Geboren, um dem Tod zu begegnen, eine Pianistenkarriere fortzusetzen, mit ihren gesunden Organen den Verfall eines anderen Körpers aufzuhalten. Oder ganz einfach die Liebe und Erlösung zu finden, die ihre geistigen Väter auf Erden vermissen. Autoren wie Kazuo Ishiguro und Michel Houellebecq erschaffen auf diese Weise ein literarisches Parallelsystem, in dem längst gelingt, was wir noch fürchten: Menschen leibhaftig zu klonen. In unseren Köpfen wird so der Alptraum jeder Ethikkommission lebendig, deren Mitglieder um die Würde von Blastozysten streiten.
Ob therapeutisch geklont oder zu reproduktiven Zwecken - wo sich deutsche Forschungslabore sperren, kommt die Versuchsanordnung in Büchern zu anhaltendem Erfolg. Ebenso die Experimente auf Kinoleinwand, Theater- und Opernbühnen. Dort entfalten sich Horrorszenarien und klassische Familiendramen jetzt, im Zeitalter einer durch Gendiagnostik und Waschmittelenzyme allgegenwärtigen Biotechnologie, mit Hilfe der Klone. Ihr Weltschmerz verleiht dem bekannten Trauerspiel eine neue verheißungsvolle Tiefe. Im Stück "Die Kopien" seziert Caryl Churchill zum Beispiel eine Vater-Sohn-Beziehung, die harmonisch scheint, aber scheitern muss. Das Glück ist geborgt, das Kind geklont. Im Klonroman kann die Liebe über das Weltende triumphieren. Die Realität jedoch kennt Wissenschaftler, auch Verliebte, aber keine Menschenklone.
Das Klon-Baby Eve erblickt angeblich am 26. Dezember 2002 gegen 11.55 Uhr das Licht der Welt - eine erbarmungswürdige Kreatur, die den PR-tauglichen Phantasien einer Sekte entsprungen ist. Bis heute sind die Raelianer jeglichen Beweis für die Existenz eines geklonten Kindes schuldig geblieben, obwohl Bischöfin Brigitte Boisselier mehrfach vermeintliche Erfolge ihrer Biotech-Firma Clonaid verkündet. Neben Genom sollten Klone auch Gedächtnis erben. Jeder Gang in die Öffentlichkeit löst neue Proteststürme aus gegen die ungeheuerliche Anmaßung, Menschen zu kopieren, Frauen als Eizellspenderinnen und "Gebärmütter für Replikate" zu missbrauchen. Die berechtigte Kritik verhallte irgendwann. Was blieb, war das Unbehagen.
Es wurde auch dem italienische Frauenarzt Severino Antinori zu Teil, dessen erstes Klonbaby im Januar 2003 zur Welt kommen sollte. Ein Junge. Schon Monate zuvor nannte Antinori immer wieder Geburtstermine, keiner wurde je bestätigt, geschweige denn eine der angeblichen Schwangerschaften. Bis heute ist das auch Panayiotis Zavos nicht gelungen, der anfangs mit Antinori kooperierte, bevor er ihn der Lüge bezichtigte und in den USA wieder eigene Wege ging. Ohne jedoch dem Klonen abzuschwören.
Zavos suchte sich einen Bruder im Forschergeiste und fand ihn in Karl Illmensee, der 1981 das erste per Zellkerntransfer geklonte Säugetier geschaffen haben will. Schon 15 Jahre vor Dollys Geburt wollte der Österreicher mit Mäusen erreicht haben, was andere bis zur Kaulquappe, aber nie zum Frosch brachten. Allein, es mangelte an wissenschaftlichen Beweisen. Illmensees wundersame Maus-Vervielfältigung ließ sich damals nicht wiederholen, und der Mann mit den "begnadeten Händen" geriet in Verruf.
