Thomas Urban, langjähriger Polen-Korrespondent der "Süddeutschen Zeitung", hat schon einige Bücher über Polen verfasst. Hier erhält der Leser in vier Kapiteln - das Land, seine Geschichte, Politik und Wirtschaft, Gesellschaft und Kultur - einen guten Überblick, um sich allgemein zu informieren. Und das Buch liest sich stellenweise wie ein guter Roman. Wenn der Leser mehr wissen möchte, bieten die Literaturhinweise reichlich Literatur an.
Es ist ein Buch für Touristen, die etwas mehr über Land und Leute und gewiss auch über ihre ehemalige Heimat erfahren möchten. Noch heute machen die "Heimwehtouristen" 95 Prozent aller ausländischen Besucher in der reizvollen Naturlandschaft der masurischen Seenplatte im ehemaligen Ostpreußen aus. Liebevoll werden die einstigen deutschen Städte beschrieben, die - wie Danzig oder Breslau - nach der Zerstörung wieder auferstanden sind, und wo heute polnisches Leben pulsiert.
Doch der Leser erfährt auch viel über die Besonderheiten polnischer Städte, sei es nun das wunderschöne Krakau mit seinen 140 Kirchen und 70 Bürgerpalais, eine Perle des europäischen Mittelalters, oder die Industriestadt Lodz, über die der einst dunkle Himmel etwas sauberer wurde, "weil im Zeichen der Marktwirtschaft viele Betriebe schließen mussten".
Interessant sind auch die Kapitel über die Nachbarn Polens und wie sich die historischen Beziehungen gestalteten. Die Deutschen werden in Polen, wenn man sich nicht gerade freundlich über sie äußern möchte, Schwaby, also Schwaben genannt. Natürlich hat sich das Deutschlandbild der Polen gewandelt, obgleich es an alten Stereotypen wahrlich immer noch nicht fehlt und alte Wunden gern von nationalistischen Geistern geleckt werden.
Informativ sind auch die Kapitel über den Wandel im demokratischen Polen, der Dritten Republik. Berichtet wird, wie Polen versucht, seine kommunistische Vergangenheit zu bewältigen. Das ist wahrlich nicht einfach, weil kurz vor dem politischen Neuanfang ein Teil der Akten vernichtet wurde und weil nach dem Halb-Umbruch, den Rund-Tisch-Gesprächen, alte und neue politische Vertreter ohne eigentlichen Auftrag die Archive sichten konnten. So verlief alles anders als in der DDR - gewiss auch deshalb, weil einige Vertreter der Solidarnosc es erst einmal so für besser hielten.
Der Autor hat ein schönes, kleines Polenbuch vorgelegt, in dem man immer wieder nachschlagen kann. Bedauerlich ist, dass manches doch nicht auf dem neuesten Stand ist wie etwa die Debatte über das Zentrum gegen Vertreibung und die Entschädigungsforderungen. Auch die Angaben über die Minderheiten in Polen sind nicht aktuell. So nimmt die deutsche Minderheit schon nicht mehr den ersten Platz ein. Auch die Parteienlandschaft hat sich bereits wieder gewandelt. So gibt es die "Freiheits-Union" nicht mehr, dagegen sind andere Parteien entstanden wie die "Bürgerplattform" oder die "Liga der Selbstverteidigung".
Auch fallen nicht wenige Ungenauigkeiten ins Auge. So gab es nie eine Begegnung zwischen Hitler und Pilsudski (64); nach dem Austausch einer Nichtangriffsdeklaration 1934 - und nicht eines Paktes! - empfing Pilsudski den Propagandaminister des Dritten Reichs, J. Goebbels; als Deutschland am 1. September 1939 Polen angriff, begnügten sich die Regierungen Frankreichs und Großbritanniens nicht mit Protesten, wie der Autor schreibt, sondern erklärten dem Dritten Reich den Krieg. Auch bestand nie eine Gefahr, dass die UdSSR sich Stettin einverleiben wollte, dagegen hatte die DDR-Führung immer wieder ihren Appetit gezeigt. Karin Tomala
Thomas Urban
Polen.
Beck'sche Reihe Länder. Verlag C. H. Beck,
München 2003; 204 S., 12,90 Euro