Es gehört schon zum Ritual, dass nach einer Urteilsverkündung im Bundesverfassungsgericht (BVerfG) alle Beteiligten das Ergebnis schönreden. So mühten sich am 28. März die Vertreter der Bundesländer, Zufriedenheit darüber zu äußern, dass sie das Staatsmonopol auf Oddset-Sportwetten behalten dürfen - wenn auch unter deutlich weniger lukrativen Vorzeichen. Und die Wettbranche - einige hatten ihre Pressemitteilungen zur Feier der dann doch ausgebliebenen Marktöffnung schon vorbereitet - wollte in dem Karlsruher Urteil zumindest Signale für eine Liberalisierung entdeckt haben. Beide hatten mehr oder weniger Grund zur Freude - die Monopolisten mehr, die Wettunternehmen weniger.
Der Erste Senat hatte auf die Frage, ob ein Staatsmonopol auf Sportwetten mit festen Gewinnquoten zulässig sei, eine Radio-Eriwan-Antwort gegeben: Im Prinzip Ja, aber nicht so, wie das jetzt gehandhabt wird. Denn einem freien europäischen Binnenmarkt sind staatliche Monopole grundsätzlich fremd und deshalb eigentlich verboten. Zumindest bedürften sie einer überzeugenden Rechtfertigung, die in diesem Fall nur Schutz vor Spielsucht heißen könne. Die Verfassungsrichter zeichnen damit nach, was der Europäische Gerichtshof in Luxemburg 2004 im so genannten Gambelli-Urteil vorgegeben hat: Glücksspielmonopole müssen ganz nahe am Ziel des Spielerschutzes bleiben - sonst verlieren sie ihre Legitimation. Übrigens hat auch der Bundesgerichtshof (BGH) erst vor wenigen Monaten die Suchtbekämpfung gestärkt. Das Ziel, die Staatskasse aufzubessern, trägt jedenfalls kein Monopol, auch wenn, wie bei Oddset, die Gelder teils dem Breitensport zufließen.
Damit hat Karlsruhe eingefordert, was die Vertreter der staatlichen Lotterie gern im Munde führen, und was im Übrigen auch im Lotteriestaatsvertrag steht: Dass staatliche Glücksspielangebote den, wie es im Vertrag heißt, "natürlichen Spieltrieb der Bevölkerung in geordnete und überwachte Bahnen zu lenken" haben. Die Verfassungsrichter vermissten allerdings, dass den Worten auch Taten folgten. Das staatliche Oddset-Monopol sei in der "derzeitigen Ausgestaltung" verfassungswidrig, weil der Staat die Spielsucht fördere, anstatt sie einzudämmen. Die omnipräsente Oddset-Werbung, das flächendeckende Vertriebsnetz mit etwa 25.000 Lottoannahmestellen, eine Suchtprävention, die sich - wenn überhaupt - auf nichtssagende Faltblätter beschränkt, ein Internetangebot, das jedem Jugendschutz Hohn spricht: All das hätte wohl gereicht, das Monopol mit Bausch und Bogen zu beenden.
Dennoch hat es der Erste Senat bei einem Warnschuss belassen, verbunden mit einer ausreichenden Übergangsfrist bis zum 31. Dezember 2007, und garniert mit einigen Hinweisen, was bis dahin zu tun sei. Nämlich etwa die Werbung runterzufahren, Suchtaufklärung zu betreiben und Schutzinstrumente wie die Möglichkeit zur Selbstsperre Spielsüchtiger zu installieren. Adressat dieser Empfehlungen könnte neben den Ländern übrigens auch der Bund sein, der durch seine Zuständigkeit fürs Wirtschaftsrecht die Materie selbst regeln könnte.
