Recht. Auf ein vorwiegend kritisches Echo sind die europapolitischen Pläne von Union und SPD im Rahmen der Föderalismusreform gestoßen. Bei der Anhörung von Bundestag und Bundesrat am 16. Mai bemängelten die Sachverständigen vor allem die vorgesehene Änderung bei den Beteiligungsrechten der Länder in Artikel 23 des Grundgesetzes (GG). Danach verliert die Bundesregierung in den Bereichen schulische Bildung, Kultur und Rundfunk ihre Verhandlungsführerschaft in Brüssel an einen vom Bundesrat benannten Vertreter der Länder.
Der Berliner Rechtsprofessor Hans Meyer sagte, die Änderung werde die Europatauglichkeit des GG nicht wie erwünscht erhöhen, sondern verschlechtern. "Deutschland ist schlecht aufgestellt in Europa", betonte Meyer und fügte hinzu: "Was fehlt, ist eine einheitliche Vertretung in Brüssel." Die geplante Neuregelung verschärfe das Problem.
Der Professor für öffentliches Recht in Göttingen, Christoph Möllers, unterstrich, es könne nicht sein, dass die Außenvertretung Deutschlands "gespalten" sei. Sein Oldenburger Kollege Götz Frank wies darauf hin, dass die Landtage zudem schwer kontrollieren könnten, was der Ländervertreter in Brüssel verhandelt. Ähnlich argumentierte der Münchner Staatsphilosoph Peter M. Huber. Es sei völlig unklar, wie beispielsweise der Landtag von Mecklenburg-Vorpommern reagieren solle, wenn er mit dem Ländervertreter beispielsweise aus Bayern nicht zufrieden sei. Huber regte an, dass die Einwirkungsmöglichkeiten der Länder auf europapolitische Entscheidungen der Bundesregierung besser innerstaatlich gestärkt werden sollten.
Der Heidelberger Europarechtsexperte Peter-Christian Müller-Graff wies die Kritik an der Änderung zurück. Er sehe den Vorschlag "entspannter", so Müller-Graff. Weiter sagte er: "Wir wagen ein Experiment, wenn es nicht klappen könnte, hat man belastbare Erfahrungen." Der Präsident des Bayerischen Landtages, Alois Glück, nannte die Kritik bestimmter Rechtsexperten "ein bisschen unverhältnismäßig". Die Mängel in der Organisationsstruktur der Bundesregierung in Sachen Europa seien "sehr viel gravierender".
Der Gesetzentwurf sieht für die Europakammer des Bundesrates auch die Möglichkeit schriftlicher Abstimmungen vor (Änderung von Grundgesetzartikel 52). Damit soll erreicht werden, den Zeitaufwand für die Formulierung von Stellungnahmen zu verringern und die Koordination zu erleichtern. Zudem müssten die Länder, wenn sie gegen Europarecht verstoßen, künftig mithaften (Änderung von Grundgesetzartikel 104a).
Die vom Bundestag am 17. Mai eingeladenen Sachverständigen haben die Übertragung der Gesetzgebungskompetenz für den Strafvollzug an die Länder überwiegend abgelehnt.
Klaus Lange-Lehngut, Leiter der Justizvollzugsanstalt Berlin-Tegel, sprach sich dezidiert gegen eine Verlagerung der Gesetzgebungskompetenz im Strafvollzug an die Länder aus. Er appellierte an die Abgeordneten, sie dürften es im Interesse des Schutzes der Allgemeinheit vor weiteren Straftaten nicht hinnehmen, dass sich unsere Gesellschaft auf ein Vorhaben einlasse, das absehbar jeden von uns der erhöhten Gefahr, Opfer eines Straftat zu werden, aussetze. Er fürchte, so Lange-Lehngut, dass angesichts der Finanzlage der Länder das Strafvollzugsrecht nicht weiterentwickelt werde. Die Folge könne sein, "dass im geschlossenen Vollzug wieder Schlafsäle für acht, zehn oder 20 Gefangene eingerichtet werden, wenn nur eine abgetrennte Nasszelle vorhanden ist".
Professor Manfred Seebode von der Universität Leipzig sprach sich ebenfalls gegen die Neuregelung aus. Er war der Meinung, die vorgesehene Neuregelung erschwere die Arbeit der ohnehin schon überlasteten Strafjustiz und ihres Vollzuges. Insbesondere die länderübergreifende Zusammenarbeit und die Effizienz der Justiz würden nicht gesteigert, sondern wegen zusätzlicher praktischer Schwierigkeit beeinträchtigt. Bundeseinheitliches Strafrecht müsse bundeseinheitlich umgesetzt werden.
