Von wem lassen sich Bundestag und Bundesregierung künftig in bioethischen Fragen beraten? Sollen Parlamentarier im künftigen Beratungsgremium sitzen oder verlässt man sich ausschließlich auf Experten? Darüber wird auf der politischen Bühne in Berlin derzeit heiß diskutiert. Einig sind sich Fraktionen und Regierung nur in einem: Organisierter Expertenrat wird dringend benötigt.
Bis zum Antritt der Großen Koalition gab es zwei Gremien, die sich auf der politischen Ebene mit der Bioethik befassten: den Ethikrat und die Enquete-Kommission "Ethik und Recht der modernen Medizin". Beide entstanden infolge der Diskussion über die embryonale Stammzellforschung. Beide sollten Politikern und Bürgern Entscheidungshilfen geben. Die Enquete-Kommission beendete ihre Arbeit Ende der vergangenen Legislaturperiode; der Ethikrat, der sich im vorigen Jahr zum zweiten Mal konstituierte, wurde bislang vor allem von der CDU/CSU in Frage gestellt. Die Union hatte im Sommer 2005 angekündigt, im Falle eines Wahlsiegs das Gremium abzuschaffen. Weil der Rat einst von Gerhard Schröder initiiert und nie vom Parlament bestätigt worden war, hielten ihn die Christdemokraten für politisch nicht unabhängig. Mitte Februar hat Bundesforschungsministerin Annette Schavan (CDU) nun überraschend den Fortbestand des Ethikrates vorgeschlagen. Er solle in seiner aktuellen Form vom Parlament bestätigt werden und künftig regelmäßig im Bundestag Bericht erstatten. Dass weiterhin keine Abgeordneten in dem Rat sitzen sollen, stößt auf Widerstand in den anderen Fraktionen. Auch Fachpolitiker aus SPD, der Linken und von den Grünen schlagen Alternativen vor, die von einer Sachverständigenkommission über einen Beirat bis zu einer Stiftung reichen. Wichtig bei allen Vorschlägen: Die Beteiligung von Abgeordneten.
Wie sich Parlamentarier und Bundesregierung bislang sachverständigen Rat in ethischen Fragen organisiert haben, verrät ein Rückblick in die Entstehungsgeschichten und bisherige Arbeit von Enquete und Ethikrat. Die Enquete-Kommission wurde im Jahr 2000 vom Deutschen Bundestag eingerichtet und war mit 13 Abgeordneten und 13 Sachverständigen besetzt. Mit Blick auf die Entwicklung und Anwendung der Biotechnologie und der modernen Medizin sollte sie vorbereitende Arbeit für Entscheidungen des Bundestages leisten. Die Fraktionen entsandten ihre Mitglieder und benannten Sachverständige. Eine der wichtigsten Aufgaben der Enquete war die Diskussion über das Stammzellgesetz 2001. Die Gegner und Befürworter des Stammzellenimports hatten sich zunächst kompromisslos gegenübergestanden. Die Mitglieder der Enquete entwickelten daraufhin einen Gesetzesvorschlag, mit dem beide Flügel leben konnten.
Das Anfang 2002 verabschiedete Stammzellgesetz verbat den Import im Prinzip, ließ aber Ausnahmen zu. Mit der Legislaturperiode endete 2002 die erste Enquete, 2003 wurde eine zweite eingesetzt. Hieß sie vorher Enquete-Kommission für "Recht und Ethik in der modernen Medizin", so drehte man nun die beiden Begriffe um. Die Ethik stand an erster Stelle. In den folgenden Jahren befasste sich die Kommission mit der Finanzverteilung im Gesundheitswesen, mit der Transplantationsmedizin und der Organlebendspende, mit der Patientenverfügung und der Hospizarbeit.
Im Mai 2001 rief Bundeskanzler Gerhard Schröder den Nationalen Ethikrat ins Leben. Die Debatte über den Import embryonaler Stammzellen war in vollem Gange. Die Spitze der deutschen Wissenschaftsorganisationen hatte sich für den Import ausgesprochen. Schröder äußerte sich ähnlich, stand damit konträr
zur Enquete-Kommission - und gründete den Ethikrat, dessen Mitglieder das Kanzleramt aussuchte. In der Öffentlichkeit wurde der Rat dann als persönliches Ins-trument des Kanzlers verstanden, um für die Wissenschaft möglichst liberale Rahmenbedingungen zu schaffen. Schröder selbst argumentierte damals, es mangele in der Debatte über die Gentechnik an Wissen und Transparenz.
