In bisher kaum da gewesener Deutlichkeit sprach sich die Mehrheit der Abgeordneten für ein Ende des subventionierten Steinkohlebergbaus in Nordrhein-Westfalen aus. Gleichzeitig schlossen die drei Fraktionen auch eine Zerschlagung des deutschen Steinkohle Mutterkonzerns RAG - statt des für 2007 geplanten Börsengangs - nicht aus. Allein die Sozialdemokraten lehnten den Antrag ab und forderten erneut, auch langfristig einen Sockel an heimischer Kohle zu fördern.
Anlass für die Debatte war ein Auftritt von DSK-Chef Bernd Tönjes vor dem Wirtschaftsausschuss des Landtags. Dort hatte Tönjes einem detaillierten Ausblick zu den Folgekosten eine Absage erteilt. Das Unternehmen sei nicht verpflichtet, ein Szenario zu seiner Abwicklung durchzurechnen, hatte der DSK-Chef betont. In der Zwischenzeit haben sich der Bund und das Land NRW darauf geeinigt, sowohl die so genannten "Ewigkeitskosten" des heimischen Bergbaus, etwa für Renten der Bergleute, für Bergschäden sowie Wasserentsorgung, als auch die Verkaufsoptionen einzelner RAG-Unternehmensteile prüfen zu lassen. Bei den Abgeordneten von CDU, FDP und Grünen hält die Verärgerung jedoch an. Entsprechend deutlich fielen die Redebeiträge in der Plenardebatte aus.
Für die CDU-Fraktion machte deren wirtschaftspolitischer Sprecher Wilhelm Droste klar: "Wir alle wissen, dass der subventionierte Steinkohlebergbau in Deutschland, in Nordrhein-Westfalen keine Zukunft hat - jedenfalls nicht die Zukunft, die es rechtfertigt, derartige Subventionen zu leisten. Auch die DSK kennt diesen Sachverhalt. Es ist daher bedauerlich, dass sich die Deutsche Steinkohle bislang mit Zähnen und Klauen weigert, dieses Ausstiegsszenario zu präsentieren. Wir alle wollen den Ausstieg aus dem subventionierten Steinkohlebergbau. Um diesen Ausstieg jedoch sozialverträglich zu gestalten, sind wir auf belastbare Zahlen der Ruhrkohle AG angewiesen. Nicht nur die RAG braucht Planungssicherheit vom Land, auch das Land braucht Planungssicherheit von der Ruhkohle AG."
Reiner Priggen, stellvertretender Fraktionschef der Grünen, betonte: "Wenn man in der Debatte immer wieder sagt, es gibt auf lange Sicht eine Perspektive für die Kohle, einen Sockelbergbau, dann gaukelt man den Bergleuten und auch den beteiligten Unternehmen etwas vor. Wenn man an dieser Stelle sagen würde: ,Es gibt einen Endpunkt und einen Konsens, den Ausstieg sozialverträglich zu machen, ohne dass die im Bergbau Beschäftigten in die Arbeitslosigkeit entlassen werden', dann wäre es im Prinzip egal, ob der Endpunkt 2012, 2015 oder sogar 2018 ist. Ich glaube, dass das Ende insgesamt viel teurer wird, als wir alle uns das im Moment vorstellen. Aber wir sollten auch mit der Legende aufhören, wir könnten etwas auf Dauer mit staatlichen Mitteln aufrechterhalten, was nicht aufrechtzuerhalten ist."
Am deutlichsten wurde der FDP-Fraktionsvorsitzende Gerhard Papke, der zunächst einmal feststellte: "Seit 1990 sind 80 Milliarden Euro in den deutschen Steinkohlenbergbau geflossen. Damit ist nicht ein einziger Arbeitsplatz in Nordrhein-Westfalen gesichert worden. Mit diesen 80 Milliarden Euro sind vielmehr 100.000 Arbeitsplätze abgebaut worden." Danach wies Papke auf die historische Wende hin mit der sich die alte parteiübergreifende Kohlefraktion in ihr Gegenteil verkehrt habe. "Das ist eine wirkliche Zäsur in der Landespolitik Nordrhein-Westfalens", sagte der FDP-Politiker und fügte hinzu, dass die DSK, die bisher immer habe behaupten können, sie fördere die teure heimische Energie im Auftrag der Politik nun zur Kenntnis nehmen müsse, "dass dieser Auftrag der Politik nicht verlängert wird". Der Liberale: "Dieser Auftrag läuft aus. Das muss die Deutsche Steinkohle zur Kenntnis nehmen".
Im Plenum isoliert kritisierte dagegen der stellvertretende SPD-Fraktionschef und frühere SPD-Energieminister Axel Horstmann den Beschluss als einen "Anschlag auf nordrhein-westfälische Wirtschaftsinteressen". Er nannte die Diskussion "mehr als irritierend" und kam zu dem Schluss: "Sie, meine Damen und Herren von den Koalitionsfraktionen, haben sich zusammen mit den Grünen völlig verrannt. Ich habe eher den Eindruck: Sie setzen Ihren kohlepolitischen Blindflug als wirtschaftspolitische Amokfahrt fort."