Gleicher Meinung war Professor Bernd Maelicke von der Universität Lüneburg: Die Zuständigkeit des Bundes für den Strafvollzug müsse erhalten bleiben. Das entsprechende Gesetz hätte sich in der Praxis grundlegend und weitgehend bewährt. Er kritisierte, dass die zuständigen Gremien (Justizministerkonferenz und Strafvollzugausschuss) bisher nicht beteiligt wurden, eine Fachdiskussion und eine öffentliche Debatte seien nicht ermöglicht worden. Für die Bundesvereinigung der Anstaltsleiterinnen und Anstaltsleiter im Justizvollzug e.V. warnte deren Vorsitzender Klaus Winchenbach ebenfalls dringend vor einer Verlagerung der Gesetzgebungskompetenz für den Strafvollzug an die Länder.
Clemens Lückemann, Leitender Oberstaatsanwalt aus Würzburg, war hingegen der Auffassung, die beabsichtigte Verlagerung an die Länder sei richtig, weil diese besondere Sachkompetenz hätten. Lückemann wies darauf hin, bereits unter dem geltenden Strafvollzugsgesetz unterscheide sich die Vollzugswirklichkeit in den Ländern auf Grund unterschiedlicher Auslegung des Gesetzes ganz erheblich. Ein weiteres Argument, so Lückemann, sei, dass das Recht der inneren Sicherheit Domäne der Länder sei. Das Strafvollzugsgesetz sei vor 30 Jahren in Kraft getreten. Der Bundesgesetzgeber habe bei seiner Fortschreibung versagt. Die Übertragung auf die Länder eröffne insofern neue Chancen für eine Modernisierung.
Die vom Bundesrat eingeladenen Experten waren unterschiedlicher Meinung. Thomas Aumüller, Präsident des Landgerichts Darmstadt, war der Ansicht, die Übertragung der Gesetzgebungskompetenz für den Strafvollzug an die Länder knüpfe an die fachliche und organisatorische Kompetenz an und sei deshalb folgerichtig. Hans Herbert Moser von der Justizvollzugsanstalt München äußerte hingegen eine gegenteilige Ansicht: Deutschland hätte "mit dem bundeseinheitlichen Strafvollzugsgesetz eine fundierte Basis für unsere vollzugliche Arbeit".
Im notariellen Berufs- und Gebührenrecht besteht derzeit kein grundlegender Reformbedarf." So äußerten sich alle drei geladenen Experten bei der Anhörung am gleichen Tag zu der geplanten Übertragung des Notariatswesens auf die Gesetzgebungskompetenz der Länder. Ausgenommen ist lediglich das Recht der Beurkundung.
Die geplanten Änderungen des Beamtenrechts im Zuge der Föderalismusreform stießen bei den ebenfalls am 17. Mai eingeladenen Experten überwiegend auf Kritik. Während der Anhörung äußerten die Sachverständigen Zweifel am Sinn der Neuregelung, die die Kompetenzen für das Dienstrecht, die Besoldung und die Versorgung der Landesbeamten und Richter vom Bund wieder auf die Länder übertragen soll. Die Ergänzung von Artikel 33 GG sei überflüssig, sagte der Professor für Staats- und Verwaltungsrecht an der Humboldt-Universität zu Berlin, Ulrich Battis: "Die Fortentwicklungsklausel schreibt fest, was ohnehin schon gilt." In den vergangenen Jahren sei das Beamtenrecht auf Grundlage von Artikel 33 GG bereits erheblich erweitert und aktuellen Anforderungen angepasst worden. Das gelte etwa für das Recht der Teilzeitbeschäftigung oder den Einstieg in die Leistungsbesoldung. Es sei zu befürchten, dass die Kompetenzverlagerung nur zu einem massiven Bürokratieaufbau führen werde, dem die Länder gar nicht gewachsen seien.
Besorgt äußerten sich zahlreiche Experten zudem über den Fortbestand des Berufsbeamtentums. Die so genannte Fortentwicklungsklausel in Artikel 33 GG lege die Gefahr einer Aufweichung nahe, sagte Kempen. Unterschiedliche Regelungen der Besoldung und des Dienstrechts würden außerdem die Mobilität und Flexibilität von Beamten erheblich einschränken.
Auch die geplante ausschließliche Kompetenz für das Bundeskriminalamt (BKA) zur Abwehr terroristischer Gefahren rief ein vorwiegend kritisches Echo hervor. Enno Brillo, ehemaliger Landeskriminaldirektor aus Hilden, verwies darauf, dass durch eine solche Reform "sehr wohl in die Kompetenzen der Länder eingegriffen" werde und das BKA "faktisch die alleinige Kompetenz zur Gefahrenabwehr erhalten" würde. Er betonte: "Die Länder haben bisher adäquat auf die islamistische Bedrohungslage reagiert." Eine Neuordnung sei deshalb nicht notwendig.
