In der Nähe des Brüsseler Place de Luxemburg wird derzeit eifrig gehämmert und gebohrt. Nicht weit vom Europaparlament entfernt entsteht das neue Verbindungsbüro des deutschen Parlaments in Brüssel. Mit seiner neuen Dependance in der europäischen Hauptstadt will der Deutsche Bundestag eine Art "Frühwarnsystem" einrichten und seine "Europafähigkeit" weiter ausbauen. Doch auch eine neue Vereinbarung zwischen dem deutschen Parlament und der Bundesregierung soll dazu beitragen, den Bundestag "fit für Europa" zu machen.
Denn ein immer größerer Teil der in Deutschland geltenden Gesetze wird durch europäische Regelungen vorbestimmt. Und bei vielen Themen, wie der umstrittenen Dienstleistungsrichtlinie, fühlten sich viele Parlamentarier bisher zu spät aus Brüssel informiert, um wirklich Einfluss nehmen zu können. Für Bundestagspräsident Norbert Lammert heißt Europafähigkeit daher auch, "dass wir die Voraussetzungen dafür schaffen müssen, an europäischen Entscheidungsprozessen beteiligt zu sein, bevor sie abgeschlossen sind. Also müssen wir uns in die Lage versetzen, auf diese europäischen Entwicklungen zeitnah und kompetent zu reagieren."
Eine in der vergangenen Woche von den Fraktionen des Bundestages abgesegnete Vereinbarung zwischen Bundestag und Bundesregierung soll helfen, europäische Entscheidungen auf nationaler Ebene besser vorzubereiten: Sie sieht vor, dass die Abgeordneten künftig weitaus ausführlicher und früher als bisher über Dokumente und Berichte der Kommission, des Rates und der Kommission unterrichtet werden müssen. Außerdem kann das Parlament gemäß Artikel 23 künftig Stellungnahmen abgeben. Diese werden dann verbindliche Grundlage für die Verhandlungen der Bundesregierung im Europäischen Rat sein - außer in Fragen der Außen- und Integrationspolitik. Im Juli soll die Vereinbarung im Bundeskabinett auf der Tagesordnung stehen und im September im Plenum des Bundestages verabschiedet werden. Streit zwischen den Fraktionen ist in dieser Frage nicht zu erwarten. Der Abgeordnete Axel Schäfer (SPD) hat an der Vereinbarung entscheidend mitgewirkt und ist froh über den gemeinsamen Kompromiss: "Es gab einen außergewöhnlich breiten Konsens zwischen allen fünf Fraktionen. Wir sind der Meinung, es geht dabei nicht um parteipolitische Inhalte, sondern darum, wie der Bundestag als Organ und wir uns als Fraktionen optimaler aufstellen können, um die Gesetzgebung gemeinsam zu verbessern." Sein Kollege Markus Löning (FDP) hofft, dass die Parlamentarier ihre parlamentarischen Kontrollrechte selbstbewusst wahrnehmen und die Regierung auch mal "an die Kandare" nehmen: "Es ist eine Vereinbarung, die uns deutlich mehr Rechte gibt und es wird jetzt darauf ankommen, dass wir als Bundestag diese auch wirklich ausfüllen", sagt
Löning. Beide Politiker begrüßen auch, dass der Bundestag "nach über zehn Jahren endlich", so Löning, "mit dem Bundesrat gleichzieht". Denn bisher konnte der Bundesrat weitaus größere Mitspracherechte für sich in Anspruch nehmen als der Bundestag. "Da hatten wir eine Schieflage", so Bundestagspräsident Lammert, "und das wird durch diese Vereinbarung endlich ausgeglichen." Neben dem mit der Bundesregierung ausgehandelten Text hat der Bundestag auf die veränderten Anforderungen in Brüssel auch mit einer veränderten Verwaltungsstruktur reagiert.
Bereits im April 2005 hat der Bundestag einen Aufbaustab Europa eingerichtet. Nach der Verabschiedung des Haushalts 2006 soll jetzt auch das Brüsseler Verbindungsbüro des Referats Europa seine Arbeit vollständig aufnehmen. Mitarbeiter der Bundestagsverwaltung und der Fraktionen werden dort künftig vor allem die Ausschüsse mit Informationen zu aktuellen politischen Entwicklungen aller europäischen Gremien versorgen - möglichst frühzeitig und umfassend. Damit wird die Arbeit der Wissenschaftlichen Dienste des Bundestages, der die Abgeordneten und Gremien bereits jetzt in europapolitischen und europarechtlichen Frage berät, auch im Sinne eines "Netzwerkes vor Ort" ergänzt.
Auch die Kommission selbst will die nationalen Parlamente künftig besser informieren. Bei einem Treffen zwischen Abgeordneten der nationalen Parlamente und EU-Parlamentariern hatte EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso im Mai in Brüssel angekündigt, den Parlamenten neue Vorschläge und Konsultationen direkt zur Verfügung zu stellen. Damit will die Kommission offenbar dem Prinzip der Subsidiarität stärker Rechnung tragen. Passend dazu trug die noch von der österreichischen Präsidentschaft veranstaltete Subsidiaritätskonferenz im April dieses Jahres den aussagekräftigen Titel: "Europa fängt zu Hause an". Auch Axel Schäfer glaubt, dass in einem zusammenwachsenden Europa die Rechte der nationalen Parlamente gestärkt werden müssen: "Der Deutsche Bundestag muss klar machen, dass es eine neue Ganzheit von Politik gibt. Man muss beides sehen, deutsche Interessen in Brüssel und gemeinsame länderübergreifende Parteifamilien. Entscheidend ist die Handlungsfähigkeit."