Europa und Afrika sind aufgrund von Geographie und Geschichte eng miteinander verbunden. Das hiesige Wissen über Afrika hält sich jedoch gemeinhin in Grenzen, speist sich oftmals allein aus reißerischen Berichten über viel Krieg und Armut auf dem Kontinent. Diese Sicht der Dinge zu differenzieren, ist Anliegen des anzuzeigenden Taschenbuches, eines Sammelbandes, der aus einer Sendereihe des Südwestrundfunks hervorgegangen ist. Über ein Dutzend Journalisten und Wissenschaftler schreiben - gut lesbar - über Geschichte und Kultur, Wirtschaft und Politik in Afrika.
Afrika kann auf eine bewegte Geschichte zurückblicken. Insbesondere in Westafrika, in jenen Regionen, die heute der Sahelzone zugerechnet werden, bestanden zwischen dem 9. und 16. Jahrhundert mehrere mächtige Großreiche (Ghana, Mali, Songhay). Sie gründeten nicht zuletzt auf der Kontrolle des Fernhandels in Richtung Mittelmeer. Exportiert wurden vorzugsweise Gold und Sklaven, importiert wurden Salz, Stoffe und Pferde. Zumeist Militäraristokratien, basierten sie - in der Landwirtschaft, zur Versorgung der Städte - auf dem massenhaften Einsatz von Sklaven. Namen wie Timbuktu erinnern noch heute an jene große Zeit (Andreas Eckert, Regula Renschler).
Afrika - Schwarzafrika - war nur eine vergleichsweise kurze Zeit Kolonie, vereinfacht ausgedrückt vom Ende des 19. Jahrhunderts bis etwa um das Jahr 1960. Die Nachwirkungen sind nichtsdestoweniger weitreichend. Eine wenig beachtete Folge zeigt sich insbesondere in Westafrika. Die Kolonialherren fassten zuerst an den Küsten, im Süden heutiger westafrikanischer Staaten, Fuß.
Dort siedelten zumeist animistische Gesellschaften. Christliche Missionare bauten nicht nur Kirchen, sondern auch viele Krankenhäuser und Schulen. Diese Bildungseinrichtungen ermöglichten sozialen Aufstieg. Nicht von ungefähr kam ein Großteil der ersten Führungsgeneration Schwarzafrikas aus solchen Missionsschulen.
Damit aber wurden im nachkolonialen Schwarzafrika vielerorts vorkoloniale Machtrelationen auf den Kopf gestellt. Vordem galten islamischen Herrschern im nördlichen Hinterland die schwarzafrikanischen Küstengesellschaften oftmals nur als Reservoir für billige Arbeitskräfte. Heute stellen eben diese die Eliten. Dies führte und führt nachgerade zwangsläufig zu Konflikten, zu einem Nord-Süd-Gegensatz in mehreren westafrikanischen Staaten.
Dieser Gegensatz ist nicht nur in Nigeria ein Problem. Und er wird von den jeweiligen Machthabern oft schamlos als Religionskrieg instrumentalisiert. Einzelne christlich-fundamentalistische Sekten spielen in solchen Auseinandersetzungen eine nicht minder problematische Rolle. Aufgrund der allgemeinen sozialen Not haben sie großen Zulauf (Michael Bitala).
Viele Bürgerkriege Schwarzafrikas mögen als Ausfluss von Religionskriegen oder Stammesfehden scheinen. Den jeweiligen Machthabern oder Warlords geht es jedoch fast ausschließlich um Macht und Geld. Sie instrumentalisieren solche Gegensätze und schüren die Emotionen (Georg Elwert). Dass auf dem Kontinent trotz alledem vielerorts noch so etwas wie Normalität herrscht, ist nicht zuletzt den Frauen Afrikas zu danken. Sie halten mit ungemeinem Geschick und Fleiß die Familien zusammen (Rita Schäfer). Das ist kein leichtes Unterfangen angesichts der schlechten Wirtschaftslage vieler Länder. Menschen - insbesondere die besser Ausgebildeten - und Kapital fliehen aus dem Kontinent.
Afrika läuft Gefahr, jeglichen Anschluss an weltwirtschaftliche Entwicklungen zu verlieren. Ihn mittels den Export einiger Rohstoffe halten zu wollen, ist illusionär (Robert Kappel).
Katja Böhler, Jürgen Hoeren (Hrsg.)
Afrika. Mythos und Zukunft.
Herder spektrum, Freiburg/B. 2003; 206 S., 9,90 Euro