Das Kosovo steht vor bangen Wochen. Nach dem Tode des kosovarischen Präsidenten Ibrahim Rugova sind gleich mehrere Personalfragen zu klären - und niemand kann sagen, ob die Nachfolgeregelung reibungslos gelingen wird. Drei Posten sind zu besetzen: Die Demokratische Liga (LDK), die bisher wichtigste Partei der nach Unabhängigkeit von Serbien strebenden Provinz, ist derzeit formal führungslos. Dringlicher ist indes die Wahl eines neuen kosovarischen Präsidenten durch das Übergangsparlament. Denn dem künftigen Präsidenten wird vermutlich auch die Aufgabe zufallen, die kosovo-albanische Delegation bei den anstehenden Gesprächen über den neuen Status der Provinz zu führen. Ob die schwierigen Gespräche unter Leitung des UN-Vermittlers Martti Ahtisaari im Februar in Wien beginnen können, ist noch nicht sicher.
"Die Karten werden jetzt neu gemischt. Es ist nicht auszuschließen, dass es zu unangenehmen Situationen kommt", warnt Bujar Bukoshi, ein langjähriger Weggefährte Rugovas, vor möglichen Weiterungen des Machtkampfs. Bukoshi war in den 90er-Jahren Minis-terpräsident der von der LDK kontrollierten kosovarischen Exilregierung. Von Bonn aus war er damals auch dafür zuständig, Abgaben der im Ausland lebenden Kosovo-Albaner zu verwalten und ins Kosovo weiterzuleiten, wo unter Führung der LDK ein inoffizielles kosovo-albanisches Staatswesen im Schatten des Milosevic-Regimes entstanden war. Laut Bukoshi, der sich später von Rugova abwandte und eine eigene Partei gründete, haben Hashim Thaçi und seine Demokratische Partei die besten Chancen in den kommenden Wochen. Thaçi, der ehemalige politische Führer der Freischärlergruppierung "UCK" ("Befreiungsarmee Kosovo"), war der größte Rivale Rugovas und mit seiner Partei zweitstärkste Kraft im Parlament.
In diesen Tagen ist im Kosovo viel darüber spekuliert worden, ob die LDK den Tod ihres "Übervaters" überhaupt als Einheit überstehen werde. Manche Beobachter vermuten, sie könne in verschiedene Gruppierungen zerbrechen. Tatsächlich gibt es in der LDK starke regionale Flügel und mehrere konkurrierende Clans. In manchen westlichen Medien wurde in den vergangenen Tagen Nexhat Daci, Parlamentspräsident und deshalb laut der kosovarischen Übergangsverfassung amtierender Präsident des Kosovos, als Mann mit den besten Aussichten auf die Nachfolge Rugovas genannt. Doch wenn dies Daci, einem Chemieprofessor, gelingen sollte, so wird er sehr zu kämpfen haben. Daci, der gern mit populistischen Sprüchen Stimmung macht und oft gegen die Ausländer in Diensten der UN-Mission im Kosovo wettert, ist ein kommunistischer Kader alter Schule, sein mitunter herrisches Auftreten hat ihm selbst in der eigenen Partei Gegner verschafft. Bei den anderen Parlamentsfraktionen hat er sich zudem durch seinen selbstherrlichen Führungsstil unbeliebt gemacht. Hinzu kommt, dass er aus Südserbien stammt und sich erst nach dem Kosovo-Krieg in der Provinz politisch etablierte. Doch Daci manövriert hinter den Kulissen schon seit längerem, um seine Chancen zu verbessern. So hat er sich in jüngster Zeit offenbar mehrfach mit Oppositionsführer Thaçi getroffen. Über den Inhalt dieser Treffen wurde nichts bekannt, was den Spekulationen Vorschub leistete.
Zu den weiteren wichtigen Männern - Frauen spielen im patriarchalisch geprägten Leben des Kosovos keine Rolle - gehören Rugovas alter Weggefährte Sabri Hamiti, dessen Clan über weitverzweigte Kontakte verfügt, und der LDK-Fraktionsführer Alush Gashi, dessen Bruder der Leibarzt von Rugova war. Der Machtkampf beschränkt sich aber nicht auf die LDK, da durch den Tod Rugovas die gesamte politische Landschaft der Provinz in Bewegung geraten ist. Zu den Spielern gehören Personen, deren Rolle nicht klar umrissen, gleichwohl nicht zu unterschätzen ist. An erster Stelle ist Behgjet Pacolli zu nennen, ein Geschäftsmann, der in Lugano lebt und vor allem als Bauunternehmer erfolgreich war. Ein Interesse, das politische Geschehen in seiner Heimat zu beeinflussen, hat Pacolli offensichtlich. Anders ist es schwer zu erklären, warum er sich weiterhin ein Boulevardblatt leistet, obwohl es Verluste einbringt.
Weniger wichtig als es seine formale Stellung vermuten lässt, dürfte hingegen in den kommenden Wochen Ministerpräsident Kosumi sein. Er sei "eine zufällige Person", so die Einschätzung Bukoshis. Tatsächlich ist es die allgemeine Ansicht inländischer wie ausländischer Beobachter in Priština, dass Kosumi, anders als sein Vorgänger Ramush Haradinaj, kaum politisches Eigengewicht auf die Waage bringt. Haradinaj von der Partei "Allianz für die Zukunft des Kosovos" wird jedoch bis auf weiteres keine aktive politische Rolle spielen können, denn er wurde im März vergangenen Jahres vom UN-Kriegsverbrechertribunal in Den Haag angeklagt. Haradinaj stellte sich dem Tribunal, wartet inzwischen aber in Freiheit auf den Beginn seines Prozesses.
All diese Wirrungen müssen möglichst rasch ausgeräumt werden, denn die Kosovo-Albaner können sich Uneinigkeit in der entscheidenden Phase der Statusgespräche nicht leisten. Pikanterweise könnte gerade der Tod Rugovas den Demokratisierungsprozess im Kosovo erleichtern. Denn obwohl Rugova stets für gewaltlosen Widerstand eingetreten ist, war sein Führungsstil im Innern keineswegs demokratisch. Da er jedoch eher ein Symbol als ein greifbarer Politiker war, konnten ihn seine politischen Gegner und Rivalen nie ernsthaft gefährden. "Nun erst beginnt die Demokratie bei uns", kommentiert Baton Haxhiu, Vorsitzender des kosovarischen Journalistenverbandes, die neue Situation. Agron Bajrami, Chefredakteur der Tageszeitung "Koha Ditore", weist darauf hin, dass der Posten des Präsidenten laut der Versfassung ohnehin nur von zeremonieller Bedeutung sei. "Niemand wird und niemand sollte das Amt mehr so ausfüllen wie Rugova. Wenn der Vater stirbt, sucht man sich auch keinen neuen", sagt Bajrami.