Wunder werden wir in unserer Präsidentschaft nicht vollbringen", Finnlands Außenminister Erkki Tuomioja macht sich keine Illusionen über das, was ihn in den nächsten sechs Monaten an der Spitze des EU-Ministerrates erwartet. In Helsinki hat man sich auf eine Übergangspräsidentschaft vorbereitet. Das Selbstbewusstsein der Finnen beeinträchtigt das nicht: "Es ist keine Schande die Routinearbeit der Europäischen Union zu erledigen", sagt Europaministerin Paula Lethomäki.
Die finnischen Politiker, die bis Ende des Jahres einen großen Teil der Brüsseler Geschäfte organisieren müssen, wissen, dass sie die großen Themen kaum voranbringen können. Eine Lösung der Verfassungs-krise haben die Staats- und Regierungschefs auf die französische Ratspräsidentschaft in zwei Jahren vertagt. Nichts erinnert mehr an die erste Präsidentschaft der Finnen 1999. Unter ihrer Führung hatte die EU die gemeinsame Rechts- und Innenpolitik in Angriff genommen. Anfang 2000 hatten die Staats- und Regierungschefs den Anspruch Europas proklamiert, bis 2010 der wettbewerbsfähigste Wirtschaftsraum der Erde zu werden. Die Zuversicht von damals ist verflogen. Trotzdem wolle seine Regierung versuchen, alle Themen auf der europäischen Tagesordnung "voranzubringen", sagt der finnische EU-Botschafter Eikka Kosonen - auch den Verfassungsvertrag. Nach der Sommerpause wollen die finnischen Diplomaten in Gesprächen mit ihren Kollegen aus den anderen EU-Staaten ausloten, wie sich die EU aus der Sackgasse herausmanövrieren kann. Damit soll die Arbeit der Deutschen vorbereitet werden, die nach den französischen Wahlen erste Vorschläge für einen Weg aus der Verfassungskrise vorlegen sollen. Mit der Ratifizierung des Verfassungsvertrages wollen die Finnen außerdem ein Zeichen setzen. Außenminister Tuomioja glaubt nicht daran, dass der Vertrag in seiner jetzigen Form in Kraft treten wird, will aber von der politischen Substanz möglichst viel retten. Seine Regierung macht sich damit bei den meisten Finnen nicht beliebter. Bei dem Fünf-Millionen-Volk wächst die euroskeptische Stimmung. Elf Jahre nach dem Beitritt zur EU fürchten viele Finnen, dass sie von den großen Staaten an den Rand gedrängt werden. Der Verfassungsvertrag, nach dem Finnlands Gewicht im Ministerrat schwindet, verstärkt dieses Gefühl noch. In Helsinki ist man trotzdem überzeugt, dass Finnland das europäische Projekt durch Beiträge aus der eigenen, nationalen Erfahrung voranbringen kann. Lernen könnten die anderen Europäer von den Finnen vor allem den Umgang mit Russland, sagt der konservative finnische Abgeordnete im Europaparlament Ville Itälä und verweist auf die jahrzehntelange Nachbarschaft zur sowjetischen Großmacht. "Im Europäischen Parlament wird zu viel Kritik an Russland geübt", meint Itälä. Die Finnen selbst haben sich nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion durch eine erfolgreiche Wirtschaftspolitik aus der ökonomischen Abhängigkeit ihres mächtigen Nachbarn befreit - er bleibt jedoch ein wichtiger Geschäftspartner: Ein Drittel aller russischen Einfuhren werden dort über Finnland abgewickelt und finnische Unternehmen sind in der russischen Forst-, Lebensmittel- und Bauindustrie engagiert. Große Hoffnungen setzen sie auf den Ausbau des russischen Telefonnetzes.
Die finnische Regierung sieht in den Beziehungen zu Russland einen Schwerpunkt ihrer Präsidentschaft. Zum EU-Gipfel im Oktober hat sie den russischen Staatspräsidenten Putin eingeladen. Dort soll vor allem über die Energiepolitik gesprochen werden. Nirgendwo in Europa ist man sich der Rolle, die Russland als Energielieferant Europas spielt, bewusster als in Helsinki. Seine Diplomaten unterstreichen, dass es nie Schwierigkeiten gegeben habe. Schließlich zahle man Weltmarktpreise für russisches Öl und Gas oder russischen Strom. Trotzdem wird nicht geleugnet, dass mit dem Bau eines neuen Kernkraftwerkes die Abhängigkeit vom Energienachschub aus dem Osten reduziert werden soll.
Eine sichere Energieversorgung sei ein wichtiger Beitrag zur Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Wirtschaft, sagt EU-Botschafter Kosonen, und stehe deswegen ganz oben auf der Tagesordnung seiner Regierung. Mehr als bisher müsse sich die EU außerdem um die Innovationsfähigkeit der Unternehmen kümmern. Auch dieses Thema wollen die Finnen auf dem EU-Gipfel im Oktober zur Sprache bringen. Denn sie sind der Überzeugung, dass die anderen EU-Staaten auf diesem Gebiet von ihnen lernen können. Finnische Schüler schneiden beim Pisa-Test bestens ab und auf dem Innovationsindex der EU rangiert das Land auf Platz zwei hinter Schweden.
Beim Thema Wettbewerbsfähigkeit gehe es nicht nur um Hightech, sagt Kosonen, sondern auch um den Binnenmarkt. Die finnischen Minister wollen deswegen dafür sorgen, dass wichtige Binnenmarktprojekte wie die Chemierichtlinie REACH oder die Dienstleistungsrichtlinie, auf die sich der Ministerrat unter der österreichischen Präsidentschaft verständigt hat, nun auch das Europäische Parlament passieren. In der Innenpolitik wollen sich die Finnen für eine engere Zusammenarbeit der Polizei und für die Weiterentwicklung der Einwanderungspolitik stark machen. Helsinki unterstützt den Vorschlag der Kommission, darüber künftig mit qualifizierter Mehrheit im Ministerrat abzustimmen. Die heikelsten Aufgaben der finnischen Präsidentschaft liegen in der Erweiterungspolitik. Die Entscheidung darüber, ob Rumänien und Bulgarien bereits im nächsten Jahr oder erst 2008 der EU beitreten können, will der Ministerrat im November treffen. Spätestens Ende des Jahres soll die Türkei ihre Häfen und Flughäfen für Schiffe und Flugzeuge aus Zypern öffnen. Sonst will die Regierung in Nikosia, die Beitrittsverhandlungen mit der Türkei blockieren - und würde so eine Krise im Verhältnis zur Türkei heraufbeschwören. Diplomatisches Fingerspitzengefühl muss Finnland im Streit um die Aufnahmefähigkeit der EU beweisen. Die Kommission soll einen Bericht vorlegen, wie das Problem gelöst werden kann. Finnland gehe es darum, sagt sein Außenminister, die Debatte über die Aufnahmefähigkeit so zu führen, dass "keine negativen Signale an die heutigen und künftigen Beitrittskandidaten" ausgesandt würden.