Wie kommt es, dass tiefe Religiosität und blankes Profitstreben oft so gut zusammen passen? Woran liegt es, dass zumal in den USA ein gläubiger Christ durchaus ein harter Kapitalist sein kann? Eine der profundesten und noch immer überzeugensten Erklärungen wurde vor 100 Jahren von Max Weber veröffentlicht; jetzt hat der Beck-Verlag aus Anlass der 100-jährigen Wiederkehr der Erstpublikation Webers berühmte "Protestantische Ethik" in einer preisgünstigen, vom Marburger Soziologen Dirk Kaesler sorgfältig kommentierten Ausgabe vorgelegt, und man möchte sie jedem ans Herz legen, der über diese Frage und generell über das Wirtschaftsverhalten in den USA nachdenkt.
Webers Kernthese ist, dass sich aus dem verschiedenen protestantischen Strömungen der Calvinismus vor allem in der westeuropäisch-angelsächsischen Welt durchgesetzt hat und von dort auf die jungen Staaten in Nordamerika ausstrahlte, ja diese in puncto Wirtschaftsdenken entscheidend geprägt hat. Der strenge Calvinismus verlangte eine fast asketische, dem Gemeinwohl verpflichtete Lebensführung. Und so wird denn auch, um das treffende Bild von Kaesler zu gebrauchen, diese "Wahlverwandtschaft zwischen Christentum und Kapitalismus" keineswegs als anrüchig empfunden, wie wir aus den Lebenswegen der Rockefellers, der Fords und anderer Größen der amerikanischen Wirtschaft wissen.
Max Weber erweist sich in diesem Text nicht nur als großer Wissenschaftler, sondern auch als Meister der Sprache. Fast journalistisch direkt sind viele Passagen geschrieben, und entsprechend anschaulich, einprägsam und überzeugend ist der geschilderte Sachverhalt. Ein Lern- und Lesevergnügen zugleich. ks
Max Weber
Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus.
Vollständige Ausgabe, herausgegeben und eingeleitet von Dirk Kaesler.
Verlag C.H.Beck, beck'sche reihe 1614, München 2004; 432 S., 17,90 Euro