Der Berliner Rechtsprofessor Martin Kutscha erkannte in den Reformbestrebungen ebenfalls "einen schwerwiegenden Schritt in Richtung Aushöhlung der Länderkompetenzen". Auch eine "Entmachtung der Landsbehörden" sei zu befrüchten. Diese Bedenken teilte Professor Manfred Baldus von der Universität Erfurt nicht: "Es gibt keine Anhaltspunkte dafür, dass das BKA zu einer Art Super-FBI ausgebaut werden soll." Durch die Neuregelung werde die polizeiföderalistische Struktur nicht bedroht sondern gestärkt. Er nannte die geplanten Reformen "schlüssig, nachvollziehbar und tragend".
Ähnlich argumentierte der Präsident der BKA, Jörg Ziercke: "Das Bundeskriminalamt muss die Möglichkeit haben, entsprechenden Hinweisen, die bei ihm eingehen, nachzugehen, weitere Informationen zu erheben und selbst weitere Maßnahmen zur Abwehr terroristischer Anschläge zu treffen."
Auf ein sehr geteiltes Echo stießen die geplanten Anderungen im Bereich des Umweltrecht am 18. Mai. Während einige Sachverständige die unter anderem vorgesehene Einführung weit reichender Abweichungsbefugnisse der Länder begrüßten, bewerteten andere Experten das Vorhaben kritisch.
Wilfried Erbguth monierte beispielsweise, weder das gegenwärtige noch das geplante Umweltrecht seien geeignet, ein einheitliches Umweltgesetzbuch (UGB) zu schaffen. Unterschiedliche Kompetenznormen verhinderten sowohl derzeit als auch in Zukunft, eine "vereinheitlichende Kraft eines UGB" zu erreichen. Auch Cornelia Ziehm sieht das Ziel eines einheitlichen UGB nicht erreicht, "es wird sogar zum Teil konterkariert". Durch die Abweichungsrechte der Länder ab 2010 werde das UGB, das bis dahin geschaffen werden könnte, wieder "bedeutungslos". Hans-Joachim Koch, Professor an der Universität Hamburg, äußerte "erhebliche Zweifel", ob die geplanten Änderungen künftig Blockaden vermeiden könnten.
Gegen den Verdacht, durch die Abweichungsrechte der Länder würde es künftig zu einem "Wettlauf und Dumping nach unten" kommen, wandte sich Wolfgang Gerhards. Dies sei ein "unanständiger Verdacht". Zum einen beträfen die Abweichungsrechte keine zentralen Rechtsbereiche und der Bund könne in allen wesentlichen Bereichen einheitliche Regelungen erlassen, zum anderen seien für die meisten Bereiche europäische Standards festgeschrieben, denen auch die Länder unterlägen.
Die unterschiedlichen Kompetenzmodelle in der Gesetzgebung wurden auch von Edzard Schmidt-Jortzig, Professor an der Johannes-Gutenberg-Universität in Mainz, kritisiert. Dies führe weiterhin zu Zuordnungs- und Abgrenzungsproblemen. Schmidt-Jortzig kritisierte diese Regelung als "für Laien nicht durchschaubar" und "nicht durchdacht". Grundsätzlich sei das Gesetzesvorhaben jedoch zu begrüßen, so der ehemalige Justizminister.
Kontrovers haben die Sachverständigen auch die im Gesetzentwurf geplante Abschaffung der Rahmengesetzgebungskompetenz durch den Bund für den Bereich Verkehr und Bau bewertet. So befürchteten einige Experten, dass es zu einer Art Ping-Pong-Spiel kommen könne, wenn den Ländern einerseits ermöglicht werde, eigene Gesetze auf den Weg zu bringen, diese aber durch ein Rückholrecht des Bundes wieder gekippt werden könnten. Besonders umstritten waren in der Diskussion, ob die bislang garantierte kommunale Selbstverwaltung mit der Föderalismusreform fortbestehe und ob landeseigene Regelungen beim landwirtschaftlichen Bodenrecht zu Wettbewerbsverzerrungen für die Landwirte führen könnten.
Keine Vereinfachung und auch keine Entlastung bringt nach den Worten von Willy Boß, Berliner Vorstand des Bundesverbandes der gemeinnützigen Landgesellschaften, die geplante Verlagerung der Gesetzgebungskompetenz auf die Länder beim landwirtschaftlichen Bodenrecht. Er hält dem vom Gesetzgeber geplanten Vorschlag einer Trennung beim landwirtschaftlichen und städtebaulichen Grundstücksverkehr und Bodenrecht für nicht nachvollziehbar.
Dem widersprach Professor Hans-Günter Henneke von der Universität Osnabrück: "Für die Planungshoheit der Gemeinden, wie sie nach Artikel 28 GG ga-rantiert ist, besteht nicht ein Hauch von Bedrohung."
Auch Professor Willy Spannowsky von der Technischen Universität Kaiserslautern sieht Korrekturbedarf. Zwar stimmte er einer generellen Reform des Föderalismus zu, lehnte aber den kompetenzrechtlichen Weg zur Erreichung der Ziele durch eine den Ländern eingeräumte "Totalabweichungsbefugnis" oder ein "totales Rückholrecht" ab.