NRW-Wirtschaftsministerin Christa Thoben griff mehrmals in die unaufgeregte Debatte ein. Sie verdeutlichte, dass man sich im schwarz-gelben Koalitionsvertrag von 2005 vorgenommen habe, aus dem subventionierten Steinkohlebergbau sozialverträglich auszusteigen. "Das ist kein abrupter Crashkurs, den wir da planen", betonte die Ministerin. Vielmehr gehe es darum, in neuen Verhandlungen mit dem Bund aber auch mit der Deutschen Steinkohle über Anschlussregelungen zu verhandeln.
Als die schwarz-gelbe Koalition im Sommer 2005 ihren Koalitionsvertrag unterzeichnete, wurde darin festgeschrieben, dass das Land bis 2010 bei den Kohlesubventionen 750 Millionen Euro einsparen werde. Wörtlich heißt es in der Koalitionsvereinbarung vom 16. Juni 2005: "Wir wollen mit allen Beteiligten einschließlich der Anteilseigner über die Rahmenbedingungen für den sozialverträglichen Auslauf des subventionierten Bergbaus verhandeln und entscheiden. Die Landesregierung strebt für die Legislaturperiode ein kumuliertes Einsparvolumen von 750 Millionen Euro für das Land an."
Mittlerweile wird in Düsseldorf bezweifelt, ob dieses ehrgeizige Sparziel erreicht werden kann. Der Bergbau befindet sich seit Jahrzehnten in einem ständigen Sinkflug. Von weit mehr als 100 Zechen sind noch sieben in NRW übrig geblieben. Die mehr als 100.000 Bergleute sind auf 31.972 Kumpel zusammen geschrumpft. Sie fördern noch 20 Millionen Tonnen Kohle. Diese Förderung wird vom Bund mit jährlich 1,932 Milliarden Euro und vom Land NRW mit weiteren 564 Millionen Euro subventioniert. Die geförderte heimische Steinkohle kostet fast dreimal soviel wie die Kohle auf dem Weltmarkt. Zwischen 60 und 65 Euro müssen pro Tonne aufgebracht werden, denn die nordrhein-westfälischen Förderkosten liegen bei 175 Euro. Deshalb war noch von der rot-grünen Bundesregierung mit dem Land und der Muttergesellschaft RAG sowie der Gewerkschaft IG BCE ein weiterer Schrumpfprozess bis 2012 vereinbart worden.
Bis dahin soll die Belegschaft nochmals verringert und die Jahresförderung auf 16 Millionen Tonnen reduziert werden. Doch es geht nicht allein um die Kumpel vor Ort. In NRW kommen zu den Bergleuten nochmals etwa 40.000 in den vom Bergbau abhängigen Zulieferindustrien Beschäftigte hinzu. Wie rasch die Lage sich dramatisch zuspitzen kann, macht die - wegen ausbleibender Aufträge aus den Zechen - drohende Insolvenz bei dem Schachtunternehmen Heitkamp-Deilmann-Haniel (HDH) mit 1.600 Beschäftigten, deutlich. Parallel zur Landtagsdebatte über den Kohleausstieg skandierten vor dem Parlament Mitarbeiter des angeschlagenen Bergbauspezialunternehmens: "Wir wollen Arbeit."
Während die Liberalen das Auslaufen des subventionierten Bergbaus am liebsten noch forcieren würden, scheint bei Teilen der Union in jüngster Zeit die Erkenntnis zu reifen, dass man wohl länger als geplant für die Steinkohle zahlen muss, wenn es keine sozialen Verwerfungen an den Zechenstandorten geben soll. Diese Einsicht wird noch dadurch gefördert, dass in Berlin eine schwarz-rote Koalition regiert, in der die SPD - wie in NRW - für den subventionierten Steinkohlebergbau ist. Im Berliner Koalitionsvertrag vom 11. November 2005 heißt es daher über den Steinkohlebergbau auch viel allgemeiner als in NRW: "Es müssen weitere Einsparungen gegenüber den bisherigen Verabredungen geprüft werden, ohne den Weg der sozialverträglichen Anpassung zu verlassen. Freisetzungen und Arbeitslosigkeit sollen vermieden werden."
Die Situation kompliziert sich noch zusätzlich, weil die RAG an die Börse gehen will. Dazu sollen die so genannten "weißen" Bereiche, also vor allem die gut laufenden Töchter - Degussa, Steag und Immobilien - unter einem Dach vereint und vom "schwarzen" Bereich, der Kohle getrennt werden. Mit dem Erlös sollen die "Ewigkeitskosten" bezahlt werden. Mindestens eine halbe Million Euro jährlich müssen dafür veranschlagt werden. Die RAG hat bereits sechs Milliarden Euro an Rückstellungen gebildet. Unter Fachleuten wird jedoch bezweifelt, dass diese Gelder ausreichen. Deshalb wird jetzt auch über eine Zerschlagung des Konzerns statt des Börsengangs diskutiert. Damit würde man den Erlös möglicherweise von vier auf rund acht Milliarden Euro verdoppeln können, wie der CDU-Abgeordnete Wilhelm Droste im Plenum vorrechnete. Auf dem am 2. April tagt in Berlin tagenden Energiegipfel sollen Wege für die weitere Vorgehensweise gefunden werden.