Die Drohkulisse wirkt gewaltig. "Dann kommt die Polizei." Mit deren Einsatz will der Saarbrücker CDU-Gesundheits- und Justizminister Josef Hecken im Fall des Falles Eltern zwingen, ihre Kinder vom Arzt untersuchen zu lassen. Ein anderes Druckmittel, um solche Vorsorgetests durchzusetzen, hat die SPD ersonnen: "Wer dieser Pflicht nicht nachkommt, soll keinen Anspruch mehr auf Kindergeld haben", fordert Fraktions-Vize Cornelia Hoffmann-Bethscheider. Zwar stuft der FDP-Abgeordnete Manfred Baldauf die Streichung des Kindergeldes als untaugliche Sanktion ein, doch wie Union und SPD wollen auch die Liberalen die von den Krankenkassen schon jetzt für die ersten Lebensjahre eines Erdenbürgers angebotenen Präventivuntersuchungen verbindlich machen: "Das Kindeswohl hat Vorrang." Die Grünen-Abgeordnete Claudia Willger-Lambert plädiert ebenfalls für eine Pflicht, das gehöre zur "Elternverantwortung". Allerdings sieht die Parlamentarierin "die Sache mit den Polizeieinsätzen kritisch".
Eine ganz große Koalition an der Saar also. Mit dieser Phalanx im Rücken macht Hecken jetzt ernst: Im Bundesrat hat das CDU-Kabinett einen Antrag mit dem Ziel eingebracht, Eltern per Gesetz den Zwang aufzuerlegen, ihren Nachwuchs in der Vorschulzeit mehrmals ärztlich untersuchen zu lassen. Dieser Vorstoß geht weit über eine Vorlage des ebenfalls CDU-regierten Hamburg hinaus, die über eine umfassendere und nachdrücklichere Information der Eltern durch Kassen und eventuell auch durch Behörden die mit 80 bis 90 Prozent ohnehin schon hohe freiwillige Teilnahme an den Tests weiter steigern will. Zwangsuntersuchungen hat der parteilose Gesundheitssenator Jörg Dräger indes nicht im Sinn. Heckens Sprecher Stephan Kolling lobt die Hamburger Initiative als gut gemeint, letztlich sei das aber eine "Placebo-Regelung". Nur über einen Eingriff ins Elternrecht könne man den Schutz der Kinder gewährleisten.
Schon diese Woche beraten der Gesundheits- sowie der Arbeits- und Sozialausschuss des Bundesrats über die beiden Anträge. In Saarbrücken zeigt man sich optimistisch, in der Länderkammer auf breite Zustimmung zu stoßen. Einer gesetzlichen Verankerung von Zwangschecks müsste außerdem der Bundestag zustimmen. Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt lehnt medizinische Pflichttests bei Kleinkindern jedenfalls ab. "Soll die Polizei Kinder zu den Untersuchungen holen?", fragt die SPD-Politikerin rhetorisch und sagt so unausgesprochen Nein zu Heckens Kurs.
Anlass für die Debatte sind Einzelfälle schlimmer Verwahrlosung von Kindern wie etwa das Schicksal der qualvoll gestorbenen kleinen Jessica in Hamburg. Bei den präventiven Checks sollen Ärzte neben Krankheiten auch Indizien von Vernachlässigung, Verwahrlosung, Misshandlung oder sexuellem Missbrauch auf die Spur kommen und in solchen Fällen den zuständigen Behörden Meldung erstatten. Aus Sicht von Saar-Minister Hecken hat sich das soziokulturelle Gefüge in der Gesellschaft geändert. Es mangele heutzutage an Sozialkontrolle, und dann müsse eben der Staat eingreifen. In sozialen Brennpunkten und in Migrantenkreisen, so Sprecher Kolling, liege die Teilnahmequote an freiwilligen Vorsorgeuntersuchungen für Kinder nur bei rund 60 Prozent. Ulla Schmidt hält jedoch Pflichttests für ungeeignet, um Vernachlässigung und Verwahrlosung oder gar Verbrechen an Kindern vorzubeugen. Statt Eltern mit ihrem Nachwuchs zum Arzt zu zwingen, solle man lieber die Jugendhilfe und den öffentlichen Gesundheitsdienst stärken, verlangt die Bundesgesundheitsministerin. Aus Spargründen seien jedoch kommunale Gesundheitsdienste, denen Kontakte zu Kindergärten und Schulen obliegen, immer weiter abgebaut worden.
Schon heute ist der Staat bei der Überwachung des Kindeswohls keineswegs aus dem Spiel. Voraussetzung für Eingriffe von Jugendämtern oder der Polizei ins Privatleben und damit ins Elternrecht ist ein begründeter Verdacht auf schwerwiegende Verfehlungen seitens der Eltern in einem konkreten Fall. Geht es nach den Befürwortern von Zwangschecks, werden aber alle Kinder von vornherein einer Überprüfung unterzogen. Wird da nicht eine Art Generalverdacht gegenüber Eltern heraufbeschworen, werden Ärzte nicht zu einer Überwachungs- und Kontrollinstanz? Eine solche These weist Heckens Sprecher Kolling zurück. Willger-Lambert fände es "fatal", wenn ein Klima des Generalverdachts gegenüber Eltern entstünde.
Was die Saar-SPD avisiert und was auch in der Unions-Fraktion im Bundestag diskutiert wird, hat im Übrigen so seine Tücken: Entzug des Kindergelds, wenn Eltern ihren Nachwuchs nicht zum Arzt schicken. Vor einigen Jahren haben in Bremen SPD und CDU gefordert, Eltern von Schulschwänzern das Kindergeld zu streichen: Nach einer verfassungsrechtlichen Prüfung wurde an der Weser dieser Vorstoß rasch wieder beerdigt.