Für eine Analyse genügen den Kriminalbiologen kleinste Speichelreste an einem Zigarettenfilter, Spermaflecken im Slip oder Hautzellen unter den Fingernägeln des Opfers. Bei der Untersuchung müssen die Labormitarbeiter extrem sauber arbeiten, um die DNA der Tatortspur nicht mit ihrer eigenen zu verunreinigen - wenige Zellen reichen bereits.
Die winzige DNA-Menge muss zunächst vervielfältigt werden. Dies geschieht durch die so genannte Polymerasekettenreaktion. Mit ihrer Hilfe entstehen Millionen künstlicher DNA-Kopien. Dabei wird nicht die gesamte Erbsubstanz vermehrt, sondern nur bestimmte Abschnitte. Für einen genetischen Fingerabdruck stammen diese Teilstücke alle aus DNA-Bereichen, die keine Gene enthalten. Sie sind kurz (short) und bestehen aus einer Grundeinheit, die sich immer wiederholt (repeat), so wie sich bei einem Tandemfahrrad (tandem) Pedale und Sattel wiederholen. Diese "Short tandem repeats" - kurz STRs - sind von Mensch zu Mensch verschieden lang, weil die Grundeinheit unterschiedlich oft wiederholt wird.
Nach dem Kopiervorgang hält die LKA-Mitarbeiterin ein kleines Plastikhütchen mit einer klaren Flüssigkeit in der Hand, in der unterschiedlich lange DNA-Stückchen schwimmen. Für die Längenbestimmung impft sie einen Teil der Flüssigkeit in ein puddingartiges Gel und legt eine elektrische Spannung an. Da die DNA selbst negativ geladen ist, wandert sie von oben nach unten durch das Gel zum positiven Pol. Die großen DNA-Stücke ecken in dem Maschengeflecht des Gels mehr an als die kleinen, deshalb wandern sie langsamer. Nach etwa drei Stunden liegen die DNA-Stücke der Länge nach sortiert im Gel. In einer Parallelspur läuft eine Referenzlösung mit, die DNA bekannter Längen enthält. Durch den Vergleich der beiden Spuren kann ein Computer berechnen, wie lang die Stücke der DNA aus der Tatortspur sind.
In den Laboren der Kriminalbiologen werden acht STRs analysiert. Da das menschliche Erbgut alle Informationen doppelt enthält - einmal von der Mutter und einmal vom Vater - besteht das Endergebnis aus 16 Werten. Für die Geschlechtsbestimmung wird zusätzlich das Merkmalsystem Amelogenin untersucht, dass nur in zwei Varianten vorkommt. Eine ist charakteristisch für das Y-, die andere für das X-Chromosom.
Die Mitarbeiter des LKA wissen nun, ob der Träger der Mütze männlich oder weiblich war - mehr nicht. Die 16 Zahlen verraten keine weiteren Informationen über körperliche oder geistige Eigenschaften der Person. "Etwas anderes können und wollen wir gar nicht", sagt Lothar Kaup, der die Fachgruppe forensische Molekulargenetik am LKA Niedersachsen leitet. Über die Vorbehalte vieler Bürger, dass ihre DNA vielleicht doch hinsichtlich der Gene analysiert werden könnte, kann der Biologe nur den Kopf schütteln: "Dafür müssten wir die gesamte Untersuchungslandschaft umstricken, wir bräuchten ein vollständig anderes Labor. Außerdem interessieren uns die Gene überhaupt nicht." Die Kriminalbiologen wollen nur eines: Identifizieren, und das möglichst zweifelsfrei.
Angenommen, die Mütze vom Tatort des Verbrechens stammt eindeutig vom Täter. Die Polizei hat einen Verdächtigen, der die Tat jedoch abstreitet. Die Fahnder können den mutmaßlichen Täter nun um eine Speichelprobe bitten, um damit eine freiwillige DNA-Analyse durchzuführen. Zwingen dürfen sie ihn nicht, das kann in Deutschland nur ein Richter.
