Das Parlament: Die Menschenrechtsorganisation Reporter ohne Grenzen hat jüngst ihr aktuelles Ranking zur weltweiten Situation der Pressefreiheit veröffentlicht. Dort ist Deutschland von Platz 11 auf Platz 18 abgerutscht. Wie erklären Sie sich das?
Michael Konken: Wir haben den Eindruck, dass unter dem Deckmantel der Gewährleistung der öffentlichen Sicherheit auch in Deutschland die Eingriffe der staatlichen Ermittlungsbehörden in die Pressefreiheit zugenommen haben, zum Beispiel durch Durchsuchungen. Insbesondere nach den Terroranschlägen vom 11. September wurde in Deutschland im Zweifel die Pressefreiheit nicht berücksichtigt. Terrorabwehr und Ermittlungsinteresse des Staates bei der Aufklärung von Straftaten haben immer öfter unbegründet Vorrang vor den Grundrechten der Presse. Nun gibt es keine gigantische Flut von Verstößen gegen die Pressefreiheit, aber es gibt durchaus eine Steigerung der Problemfälle. Wir wissen etwa, dass freie Journalisten, deren Räume durchsucht werden oder die davon erfahren, dass ihre Telefonkontaktdaten abgehört worden sind, sich in der Regel nicht immer an die Öffentlichkeit wenden - aus Angst, keine Aufträge mehr zu bekommen oder noch mehr Repressalien durch die Ermittlungsbehörden zu erleiden.
Das Parlament: Wie hat sich die Situation für Journalisten in Deutschland verändert?
Michael Konken: Zunächst einmal haben wir zwar zusammen mit anderen Verbänden beim Großen Lauschangriff das Schlimmste verhindert, nämlich dass vor allem Arbeitsräume von Journalisten nicht abgehört werden dürfen. Auch der Informantenschutz und das Redaktionsgeheimnis, unabdingbare Säulen des freien Journalismus, sind gesetzlich garantiert. Sie können aber durchaus eingeschränkt werden. Wird zum Beispiel ein Journalist der Beihilfe des Verrats von Dienstgeheimnissen verdächtigt, kann bei ihm durchsucht und beschlagnahmt werden. Das von ihm selbst erarbeitete Recherchematerial ist noch weniger sicher. Ebenso können seine Telefonkontakte abgefragt und seine Telekommunikation überwacht werden, wenn gegen ihn ermittelt wird. Probleme bereiten den Journalisten aber nicht nur die Gesetze, sondern auch deren Anwendung durch Ermittlungsbehörden. So wird zum Beispiel allzu leicht ein Verdacht der Beteiligung konstruiert, damit bei Journalisten durchsucht werden kann. Hier erweisen sich die Gesetze als zu ungenau formuliert, es muss also nachgebessert werden.
Das Parlament: Kann es in Deutschland Journalisten ähnlich ergehen wie der amerikanischen "New York Times"-Journalistin Judith Miller, die 85 Tage in Beugehaft saß?
Michael Konken: Dass Journalisten in Beugehaft genommen werden, damit sie ihre Informanten Preis geben, ist in Deutschland zum Glück bisher nicht denkbar. Es muss aber auch niemand in Beugehaft genommen werden, wenn bei ihm beschlagnahmt werden darf. Inhaftierte Journalisten würden hierzulande zudem wohl Assoziationen weck-en, die niemand heraufbeschwören möchte.
Das Parlament: Wann darf denn der Staat überhaupt in die Pressefreiheit eingreifen?
Michael Konken: Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner Rechtssprechung auf unterschiedlich gelagerte Interessen hingewiesen: Hier der Staat, der Straftaten aufklären will, da die von der Verfassung garantierte Pressefreiheit. Es gilt, in jedem einzelnen Fall von neuem die Pressefreiheit soweit wie möglich zu verteidigen. Die Strafverfolgung muss dann zurückstehen, wenn es für die Pressefreiheit unabdinglich ist. Grundsätzlich gilt: Es gibt nicht ein bisschen Pressefreiheit, es gibt auch nicht 70 Prozent Pressefreiheit, sondern es gibt sie oder es gibt sie nicht.
Das Parlament: Journalisten dürfen also alles veröffentlichen, alles schreiben, auch aus geheimen Dokumenten zitieren?
Michael Konken: Wenn Journalisten sich wirklicher Straftaten schuldig machen, dann muss natürlich auch gegen sie ermittelt werden können, keine Frage. Sie sind ja nicht sakrosankt. Und es gibt natürlich klare Grenzen. Die sind zum einen im Deutschen Pressekodex festgelegt, zum anderen in den Mediengesetzen. Zum Beispiel hat der Persönlichkeitsschutz im Zweifel Vorrang vor der Pressefreiheit. Auch wie ein Journalist mit Dokumenten umgehen muss, weiß er in der Regel. Wir wenden uns aber sehr wohl dagegen, wenn etwa "Cicero" ein als vertraulich eingestuftes Material des Bundeskriminalamtes veröffentlicht und dann gegen den Journalisten ermittelt wird, obwohl es doch bereits eine Buchveröffentlichung gab und der Autor zuvor weit über 200 Personen, unter anderem auch im BKA, über den Text in Kenntnis gesetzt hat. Da ist etwas faul. Und genau das ist der "Fall Cicero".
