sozial Schwachen die Folgen der Krise tragen. Deshalb kann es eine
Regelung der Staatsschulden ohne eine gerechte Regelung der
Einnahmenseite nicht geben. Andernfalls entsteht der Verdacht, dass
der Staat mit seinen Krisenlasten zugunsten des Finanz- und
Unternehmenssektors zur ohnmächtigen Geisel der Welt- und
Finanzmärkte gemacht werden soll.
In Zeiten
massiver Steuereinnahmeausfälle, von Rettungsschirmen für
Banken und Unternehmen, von Bad Banks, von steigender Kurzarbeit,
Arbeitslosigkeit und sozialer Lasten stellt sich die Frage nach der
Lösung des Problems der Staatsverschuldung in dramatischer
Weise. Wir werden es mit praktischer Politik lösen.
Die
vorgeschlagene Verfassungsänderung wird dem angegebenen Zweck
nicht gerecht, sondern gefährdet die Glaubwürdigkeit
politischer Entscheidungsträger und beschädigt unser
Grundgesetz in unverantwortlicher Weise.“
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