Marty spricht von NATO-Geheimbeschluss
Europarat-Sonderbeauftragter Dick Marty sagte als Zeuge aus.
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Für den von der Parlamentarischen Versammlung des Europarats mit der Aufklärung der „Renditions“ beauftragten Schweizer Abgeordneten Dick Marty ist es „absolut unglaubhaft“, dass die europäischen Regierungen bis 2005 nichts von diesen rechtswidrigen Praktiken der CIA gewusst haben wollen. Zur Begründung verwies der liberale Politiker am Donnerstag, 26. März 2009, vor dem Untersuchungsausschuss nicht nur auf bereits lange vor 2005 publizierte Medienberichte zu den Verschleppungen Terrorverdächtiger mit getarnten Flügen zu Geheimgefängnissen in diversen Ländern, wo die Betroffenen möglicherweise auch misshandelt oder gefoltert wurden.
Marty erklärte zudem, angesichts eines NATO-Geheimbeschlusses
vom Herbst 2001 zum Anti-Terror-Kampf seien seiner Meinung nach
einzelne höchstrangige Regierungsmitglieder und
Geheimdienstler in den Bündnisstaaten über die
Renditions unterrichtet
gewesen. Eingeweiht gewesen seien der Regierungschef, einzelne
Minister oder die für Geheimdienste politisch
Verantwortlichen. Das sei von Land zu Land unterschiedlich
gehandhabt worden.
"Schily passt ins Schema"
Auf die Frage des FDP-Abgeordneten Hellmut Königshaus, ob dies in Deutschland der ehemalige Innenminister Otto Schily gewesen sein könnte, sagte der Europaratsbeauftragte: „Das passt theoretisch ins Schema.“ Konkret belegen könne er dies nicht.
Von ihm als glaubwürdig bezeichnete „Quellen“, die
er aus Gründen der Vertraulichkeit nicht offenlegen wolle,
hätten ihm die Existenz des NATO-Beschlusses bestätigt.
Aus Sicht Martys liefert diese Vereinbarung eine Erklärung
für das Verhalten europäischer Regierungen, die sich mit
dem Verweis auf „Staatsgeheimnisse“ einer
vollständigen Aufklärung der Renditions verweigerten.
"Deutschland von Praktiken nicht abgekapselt"
Der Ausschuss wollte von dem ehemaligen Staatsanwalt wissen, zu welchen Erkenntnissen er über eine Verwicklung der deutschen Regierung und hiesiger Stellen in die Renditions gelangt sei. Nach einem Bericht des von dem Gremium eingesetzten Sonderermittlers Joachim Jacob erfuhr Berlin mit mehrjähriger Verspätung nur von zweien solcher Flüge unter Einbeziehung des deutschen Luftraums.
Marty sagte, er glaube nicht, dass Deutschland von diesen Praktiken
„abgekapselt“ gewesen sei. Der Ausschussvorsitzende
Siegfried Kauder (CDU/CSU) insistierte gegenüber dem Zeugen,
es gehe um „Fakten“, nicht um „politische
Einschätzungen“. Konkrete Belege für eine
Verstrickung der hiesigen Regierung in die „Renditions“ habe er nicht, so der
Europaratsbeauftragte.
Keine Hinweise auf Geheimgefängnisse
Es sei nicht davon auszugehen, dass eine der CIA-Verschleppungsaktionen von der Bundesrepublik ausgegangen sei, auch habe er keine Hinweise auf von den USA hierzulande genutzte Geheimgefängnisse. Marty verwies allerdings auf die Entführung des Deutsch-Libanesen Khaled El-Masri nach Afghanistan.
Dessen dortige Befragung zu Details von Vorgängen in
Deutschland sei nach seiner Überzeugung nur aufgrund hiesiger
Informationen möglich gewesen. Aus seiner Sicht seien auch bei
der Verhaftung El-Masris in Mazedonien wie bei dessen späterer
Freilassung Informationen aus Deutschland im Spiel gewesen.
"Geheimbericht-Anbieter kein Abgeordneter"
Der Europaratspolitiker erklärte, ihm sei eine als geheim klassifizierte Version des für das Parlamentarische Kontrollgremium des Bundestags erstellten Regierungsberichts zu den Renditions angeboten worden, die über den veröffentlichten Text hinausgehe.
Der Rechtsausschuss der Parlamentarischen Versammlung in
Straßburg habe jedoch entschieden, darauf nicht einzugehen.
Den Namen dessen, der den Geheimbericht offeriert hat, wollte der
Zeuge nicht nennen. Auf Nachfrage sagte Marty indes, es handele
sich nicht um einen Abgeordneten.
Liste der geladenen Zeugen:
- Dick Marty, Sonderermittler Europarat
- K.W., Bundesnachrichtendienst