Das Parlament: Gegen den Autor des umstrittenen "Cicero"-Artikels, Bruno Schirra, wird jetzt wegen Beihilfe zum Verrat von Dienstgeheimnissen ermittelt. Ist dieser Vorwurf haltbar?
Michael Konken: Nein, das ist der offensichtliche Versuch der Einschüchterung. Die Regelung der Beihilfe zum Geheimnisverrat ist doch letztlich ein Vehikel, mit dem den Behörden Tür und Tor geöffnet wird. Denen geht es ja gar nicht um die Journalisten. Es gibt nicht einen einzigen Fall, wo ein Journalist wirklich hinterher verurteilt worden ist. Den Ermittlern geht es nur darum, einen rechtlichen Hebel zu finden, gegen diejenigen vorzugehen, die eigentlich in ihrem Visier sind, nämlich die Informanten. Dazu wird der Weg über die Durchsuchung und Beschlagnahme bei Journalisten gewählt. In der Konsequenz bedeutet das, dass sich manch ein Informant jetzt mindestens fünfmal überlegt, ob er sich an die Presse wendet oder ob er es lieber bleiben lässt. Aber Journalisten sind nun mal auf Informanten angewiesen, sonst wäre die Rolle der Presse auf das Abdrucken von Pressemitteilungen beschränkt. Und eine solche Presse kann in Deutschland allen Ernstes niemand wollen.
Das Parlament: Reichen denn die bestehenden Gesetze zur Pressefreiheit in Deutschland aus?
Michael Konken: Nein. Der Respekt des Staates vor der Pressefreiheit lässt sich durch Gesetze regeln. Die Vorschriften müssen aber die Probleme auch treffen. Problematisch ist zum Beispiel die Anwendung der Gesetze, ist die Art und Weise, wie die Exekutive die Strafverfolgung und die Ermittlung über alles stellt, also auch über die Grundlagen der freien Presse. Gesetzlichen Änderungsbedarf sehen wir hier bei der Anhebung der Verdachtsschwelle. Also: Darf bereits bei einfachem Verdacht einer Teilnahme durchsucht werden oder erst dann, wenn dringender Tatverdacht gegen den Journalisten besteht? Wir meinen letzteres. Auch beim Paragrafen 353b des Strafgesetzbuches muss nachgebessert werden, damit Journalisten nicht mehr der Beihilfe zum Geheimnisverrat beschuldigt werden können, wenn sie als "vertraulich" gekennzeichnete Dienstdokumente veröffentlichen. Außerdem wehren wir uns dagegen, dass Telefonkontaktdaten und E-Mailverbindungen von Journalisten für Ermittlungszwecke herangezogen oder ihre Telekommunikation überwacht werden dürfen.
Das Parlament: Der Bundesnachrichtendienst hat in den 90er-Jahren sogar das Altpapier des Publizisten Erich Schmidt-Eenboom gesammelt und ausgewertet. Fast drei Jahre lang wurde er observiert...
Michael Konken: Hier sind eklatante Eingriffe in die Pressefreiheit, aber auch in die Privat- sphäre von Journalisten begangen worden, für die jegliche gesetzliche Grundlage fehlt. Der Bundesnachrichtendienst hat in diesen Sachen überhaupt nichts zu suchen. Auch EX-BND-Chef August Hanning hat bisher nicht den Ansatz einer überzeugenden Erklärung liefern können, aus welchem Grunde der Auslandsgeheimdienst inländische Journalisten bespitzelt.
Das Parlament: Teilweise wird die Pressefreiheit aber auch aufgewertet: Kurz vor Ende der letzten Legislaturperiode hat der Bundesrat das Informationsfreiheitsgesetz verabschiedet, das am 1. Januar 2006 in Kraft trat.
Michael Konken: Dafür haben wir uns zusammen mit vier anderen Organisationen stark gemacht. Obwohl wir - gemessen an unserem eigenen Gesetzentwurf - durchaus Kompromisse eingehen mussten, sind wir glücklich, dass es dieses Informationsfreiheitsgesetz jetzt gibt. Journalisten, aber auch alle Bürger können auf dieser Grundlage bei Behörden Informationen einfordern, es sei denn diese unterliegen besonderer Geheimhaltung. Für Journalisten heißt das, sie müssen in Zukunft nicht mehr nachweisen, warum sie ein Interesse daran haben, etwas zu sehen oder zu erfahren. Vielmehr wird dieses Prinzip jetzt umgekehrt: Es ist die Behörde, die künftig nachweisen muss, warum der Journalist etwas nicht sehen darf. Das ist ein echter Gewinn - für die Demokratie insgesamt, aber auch für die Arbeitsbedingungen der Journalisten.