Der seit sechs Wochen andauernde Tarifkonflikt um die Verlängerung der Wochenarbeitszeit im öffentlichen Dienst hat am 16. März auch in den Bundestag Einzug gehalten. Auf Verlangen der Linksfraktion beschäftigte sich das Parlament in einer Aktuellen Stunde mit dem Thema.
In einer außergewöhnlich heftigen Debatte mit zahlreichen Zwischenrufen und "unparlamentarischen Äußerungen", die von präsidialer Seite gerügt werden mussten, zeichneten sich neuerdings ungewöhnliche Fronten ab, die zum Teil an alte Allianzen aus dem vergangenen Bundestagswahlkampf erinnerten. So verteidigten Union und FDP die Verhandlungslinie der Tarifgemeinschaft deutscher Länder (TdL), während sich SPD und Grüne grundsätzlich auf die Seite der Gewerkschaften schlugen und den Verhandlungsführer der Länder, Niedersachsens Finanzminister Hartmut Möllring (CDU), kritisierten. Im Sommer 2005 hatten sich die Union und ihr damaliger potenzieller Koalitionspartner FDP für die Aufweichung der Flächentarifverträge zugunsten der betrieblichen Tarifbündnisse ausgesprochen. Die rot-grüne Koalition verteidigte dagegen den Status quo. Offen sprach dies Siegmund Ehrmann (SPD) an: "Große Koalition hin, Große Koalition her, der Konflikt besteht zwischen dem aus sozialdemokratischer Sicht hohen Gut der Tarifautonomie und des Flächentarifvertrags auf der einen Seite und dem Instrument ,betriebliche Bündnisse' auf der anderen Seite."
Einig waren sich die Redner der Regierungsfraktionen, der FDP und der Grünen allerdings darin, dass sich die Politik aus der Auseinandersetzung im aktuellen Tarifstreit heraushalten sollte, um die im Grundgesetz garantierte Tarifautonomie nicht zu gefährden. Fast alle Redner kritisierten die Linksfraktion, das Thema auf die Agenda gesetzt zu haben. Es gehöre nicht in den Bundestag. Der Unionsabgeordnete Peter Weiß warf der Linken vor, "aus dem Streik und der derzeitigen Tarifauseinandersetzung parteipolitisches Kapital zu schlagen". Gabriele Lösekrug-Möller von der SPD meinte: "Wir haben in dieser Aktuellen Stunde von Herrn Gysi einen Grundkurs in Populismus bekommen."
Die einführende Rede des Fraktionsvorsitzenden der Linksfraktion, Gregor Gysi, hatte zuvor mit einem Eklat geendet, als Teile seiner Fraktion sich Streikwes-ten mit dem Aufdruck "Solidarität - ver.di - Streik" überzogen und mit Transparenten die Forderungen der Gewerkschaften medienwirksam unterstützen wollten. Heftiger, lautstarker Protest der übrigen Fraktionen war die Folge. Gysi bezeichnete in seiner Rede die Forderung der Arbeitgeber nach einer 40-Stunden-Woche ohne Lohnausgleich als eine nicht hinnehmbare Stundenlohnsenkung. Eine Gewerkschaft könne dazu nicht Ja sagen, so Gysi. Sein Fraktionsgenosse Klaus Ernst kritisierte, die Verlängerung der Arbeitszeit würde "unmittelbar" zum Abbau von Arbeitsplätzen führen. "Unglaubwürdig", so das Urteil von Silke Stokar von Neuforn (Bündnis 90/Die Grünen) an die Adresse der Linken; habe doch ausgerechnet das PDS-mitregierte Berlin als erstes Bundesland den Flächentarifvertrag verlassen und bislang 14.000 Stellen im öffentlichen Dienst abgebaut.
Für eine weitere Kontroverse sorgte Dirk Niebel (FDP), der den Verdi-Vorsitzenden Frank Bsirske als "durchgeknallten grünen Gewerkschaftsfunktionär" bezeichnete und dafür helftige Kritik vor allem aus den Reihen der Grünen erntete.
Einen Minimalkonsens gab es trotz aller Kontroverse dennoch: Alle Fraktionen appellierten an die Tarifparteien, sich möglichst schnell zu einigen, damit der Konflikt im Interesse der Bürger bald beendet wird.
Die Streiks gingen indes in elf Bundesländern weiter. Dabei legten Gewerkschaftsangaben zufolge 29.000 Beschäftigte ihre Arbeit nieder. Trotz des Kompromisses für die Arbeitnehmer in den Kommunen in Niedersachsen war bis Redaktionsschluss keine Einigung bei den Tarifverhandlungen für den öffentlichen Dienst der Länder in Sicht.