Im Labor wird der genetische Fingerabdruck des Verdächtigen mit dem aus den Hautzellen der Mütze verglichen. Je mehr STRs übereinstimmen, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass beide DNA-Proben von derselben Person stammen. Laut Statistik ist das Zahlenmuster einer DNA-Typisierung mit acht STRs unter mehreren Billiarden Menschen nur einmal zu erwarten. Die Möglichkeit, dass auf der Erde mehr als ein Mensch existiert, dessen DNA-Muster mit dem aus den Hautzellen der Mütze übereinstimmt, ist praktisch ausgeschlossen. Stimmen die Zahlencodes aber nur in einem Punkt nicht überein, so wäre bewiesen, dass die DNA aus der Mütze nicht von dem Verdächtigen stammt.
In diesem Fall würden die LKA-Mitarbeiter ihr Ergebnis der Spurenanalyse in die bundesweite DNA-Analyse-Datei stellen, die 1998 beim Bundeskriminalamt eingerichtet wurde. Neben den genetischen Fingerabdrücken von Spurenmaterial werden hier auch die von Beschuldigten und Verurteilten gespeichert. Vielleicht haben die niedersächsischen Kriminalbeamten das gleiche Glück wie ihre bayerischen Kollegen zu Beginn vergangenen Jahres. Innerhalb weniger Tage gelang es der Münchner Polizei, den Mörder des Modezaren Rudolph Moshammer zu fassen. Hautzellen an einer Telefonschnur führten die Ermittler nach einem Datenvergleich in der DNA-Datenbank zu dem 25-jährigen Täter. Er hatte ein Jahr zuvor freiwillig eine Speichelprobe abgegeben, nachdem ihm die Vergewaltigung einer Frau vorgeworfen worden war.
Solche Erfolge führen in Deutschland regelmäßig zu Diskussionen um eine Ausweitung der Datenbank. Politische Äußerungen gipfelten in der Forderung, die gesamte Bevölkerung solle in der DNA-Datei erfasst werden. "Das hieße ja, in unserem Land würde per se jeder verdächtigt", kontern Datenschützer. Meldungen, dass Fachleute aus dem genetischen Fingerabdruck angeblich auch Augen-, Haarfarbe und die ethnische Zugehörigkeit herauslesen könnten, wecken zusätzliches Unbehagen. Mit dem in Deutschland angewendeten STR-System ist dies jedoch nicht möglich. "Wir können mit der STR-DNA-Analyse die Identität zweier Spuren beweisen oder widerlegen, sonst nichts", betont Lothar Kaup. "Aber man muss die Ängste der Bürger respektieren. Jeder soll mit seiner DNA machen können, was er will. Außerdem ist eine vollständige Erfassung der Bevölkerung logistisch überhaupt nicht machbar."
Als Kompromiss wurde im vergangenen Jahr das Gesetz zur Novellierung der forensischen DNA-Analyse verabschiedet. Seit dem 1. November 2005 werden nicht nur Schwerverbrechen wie Mord oder Sexualstraftaten in der Datenbank erfasst, sondern alle Straftaten. Außerdem bedarf nicht mehr jede DNA-Analyse einer richterlichen Anordnung. Ende 2005 umfasste die DNA-Analyse-Datei 448.000 Datensätze, monatlich kommen rund 6.000 Datensätze dazu. Etwa 25 Prozent der untersuchten Straftaten werden mit Hilfe der DNA-Analyse-Datei aufgeklärt.
Nicht nur in der Kriminologie feiert der genetische Fingerabdruck Erfolge. Da STRs nach den gleichen Regeln wie andere genetische Merkmale vererbt werden, eignen sie sich auch für Nachweise verwandtschaftlicher Beziehungen. Bei einem Vaterschaftstest wird die DNA von Vater, Mutter und Kind genauso analysiert wie für einen genetischen Fingerabdruck in der Kriminologie. In den meisten Fällen ist es eindeutig, dass die Frau wirklich die genetische Mutter des Kindes ist.
