Die Kunst, wortreich wenig zu sagen, üben europäische Politiker derzeit beim Thema Palästina besonders häufig. Ob es um den Sieg der Hamas bei den Parlamentswahlen geht oder um die Hasstiraden gegen den Westen wegen der Karikaturen über den Propheten Mohammed: Die Reaktionen sind hinhaltend. Als feststand, dass ausgerechnet die Hamas - eine Organisation, die seit 2003 auf der EU-Liste terroristischer Organisationen steht - in der neuen palästinensischen Volksvertretung die meisten Sitze einnehmen würde, gab Außenkommissarin Benita Ferrero-Waldner die gleiche Marschroute aus wie der EU-Außenbeauftragte Javier Solana und die amtierende Ratspräsidentin, Österreichs Außenministerin Ursula Plassnik: Die EU wird Palästinenserpräsident Abbas stärken und alle Türen zu einer möglichen neuen Regierung offen halten. Benita Ferrero-Waldner formulierte es in ähnlichen Worten wie Vertreter von Rat und Parlament: "Wir arbeiten mit jeder Regierung zusammen, die mit friedlichen Mitteln den Frieden erreichen will." Die Europäische Union unterstütze alle Kräfte, die sich für das friedliche Miteinander von Israel und Palästina einsetzten.
Als der konservative britische Europaabgeordnete Edward McMillan-Scott am 1. Februar von seiner Wahlbeobachter-Mission aus Palästina zurückkehrte, war er des Lobes voll. "Die Wahlprozedur war makel-los. Das Ergebnis ist eine Herausforderung", sagte er in typisch britischer Untertreibung. "Das Europaparlament hat die Aufgabe, die EU-Kommission und den Rat darin zu bestärken, sich stärker für demokratische Prinzipien in dieser Region einzusetzen - Prinzipien wie Rechtsstaatlichkeit und Meinungsfreiheit." Zwei Tage später wurde das Verbindungsbüro der EU-Kommission im Gaza-Streifen vom wütenden Mob gestürmt, Fensterschreiben zerschlagen und die europäische durch die palästinensische Fahne ersetzt. Die Demonstranten empörten sich über Karikaturen des Propheten Mohammed, die vier Monate zuvor in einer dänischen Zeitung erschienen waren.
Überraschend verhalten reagierte die Staatengemeinschaft auf die Ausschreitungen. Eine Sprecherin der Kommission hatte zunächst abgewiegelt, es habe sich nur um eine "Demonstration in der Nähe der EU-Vertretung" gehandelt. In einer schriftlichen Erklärung hieß es später: "Die Kommission bedauert zutiefst, dass Europäer, die dafür arbeiten, den Palästinensern ein besseres Leben zu ermöglichen, das Ziel derartiger Angriffe sind." Immerhin sind die EU und ihre Mitgliedsstaaten mit jährlich 500 Millionen Euro der größte Geber in der Region.
In der Vergangenheit hatten vor allem CDU-Abgeordnete im Europaparlament kritisiert, dass der palästinensischen Autonomiebehörde Budgethilfen gezahlt worden waren, ohne die Verwendung der Mittel zu kontrollieren. Ein Untersuchungsausschuss, der die israelischen Vorwürfe prüfen sollte, EU-Hilfen seien für die Entschädigung der Familien von Selbstmordattentätern zweckentfremdet worden, fand jedoch nicht die erforderliche Unterstützung. Die EU-Kommission entschloss sich allerdings im vergangenen Jahr, keine direkten Haushaltshilfen mehr zu zahlen. Stattdessen trug sie mit 70 Millionen Euro zu einem von der Weltbank verwalteten Fonds bei. Von dort wurde das Geld nur ausgezahlt, wenn bestimmte Auflagen erfüllt waren. Als die Palästinensische Autonomiebehörde eine größere Summe für Löhne einplante, als von der Weltbank genehmigt, fror die Kommission die letzte Rate von 35 Millionen Euro im November 2005 ein.
Die Entscheidung, ob und wann diese Tranche ausgezahlt wird, möchte die EU-Kommission derzeit nicht treffen. Eine Sprecherin sagte dazu: "Wenn die neue Regierung unseren Forderungen nicht entspricht, Gewaltverzicht zu üben und die Existenz des Staates Israel anzuerkennen, kann man darauf nur mit der Streichung der Zuwendungen für die Autonomiebehörde antworten."
250 Millionen Euro hat Brüssel im vergangenen Jahr für Palästina aufgebracht, die Mitgliedsstaaten noch einmal so viel. Ein Flüchtlingshilfe- und Arbeitsprojekt der UNO wurde mit 64 Millionen Euro unterstützt. Friedensprojekte der Zivilgesellschaft wurden mit 10 Millionen gefördert. Für humanitäre Hilfe sind 28 Millionen geflossen und für Lebensmittelhilfe 29 Millionen. Auf die Frage, was mit den restlichen 50 Millionen Euro geschehen sei, gab es tagelang keine Antwort aus der Abteilung von Außenkommissarin Ferrero-Waldner. Schließlich räumte die Sprecherin ein, sie seien für Schulen, Krankenhäuser, Straßenbau und andere Infrastruktur gespendet worden - und damit sehr wohl dem Budget der Palästinensischen Autonomiebehörde zu Gute gekommen.
Israels Expremier Benjamin Netanjahu forderte nach der Wahl Wirtschaftssanktionen, um die Hamas auf einen friedlichen Weg zu zwingen. Der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Europaparlament, Elmar Brok, steht dem Vorschlag jedoch skeptisch gegenüber: "Wir müssen eine Politik betreiben, mit der wir die Herzen der Menschen gewinnen und dadurch Terroristen isolieren. Ich würde versuchen, Hilfsprojekte durch Nichtregierungsorganisationen weiterführen zu lassen. Das machen wir ja auch in anderen Staaten, wo wir nicht die erforderlichen Beziehungen mit der Regierung haben können."
Die neue Leiterin des palästinensischen Verbindungsbüros in Brüssel, Leila Shahid, warb in einer Anhörung im EU-Parlament um Verständnis für die schwierige Lage ihrer Landsleute. "Wir würden unsere Zukunft gern mit europäischer Unterstützung aufbauen." Das Wahlergebnis sei ein Erdbeben gewesen - nicht zuletzt für die Hamas selber. Das dürfe nicht überdecken, wie friedlich und demokratisch die Wahl abgelaufen sei. "Wenn Sie die Hamas nicht als Gesprächspartner anerkennen, werden die Menschen glauben, dass Sie eine demokratische Wahl nicht respektieren", warnte Shahid.