Illmensee, der Befruchtungsexperte, übte fortan seine Fingerfertigkeiten an Kuheizellen, um diese schließlich für Klonexperimente zu nutzen. Einmal vom Erbgut befreit, füllte er sie mit den Zellkernen unterschiedlicher menschlicher Zellen. Offenbar entwickelten sich diese Chimären kaum weiter. Tatsächlich wurden sie zum Forschungsobjekt deutscher Labore, wo man sich auf Illmensees Veranlassung hin genetisch untersuchte. Die künstlichen Mischwesen aus wenigen Zellen haben die Kulturschale nie verlassen, wurden keiner Frau oder einem weiblichen Säugetier eingepflanzt. Das Gleiche gilt wohl für die bereits 1998 "vermenschlichten Kuheizellen", aus denen sich nach den Angaben von US-Forschern der Firma Advanced Cell Technology (ACT) Blastozysten entwickelten, und die 2003 geschaffenen Mischembryonen chinesischer Forscher, die dafür Eizellen von Kaninchen verwendeten. Aber im Gegensatz zu Eve existierten Illmensees Zellchimären wirklich und waren Ouvertüre zum ersten klinischen Akt.
Zavos und Illmensee machten sich ans Werk, um einer 35-jährigen Frau einen geklonten Embryo einzusetzen. Zuvor hatten ihre entkernten Eizellen das Erbgut des unfruchtbaren Gatten empfangen. Es entwick-elte sich ein Embryo. Der erste Menschenklon für reproduktive Zwecke, behauptete das Forscherduo 2003 in einem Fachjournal und zeigte blasse Bilder eines Zehn-Zellen-Keims. "Wir haben ihn in die Gebärmutter transferiert", hieß es Anfang 2004. Zu einer Schwangerschaft sei es leider nicht gekommen. Zavos wirbt auf den Internetseiten vom "Home Fertility Network" für das Klonen von Menschen. Seine "Reprogen Organization" auf Zypern verspricht, die Zeit zum ersten menschlichen geklonten Embryo sei nahe.
Gegen diese Form der Elternschaft sprechen ethische, moralische Bedenken und in vielen Ländern bereits gesetzliche Verbote. Zumal Wissenschaftler wie Rudolf Jaenisch eindringlich vor Schäden der Leibesfrucht warnen, die sie aus zahlreichen Tierversuchen kennen: das "Large-Offspring-Syndrome", Fettleibigkeit, Organmissbildungen, Plazentawucherungen, Immunprobleme, Stoffwechselstörungen und fast immer völlig fehl regulierte Gene. Schöner Schein des Anormalen: Selbst gesund erscheinende Tiere bergen einen großen Unsicherheitsfaktor, wenn es überhaupt zur Geburt kommt. Die Zahl der Aborte ist hoch. Die Erfolgsrate ist je nach Spezies und verwendetem Zelltyp unterschiedlich niedrig. Indiskutabel, bei diesen Risiken, jemals Menschen zu klonen.
Stattdessen wächst der Klonzoo, der mit Dolly 1996 in Edinburgh eröffnet wurde, stetig. Heute steht das verfrüht verstorbene Klonschaf ausgestopft im Museum und seine zahlreichen Verfahrensgenossen bevölkern die Erde: Mit der von Ian Wilmut und Keith Campbell beschriebenen Methode ließen sich bald Schweine, Rinder und Mäuse gezielt züchten, deren Erbinformationen aus den reifen Zellen erwachsener Tiere stammen. Seltene und gar ausgestorbene Arten sollen folgen. Obwohl es bei Primaten noch erhebliche Schwierigkeiten gibt, glücken auch komplizierte Kopien: Es gibt geklonte Haus- und Wildkatzen, Ratten, Hirsche, Rennpferde und seit 2005 sogar einen Hund: "Snuppy", ein Afghane, der aus dem Labor des so berühmt wie berüchtigten Forschers Hwang Woo Suk stammt. Während sich Hwangs Stammzell-Linien als Fälschung entpuppten, ist der vierbeinige Gefährte echt.
Ebenso gelang es dem Südkoreaner tatsächlich mit seiner abgewandelten "Squeeze-Technik" der Eizell-Entleerung, menschliche Embryonen aus reifen Zellen zu klonen. Bis zum frühen Stadium der Blastozyste, dafür gibt es Beweise, waren allerdings tausende Eizellen nötig, kostbares "Rohmaterial".