Trotz ihrer Versäumnisse hat der Senat - als "Berichterstatter" zuständig war Verfassungsrichter Brun-Otto Bryde - der staatlichen Lotterie eine zweite und wahrscheinlich letzte Chance einräumt, ihr Monopol gleichsam zu säubern. Die Richter setzen also auf den Staat, den sie in Sachen Glücksspiel offenbar doch für vertrauenswürdiger halten als die Wettbranche. Dabei dürfte auch die Beobachtung eine Rolle gespielt haben, dass schon jetzt - also unter einem zumindest juristisch geltenden Monopol - private Anbieter bereits einen höchst agilen grauen Markt gebildet haben.
Da sind zum einen die Inhaber der so genannten DDR-Lizenzen. Noch 1990, kurz vor der Wiedervereinigung, war das DDR-Gewerberecht liberalisiert worden, so dass sich Wettanbieter wie betandwin oder Sportwetten Gera noch Zulassungen sichern konnten. Sie machen Oddset kräftig Konkurrenz, der Umsatz des staatlichen Wettanbieters ist von 540 Millionen Euro im Jahr 2002 auf etwa 430 Millionen Euro im vergangenen Jahr gesunken - Tendenz weiter abnehmend. Noch wird vor den Verwaltungsgerichten gestritten, ob die Lizenzen überhaupt bundesweite Aktivitäten erlauben; eine höchstrichterliche Entscheidung steht noch aus. Außerdem schießen alle Arten von Wettbüros aus dem Boden, teils als Vermittler ausländischer Anbieter. Und dann gibt es noch das Internet: Was auf diesem Weg über irgendwelche Server in der Karibik angeboten wird, ist ohnehin schwer kontrollierbar.
Wollen die Bundesländer ernst machen mit dem Monopol, müssen sie erst einmal diese Baustelle schließen. Die Behörden müssen konsequent gegen illegale Anbieter vorgehen, und sie müssen die Reichweite der DDR-Lizenzen gerichtlich klären lassen. Bisher haben alle auf Karlsruhe gewartet und die äußerst bewegliche Wettbranche einfach gewähren lassen. Ein "gefesseltes" Sportwetten-Monopol, das den verfassungsgerichtlichen Vorgaben entspricht, kann sich das nicht mehr leisten. Ohne offensive Werbung, mit zurückhaltendem Vertrieb und vorsichtigen Angeboten kann das staatliche Oddset nicht überstehen, solange nennenswerte Konkurrenz am Markt ist. Das hohe Ziel des Spielerschutzes würde konterkariert: Die Spieler würden noch stärker den Privatanbietern zulaufen, die keine Konzessionsabgaben und oftmals - da im Ausland ansässig - nicht einmal Steuern zahlen und deshalb attraktivere Quoten bieten können.
Bayern und Niedersachsen beispielsweise haben umgehend "ordnungsrechtliche Maßnahmen" gegen illegale Anbieter angekündigt. Denn allen Beteiligten ist klar, das staatliche Oddset würde andernfalls ausgetrocknet. So nannte der niedersächsische Toto-Lotto-Geschäftsführer Rolf Stypmann den Karlsruher Spruch denn auch "ein bisschen lebensfremd". Denn mit der Vorgabe, die Oddset-Werbung künftig einzuschränken, treffe das Gericht die Falschen - die große Werbung komme doch von betandwin und von illegalen Anbietern. Angesichts ohnehin zurückgegangener Einnahmen hält er gar ein Ende von Oddset für möglich. "Wirtschaftlich werden wir uns überlegen müssen, die Oddset-Wette einzustellen."
Womit die Wettbranche dann doch wieder einen Silberstreif am Horizont ausmachen könnte. Denn kühle Rechner in den Finanzministerien der Länder könnten auf folgende Formel kommen: Überließe man das Geschäft mit den Sportwetten am Ende doch der Wettbranche, dann könnte der Staat über Steuern und Konzessionsabgaben kräftig mitkassieren. Und für die "Kollateralschäden" - die wachsende Zahl an Spielsüchtigen - wären dann die Wettunternehmer verantwortlich.