Der große Lauschangriff verletzt in seiner geltenden Form die Menschenwürde und ist deshalb im Wesentlichen verfassungswidrig. Das hat das Bundesverfassungsgericht (BVG) am 3. März entschieden. Es verlangt in seiner 150 Seiten starken Urteilsbegründung, die akustische Wohnraumüberwachung künftig an deutlich strengere Voraussetzungen zu knüpfen. Bis zum 30. Juni 2005 hat der Gesetzgeber nun für eine entsprechende Neuregelung Zeit.
Der erste Senat des BVG ließ zwar die Grundgesetzänderung unbeanstandet, mit der eine Partei übergreifende Mehrheit 1998 dem Lauschangriff den Weg geebnet hatte. Seine Umsetzung in der Strafprozessordnung ist aber zum großen Teil verfassungswidrig. Nach den Worten der Richter schützt die Garantie der Menschenwürde einen "Kernbereich privater Lebensgestaltung", in die der Staat nicht im Interesse der Strafverfolgung eingreifen darf. Die Wohnung sei ein solches "letztes Refugium" und ein "unantastbarer Kernbereich privater Lebensgestaltung" der grundsätzlich nicht abgehört werden dürfe, heißt es in dem Urteil. Vertrauliche Kommunikation benötige "einen räumlichen Schutz, auf den die Bürger vertrauen können".
Bislang konnten sämtliche Gespräche in der Wohnung eines Beschuldigten abgehört werden, wenn der Verdacht bestand, dass er eine "besonders schwere Straftat" begangen hat, die mit anderen Methoden nicht hätte aufgeklärt werden können. Künftig soll der Inhalt des Gesprächs der entscheidende Indikator für eine Erlaubnis zum Lauschen sein. Abhörgeräte dürfen in Privatwohnungen demnach nur noch installiert werden, wenn "konkrete Anhaltspunkte" vorliegen, dass "Gespräche über begangene Straftaten" geführt werden. Bloße Vermutungen reichen hier jedoch nicht aus; die Polizei sollte konkrete Hinweise erhalten haben, zum Beispiel aus vorherigen Observationen oder durch telefonisches Abhören. Werden im Verlauf der Überwachung höchstpersönliche und damit "absolut geschützte Informationen", etwa durch intime Gespräche erhoben, muss sie abgebrochen werden. Solche Aufzeichnungen müssen künftig gelöscht und dürfen für das Strafverfahren nicht verwendet werden. Mit anderen Worten: Die bisherige Methode, Tonbänder einfach mitlaufen zu lassen, ist unzulässig. Nun muss bei Aufzeichnungen immer jemand dabei sitzen und notfalls die Stopptaste drücken.
Für die Verfechter des Lauschangriffs ist auch die Beschränkung des Straftatenkatalogs, bei dem überhaupt Abhöraktionen erlaubt sind, ein harter Schlag. Solche Aktionen sind künftig nur noch bei "besonders schweren Straftaten" gerechtfertigt, also bei Tatbeständen, bei denen eine Höchststrafe von mehr als fünf Jahren Haft droht. Damit strichen die Richter den von der Regierung Kohl aufgestellten Fallkatalog rigoros zusammen. Lauschangriffe bei Bestechung und Scheckfälschung sind nun ebenso verboten wie bei Geldwäsche und verfassungsfeindlicher Sabotage.
Die Entscheidung des BVG ist vor allem für Ex-Justizministerin Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) eine Genugtuung, war sie doch 1996 aus Protest gegen den großen Lauschangriff von ihrem Amt zurückgetreten. Sie sprach deshalb von einem "Sieg auf ganzer Linie". Auch der Bundesbeauftragte für den Datenschutz, Peter Schaar, begrüßte das Urteil. Er stellte klar, "dass unsere Verfassung eine Wahrheitsforschung um jeden Preis nicht zulässt". Justizministerin Brigitte Zypries (SPD) kündigte an, auch die Regelungen zur Telefonüberwachung zu überprüfen. "Das Gericht hat dem Gesetzgeber gesagt: Bis hierhin und nicht weiter. Das ist schon auch ein gutes Signal", sagte sie.
Kritisiert wurde das Urteil von Bayerns Innenminister Günther Beckstein (CSU), der die Tendenz, die Rechte des Individuums gegenüber dem Schutz der Allgemeinheit auszudehnen, ablehnte. Auch die Deutsche Polizeigewerkschaft äußerte sich skeptisch, da sie schwierigere und längere Ermittlungen befürchte: "Angesichts des Stellenabbaus kann die Polizei das nicht mehr leisten", sagte Gewerkschaftschef Wolfgang Speck.