Der Ethikrat erhielt die Aufgabe, den wissenschaftlichen und gesellschaftlichen Diskurs zu Fragen der Lebenswissenschaften zu vernetzen, den Bürgern Informationen und Diskussionsangebote bereitzustellen, bei neuen Entwicklungen auf dem Gebiet der Lebenswissenschaften Stellung zu ethischen Fragen zu nehmen, sich am internationalen Ethik-Diskurs zu beteiligen und Empfehlungen an die Politik auszusprechen. Die Zusammenstellung des Rates erwies sich zunächst als schwierig. 25 Persönlichkeiten sollten naturwissenschaftliche, medizinische, theologische, philosophische, soziale, rechtliche, ökologische und ökonomische Belange repräsentieren. Mancher, der gefragt wurde, lehnte ab. So verweigerte die Soziologin Elisabeth Beck-Gernsheim ihre Mitarbeit, weil sie die Berufungsmethode intransparent fand und sie keine Antwort auf ihre Frage bekam, was der Ethikrat konkret beschließen sollte. Zudem hielt sie die Zusammensetzung für unausgewogen, sagte sie im Mai 2001 der taz: "Die Naturwissenschaften sind zu stark vertreten. Wenn man sich die Zusammensetzung des Rats ansieht, kommt der Verdacht auf, dass es einen Nukleus derer gibt, die sich nicht gerade kritisch zur Gentechnik äußern."
Als sich der Rat schließlich konstituierte, bestand er aus 23 Mitgliedern. Neben Biologen, Genetikern und Medizinern waren Soziologen, Philosophen, Theologen, Juristen, Gewerkschafter und Arbeitgeber vertreten. Vorsitzender wurde der Datenschützer Spiros Simitis. Mit einem Jahresetat von 2,14 Millionen Euro ausgestattet, befasste er sich mit Biobanken, Biopatentierungen, pränataler Diagnostik, Präimplantationsdiagnostik, organisierte öffentliche Diskussionsveranstaltungen und übergab jährlich einen Bericht an den Bundeskanzler.
Das Verhältnis zur Enquete-Kommission wurde nie offiziell geklärt. Während der Rat sich selbst Unabhängigkeit attestierte und betonte, er stehe in keinem Gegensatz zur Enquete-Kommission, wurde aus deren Reihen immer wieder die mangelnde parlamentarische Legitimation des Ethikrates kritisiert.
Zum ersten Mal standen sich die beiden Gremien in der Frage des Imports von embryonalen Stammzellen gegenüber. Während die Enquete den erwähnten Kompromiss erarbeitete, mit dem bei entsprechender Kontrolle ausschließlich mit bereits existierenden Stammzellen geforscht werden darf, sprach sich der Ethikrat Ende 2001 für einen liberaleren Umgang mit dem Stammzellenimport aus. Er wollte den Import für drei Jahre zulassen und verzichtete darauf, Import und Forschung auf bereits existierende Stammzellkulturen zu begrenzen. "Wissenschaftsfeindlich", nannte ein Ethikratsmitglied, der Biomediziner Detlev Ganten, die Beschränkung des Enquete-Vorschlages. Die Vorsitzende der Enquete-Kommission, Margot von Renesse, sagte dagegen, die Empfehlung des Ethikrats stelle nicht sicher, dass für die deutsche Forschung kein Embryo sterben muss.
Auseinandersetzungen gab es jedoch nicht nur zwischen, sondern zunehmend auch innerhalb der beiden Gremien. So sprach sich der Ethikrat zwar dafür aus, das Klonen von Embryos zu therapeutischen Zwecken "zum gegenwärtigen Zeitpunkt" nicht zu erlauben. Zwölf Mitglieder jedoch waren prinzipiell für die Zulassung. Dennoch hatte man sich auf ein Votum geeinigt. Man verstehe dies als "politischen Kompromiss", sagte der Berliner Soziologe Wolfgang van der Daele im Namen der Gruppe.
Der letzte Bericht der Enquete vom September 2005 spiegelt ebenfalls tiefe Differenzen innerhalb er Kommission. So konnte man sich beim Thema Allokation (Verteilungsgerechtigkeit in der Gesundheitsversorgung) nicht einigen. Die CDU/CSU stimmte dem Sachstandsbericht nicht zu, bezeichnete ihn als einen "Schnellschuss von Rot-Grün". Ihren Bericht nannte die Enquete-Kommission übrigens "Über den Stand der Arbeit". Themen wie die genannte "Allokation", "Ethik in der medizinischen und biowissenschaftlichen Forschung", "Menschenwürdig leben bis zuletzt" und "Transplantationsmedizin" wurden lediglich in Sachstandsberichten behandelt. Die abgebrochene Legislaturperiode habe nicht genügend Zeit für endgültige Stellungnahmen gelassen, heißt es von Kommissionsmitgliedern.
Der Ethikrat würde sich zweifellos freuen, wenn ihm diese endgültigen Stellungnahmen überlassen würden. Kaum hatte sich Bildungsministerin Schavan für die Beibehaltung des Ethikrats ausgesprochen, bedankte sich dessen Vorsitzende Kristiane Weber-Hassemer dafür. Gerne wolle der Rat auf der "Grundlage eines parlamentarischen Beschlusses" enger mit Regierung und Parlament zusammenarbeiten. Ob dem Gremium künftig tatsächlich das Alleinvertretungsrecht in ethischen Fragen zugestanden wird, entscheidet sich in diesen Wochen.
Gesa von Leesen arbeitet als freie Journalistin in Esslingen.