Als eine Optimistin, die sich viele Sorgen mache, bezeichnete sich die ehemalige US-Außenministerin Madeleine Albright, als sie Anfang Juni in Berlin ihr neues Buch "Der Mächtige und der Allmächtige. Gott, Amerika und die Weltpolitik" vorstellte. Sorgen bereitet ihr weniger die Tatsache, dass die Religion in vielen Teilen der Welt eine große Bedeutung hat. Sie ist beunruhigt darüber, dass derzeit das Trennende und nicht das Einende der monotheistischen Religionen betont werde.
In ihrer Analyse über die Rolle der Religion in der Politik fällt ihr als Erstes die Rhetorik des amerikanischen Präsidenten George W. Bush ein. Sie sei ein "Extrembeispiel", durchdrungen von Sendungsbewusstsein und angefüllt mit religiöser Bildsprache. Zwar hätten alle US-Präsidenten auch Bezug auf die christliche Religion genommen, aber keiner habe wie Bush geäußert, es sei Gottes Wille, dass er Präsident werde, rügt die Demokratin den Republikaner. Und keiner sei durch den Glauben an eine Mission so dermaßen unerschütterbar überzeugt von sich wie Bush. "Es ist kein Zufall, dass Al-Qaida Gehör findet, wenn sie ihn als modernen Kreuzzügler entlarven will", schreibt Albright. Die Ex-Ministerin hält die Vermischung von Politik und Religion schlichtweg für "einen Fehler" und ein grundlegendes Hindernis für eine gute Außenpolitik, denn: Wer sich so sehr im Recht glaube, entwickle wahrscheinlich keinen Plan B für den Fall, dass Plan A nicht funktioniere.
Als Beispiel für die Folgen religiös geprägten Sendungsbewusstseins nennt sie die Irak-Politik der USA. Der Irak-Krieg habe die Al-Qaida gestärkt und den Kampf gegen den Terror komplizierter gemacht. Statt eng mit alten Verbündeten zu kooperieren und die Menschenrechte strikt einzuhalten, habe die amerikanische Regierung "völlig falsch" auf den Terrorismus reagiert. Das Management der Besetzung sei "eine Tragödie der Irrungen" gewesen, ein Nachkriegsplan habe gefehlt. Es könne sein, "dass sich die Invasion im Irak und ihre Folgen letzten Endes als eines der größten außenpolitischen Desaster der amerikanischen Geschichte erweisen werden", prognostiziert Albright gar.
Diese Schlussfolgerungen zur aktuellen Weltpolitik lässt die Autorin nicht im luftleeren Raum stehen. Sie nimmt den Leser mit auf eine Reise an verschiedene Konfliktherde der Welt und analysiert Geschichte und Bedeutung der Religion. Sie erklärt ihre Sicht des ewigen Streitthemas Jerusalem in Nahost. Sie beschreibt die Situation im Sudan, der in einen muslimischen und christlichen Teil zerrissen ist, und den Stand der schleppend vorangehenden Reformpolitik in Saudi-Arabien. Wenn Sie die Lage im Iran analysiert, lässt sie eine kritische Beleuchtung der US-Politik der Vergangenheit nicht aus. Ihr Blick gilt auch dem Umgang mit Muslimen in Europa. Albright äußert sich überrascht über das Ausmaß an Verachtung einiger Europäer gegenüber Muslimen und rügt die Tendenz zur Ghettobildung in europäischen Städten. Die mit vielen historischen und politischen Fakten versehenen Berichte werden aufgelockert durch persönliche Erlebnisse mit etlichen Politikern aus aller Welt.
Am Ende fasst Albright ihre Grundthesen zu sieben Empfehlungen zusammen: Sie plädiert unter anderem für einen verbesserten Dialog mit der islamischen Welt, da nicht sie, sondern nur einzelne Gruppen wie Al-Qaida der Feind seien. Christen, Muslime und Juden sollten sich bewusst machen, wie viel sie gemeinsam hätten. Die drei monotheistischen Religionen besäßen ähnliche ethische Grundsätze und Glaubensvorstellungen. "Die Wahrheit ist, dass die Interessen der meisten Muslime mit denen des Westens vereinbar sind", so Albright. Nichtmuslime hätten kein Recht, Muslimen ihre eigenen Maßstäbe aufzuzwingen, und politische Freiheit lasse sich auch nicht verordnen. Ihre Vision: Die nichtfundamentalistischen Kräfte aller drei Religionen widmen sich gemeinsam dem Kampf gegen die Armut.
Zu simple Weisheiten? Nicht unter dem Eindruck, dass die Konflikte zwischen westlichen und islamischen Staaten zu eskalieren scheinen. Es ist ein kluges Buch. Albright überzeugt, weil sie ihre ganze politische Erfahrung und einen großen Wissensschatz über andere Länder und Kulturen in die Waagschale werfen kann. Und gerade weil sie an die Führungsrolle der USA in der Welt glaubt und mit einem für viele Deutsche eher fremden Patriotismus-Verständnis immer wieder betont, "eine stolze Amerikanerin" zu sein, wiegt ihre scharfe Kritik an der derzeitigen US-Politik umso schwerer. Natürlich kommt der Republikaner Bush schlechter weg als der Demokrat Clinton, unter dem sie Ministerin war und der auch das Vorwort geschrieben hat. Aber welcher Partei auch immer der nächste US-Präsident angehört, man möchte ihm dieses Buch ans Herz legen, bevor er mit dem Regieren loslegt.
Madeleine K. Albright: Der Mächtige und der Allmächtige. Gott, Amerika und die Weltpolitik. Droemer Verlag, München 2006; 368 S., 19,90 Euro.