Das eigentliche Ziel, embryonale Stammzellen mit dem spezifischen Erbgut von Patienten zu gewinnen, ließ sich offenbar nicht erreichen. Und es gibt nur wenige renommierte Klonpioniere, denen es (mit staatlicher Erlaubnis) gelingen wird. Diesen anerkannten Könnern ist wiederum der Gedanke an geklonte Kinder fremd. Sie bezeichnen allein die Vorstellung als "wissenschaftlich naiv", "unsicher" oder schlicht "wahnsinnig". Außerdem: Welche Frau würde das enorme Risiko für Mutter wie Kind eingehen und sich einen geklonten Embryo in den Leib einsetzen lassen? Und beim Anblick des Babys womöglich nicht zu wissen, ob sich hinter dem hübschen Gesicht ein schreck-liches Problem verbirgt. Ohne sie kein Klon!
Nicht Babys, sondern Grundlagenforschung, Gewebeersatz und neue Behandlungsansätze für Diabetes, Lähmungen oder Parkinson sind das Ziel des therapeutischen Klonens. In den USA zum Beispiel hat das ACT-Team um Jose Cibelli und Robert Lanza geklonte menschliche Embryonen bis zum Sechs-Zellstadium erhalten. Auch Belgier melden nun erste Klonerfolge, und in Großbritannien hofft Ian Wilmut auf Behandlungserfolge mit Hilfe patientenspezifischer Stammzellen. Die existieren noch nicht, aber im Jahr 2004 gelang ein erster europäischer Menschenklon. Fünf Tage alt wurde der Zellhaufen im Labor von Miodrag Stojkovic in Newcastle. Eine Blastozyste sollte entstehen, aber vom reproduktiven Klonen will Stojkovic, der inzwischen in Valencia forscht, nichts wissen: "Ausgeschlossen, unverantwortlich." Die Frage nach der Möglichkeit eines menschlichen Klonwesens stellt sich für den deutschen Stammzellenforscher grundsätzlich nicht. Ihm und seinen internationalen Kollegen geht es allein um frühe, wenige Tage alte Embryonen aus ein paar hundert Zellen.
Gleichzeitig schüren die Schwierigkeiten der Forscher beim therapeutischen Klonen und die im Klonzoo fehlenden Affen die Hoffnung, dass weder die Geschichten der Raelianer noch Zavos Internetberichte einen wahren Kern besitzen. Dass die Phantasie Gestalt nahm in Eve und dem transferierten Menschenklon, im Gegensatz zu Dolly, Snuppy, Copy-Cat, Prometea und Dewey, die als erste Klone ihrer Art nach langen Tierversuchsreihen entstanden sind. Vielleicht lassen sich nach zahlreichen Fehlschlägen auch Menschen biologisch replizieren - Lebewesen auf Wunsch als Sonderanfertigung oder gar in Massenproduktion. Aber egal zu welchem Zweck: Alle Klonvisionen bergen die Gefahr des Selbstbetrugs. Wer glaubt, einen Menschen wirklich kopieren zu können, unterschätzt bei aller Laborperfektion den Einfluss von Epigenetik, Umweltfaktoren, Kultur, Gesellschaft und vor allem deren Wandel.
Auch in Zukunft wird die Kenntnis der Gene und ihres Ursprungs nichts an der Unvorsehbarkeit des neuen Wesens ändern, seinen Gefühlen, seiner Eigenständigkeit und seinem äußeren Erscheinungsbild. Wissenschaftlich und philosophisch lässt sich die Idee diskutieren und als Verstoß gegen die Menschenwürde moralisch verdammen. Ebenso zeugen literarische Gedankenspielereien vom Fluch der geklonten Wirklichkeit, der äußerst zweifelhaften Chance wie im Vater-Klonsohn-Drama "Die Kopien". Die Möglichkeit einer Identitäts-Insel bleibt jedoch immer bestehen: "Also bin ich einfach nur er noch mal?" "Nein, du bist du, weil du das bist, aber ich wollte einen, der genauso war." "Aber ich bin nicht er."
Sonja Kastilan ist Molekularbiologin und Redakteurin im Wissenschaftsressort der Zeitung "Die Welt".