Es werden daher zunächst die DNA-Muster von Mutter und Kind verglichen. Alle STR-Varianten der Mutter, die auch beim Kind auftreten, werden zur Überprüfung des Vaters nicht weiter berücksichtigt. Die übrigen STR-Varianten des Kindes müssen vom Vater stammen. Finden sich diese alle im genetischen Fingerabdruck des Vaters wieder, dann ist die Vaterschaft mit hoher Wahrscheinlichkeit erwiesen. Je mehr STRs untersucht werden, desto sicherer ist der Test. Deutsche Richter fordern eine Wahrscheinlichkeit von mehr als 99,8 Prozent, um eine Vaterschaft als praktisch erwiesen anzuerkennen. Die DNA-Analyse sollte daher mindesten zwölf STRs berücksichtigen. Finden sich keine oder nur wenige übereinstimmende STR-Varianten, so ist der vermeintliche Vater mit absoluter Sicherheit nicht der biologische Erzeuger.
Solche Verwandtschaftsanalysen sind auch für Archäologen interessant. "Bislang hatten wir keine Möglichkeit, die Verwandtschaftsverhältnisse alter menschlicher Skelette eindeutig zu klären", sagt Susanne Hummel vom Institut für Anthropologie der Universität Göttingen. Erst seit etwa acht Jahren ist es möglich, auch aus alter oder stark geschädigter DNA genetische Fingerabdrücke zu erzeugen.
Im Harzvorland entdeckten Archäologen eine 3.000 Jahre alte Fundstätte mit Knochenresten von 40 unverbrannten Individuen. Ungewöhnlich, denn in der Bronzezeit war in dieser Region die Leichenverbrennung üblich. War die Lichtensteinhöhle vielleicht ein Menschenopferplatz? Die STR-Typisierung der Knochenfunde ergab, dass es sich hier um einen großen Familienclan handelte. Damit war klar: Die Höhle war kein Opferplatz, sondern eine ungewöhnliche Bestattungsstätte. Der finanzielle Aufwand für solche Analysen ist allerdings groß. Pro Individuum investierten die Göttinger rund 1.000 Euro. "Das kann man nicht mal eben aus der Portokasse bezahlen, da ist schon eine spezielle Förderung nötig", sagt die Molekularanthropologin.
Wenn es um die Isolierung von DNA aus Knochen geht, ist das Know-how der Göttinger inzwischen häufig gefragt. Notwendig ist dies beispielsweise bei der Identifizierung von Brandopfern oder bereits geschädigter Leichen. Das genetische Vergleichsmaterial liefert dann ein getragener Slip oder eine Zahnbürste des Vermissten. Bei der Tsunami-Katastrophe im indischen Ozean waren viele Leichen so entstellt, dass der genetische Fingerabdruck häufig die einzige Möglichkeit bot, sie sicher zu identifizieren.
Auch im Sport leistet die DNA-Analyse wichtige Aufklärungsarbeit. Wenn Sportler unter Dopingverdacht stehen, behaupten sie manchmal, die belastete Urinprobe stamme nicht von ihnen. Doch sogar im Urin sind ein paar Körperzellen zu finden, aus denen genügend DNA für einen genetischen Fingerabdruck isoliert werden kann. Ein Vergleich der STR-Typisierung von Urin und Sportler schafft eindeutig Klarheit. Je sensibler die Verfahren zum Aufspüren von DNA werden, desto mehr Bedeutung erlangt der genetische Fingerabdruck. Gerichtsmedizinern aus den USA gelang es im Experiment mittlerweile sogar, aus den Überresten einer explodierten Bombe eine STR-Typisierung des Bombenlegers zu liefern.
Dr. Manuela Röver arbeitet als freie Wissenschaftsjournalistin zu den Schwerpunkten Naturwissenschaften, Gesundheit, Umwelt und Forschungspolitik.