Die Überraschung war bereits kurz nach der Wahl am 18. Dezember vergangenen Jahres perfekt: Erstmals hat das bolivianische Volk mit dem Koka-Bauern Evo Morales einen Indio an die Spitze des südamerikanischen Andenstaates gewählt. Mit knapp 54 Prozent der Stimmen konnte sich der 46-jährige Politiker des sozialistischen Bündnisses Movimiento al Socialismo (MAS) gegen den neoliberalen Gegenkandidaten Jorge Tuto Quiroga der konservativen Podemos-Partei durchsetzen. Zwar hatten zahlreiche Umfragen einen knappen Vorsprung für Morales vorhergesagt, doch kaum ein Beobachter hatte damit gerechnet, dass dem Indio vom Stamm der Aymara gleich der deutlichste Wahlsieg seit dem Ende der Militärregierung 1982 gelingt.
Der Öffentlichkeit ist Morales spätestens seit seiner Präsidentschaftskandidatur 2002 bekannt. Damals unterlag er nur knapp dem mittlerweile gestürzten Gonzales Sánchez Lozada. Seit dieser Zeit kämpft Morales um die Übernahme der politischen Macht in Bolivien. Im Ausland ist er vor allem wegen seiner Funktion als Anführer der Koka-Bauern bekannt - und wegen seines rhetorischen Konflikts mit den USA. Er selbst bezeichnet sich gerne als "Albtraum der Vereinigten Staaten".
Morales kommt aus einfachsten Verhältnissen. Zusammen mit zwei Geschwistern wächst er im Altiplano auf. Später zieht er mit seinen Eltern ins bolivianische Hochland in die Chapare-Region. Dort ist der Anbau der Koka-Pflanze für viele Bauern der einzige Weg, ihre Familien am Leben zu erhalten. Kein Wunder, dass der von Morales geführte Kampf gegen ein Verbot des Koka-Anbaus die indianische Mehrheitsbevölkerung mobilisierte - ihn aber gleichzeitig in Konflikt mit den USA brachte. Diese kämpfen seit Jahren gegen den Koka-Anbau in Südamerika - und Bolivien ist weltweit immerhin der drittgrößte Produzent der Pflanze. Während die USA in der Koka-Pflanze vor allem den Rohstoff für die Herstellung der Kokain-Droge sehen, sind die Koka-Blätter in Bolivien ein traditionelles Heilmittel.
Mit der Übernahme des Präsidentenamtes durch Evo Morales könnten auf das ärmste südamerikanische Land einige Änderungen zukommen. Vor allem dann, wenn Morales eines seiner Hauptziele verwirklichen kann, für die er im Wahlkampf eingetreten ist: Die Verstaatlichung der Energieressourcen des Landes.
Bolivien verfügt nach Venezuela über die größten Erdgasvorkommen Südamerikas - doch die einfache Bevölkerung hat bislang nicht von den Rohstoffverkäufen profitieren können. Noch im Wahlkampf hatte Morales versprochen: "Mit den Wahlen wird das bolivianische Volk Schluss machen mit dem kolonialen Staat und dem neoliberalen Wirtschaftsmodell. Beides hat uns Diskriminierung, Erniedrigung und außerdem die Plünderung der natürlichen Ressourcen gebracht. Aber der Staat muss frei über seine natürlichen Rohstoffe verfügen können. Sie dürfen sich nicht in privaten oder ausländischen Händen befinden."
Wie der Erdgasverkauf am besten organisiert werden kann - darüber gibt es seit Jahren innenpolitischen Streit. Immer wieder kommt es deshalb auch zu Unruhen im Land. Zum Beispiel, als im Jahr 2003 der damalige Präsident Lozada einen Teil der bolivianischen Erdgasvorkommen in die USA exportieren wollte. Damals stürmten gut organisierte Bergleute die Hauptstadt La Paz und warfen mit Dynamit. Die Bewohner El Altos, des Armenviertels oberhalb der Hauptstadt, blockierten die Zufahrtswege und den Flughafen. Lozada ließ die Blockaden gewaltsam durchbrechen, etwa 80 Menschen starben bei den Krawallen. Lozada floh schließlich ins amerikanische Exil nach Miami.
Was genau Morales nun mit der Verstaatlichung der Energieressourcen meint, hat er bislang offen gelassen. Denn seit seinem Wahlsieg schlägt er gemäßigtere Töne an. Öffentlich erklärte er: "Wir verstehen und wissen ganz genau, dass unser Land Partner braucht. Wir reden nicht davon, Firmengüter zu konfiszieren oder zu enteignen, denn wir respektieren die Firmen." Zwangsläufig - denn Bolivien selbst hätte weder das technische Know-how noch die Ausrüstung, um allein das Erdgas zu fördern.
Gute Beziehungen zum Ausland sind deshalb wichtig: Nach Kuba und Venezuela führte Morales seine dritte Reise nach Europa, unter anderem nach Spanien und Frankreich. Hier versuchte er vor allem, ausländische Investoren zu beruhigen und um Unterstützung für seine Regierung zu werben. Nicht ohne Grund: Das spanisch-argentinische Unternehmen Repsol YPF und die französische Total gehören zu den ausländischen Ölkonzernen mit sehr hohen Investitionen in Bolivien.
Ein leichteres Spiel hat Morales dagegen in vielen südamerikanischen Staaten. Der ebenfalls linksgerichtete venezolanische Staatschef Hugo Chavez hat dem Indio bereits seine Unterstützung zugesagt: Mit 30 Millionen Dollar will sein Land Bolivien helfen und Dieselkraftstoff in den Andenstaat liefern; im Gegenzug will Venezuela landwirtschaftliche Produkte importieren.
Seine jüngste Auslandsreise führte den neuen Präsidenten am 13. Januar nach Brasilien. Auch dort versicherte er, dass nach seiner offiziellen Amtseinführung am 22. Januar den Investoren in Bolivien Rechtssicherheit garantiert werde. Er traf sich in der Hauptstadt Brasilia auch mit Vertretern der Energiewirtschaft. Das wundert nicht - die staatliche brasilianische Ölgesellschaft Petrobras kontrolliert mit Förderlizenzen etwa 14 Prozent aller bolivianischen Gasreserven und besitzt dort auch zwei Raffinerien. Damit ist Petrobras das größte Unternehmen Chiles.
Auf Geschäfte mit den USA muss Morales wohl allerdings auf jeden Fall verzichten - denn die US-Regierung verurteilt schon lange seine Einstellung zum Koka-Anbau. Zwar schlägt Morales auch hier versöhnlichere Töne an. Er sei sogar zu einem Besuch in Wa-shington bereit. Doch bislang gebe es noch keine Einladung.