Wenige Tage vor der von Union und SPD angekündigten Präsentation von Reformeck-punkten steckten die Fraktionen im Plenum ihre Argumentationslinien ab. Diese lassen für die parlamentarischen Beratungen der Gesundheitsreform im Herbst harte Auseinandersetzungen erwarten. Außerdem offenbarten sich Differenzen zwischen den Koalitionspartnern zur finanziellen Beteiligung der privaten Krankenversicherungen (PKV).
Der FDP-Gesundheitsexperte Daniel Bahr warf der Koalition vor, sie kaufe sich mit Steuergeldern klammheimlich während der Fußball-WM einen Kompromiss. "Steuerzuschüsse ersetzen keine Strukturreform", bemängelte der FDP-Abgeordnete. Es drohe eine Gesundheitsversorgung nach Kassenlage. "Es wird teurer, ohne besser zu werden", fügte Bahr hinzu. Mit dem geplanten Gesundheitsfonds schritten CDU/CSU und SPD "in ein zentralistisch gesteuertes Gesundheitssystem". Der Fonds sei "nichts anderes als eine gigantische Geldsammelstelle".
Die Abgeordnete der Fraktion Die Linke, Martina Bunge, monierte, vom geplanten Gesundheitsfonds würden lediglich die Arbeitgeber profitieren. Nur diesen würden stabile Beiträge in Höhe von 6,5 Prozent versprochen, während den Versicherten neben den Beiträgen in Höhe von 7,5 Prozent das gesamte Risiko für Kostensteigerungen "aufgebrummt" werden solle, lenkte Bunge den Blick auf die so genannte kleine Kopfpauschale.
Darauf ging auch Grünen-Fraktionschefin Renate Künast ein. Eine Kopfpauschale werde vor allem die Allgemeinen Ortskrankenkassen (AOK) treffen, prophezeite sie. Erneut solle dem kleinen Mann in die Tasche gegriffen werden, anstatt mehr Wettbewerb zu schaffen und die Ausgaben zu reduzieren. Dies geißelte sie als "Merkel-Murks". Als notwendig bezeichnete die frühere Ministerin, die PKV stärker als bisher an der Finanzierung des Solidarsystems zu beteiligen. Die "systematische Rosinenpickerei" der Privaten bei der Auswahl ihrer Versicherten müsse beendet werden. In einem Antrag ( 16/1928) verlangten die Grünen einen Verzicht auf den Gesundheitsfonds. Darin heißt es, aufgebaut würden "überflüssige Verwaltungsstrukturen", die noch mehr kosteten als ohnehin schon. Der Bundestag überwies den Antrag in den Fachausschuss.
Einig waren sich die Oppositionsfraktionen in ihrer Kritik am Vorgehen der Koalition. Ihr Tenor: Die Eck-punkte würden so spät dargeboten, dass keine Gelegenheit mehr bestehe, vor der parlamentarischen Sommerpause darüber im Bundestag zu debattieren.
Die Parlamentarische Staatssekretärin im Bundesgesundheitsministerium, Marion Caspers-Merk (SPD) verteidigte den geplanten Gesundheitsfonds. Er biete die Möglchkeit, "verschiedene Finanzquellen zusammenzuführen und belastungsgerecht zu verteilen", betonte die SPD-Politikerin. Die gesundheitspolitische Sprecherin der Unions-Fraktion, Annette Widmann-Mauz (CDU), wandte sich gegen Einwände, der Fonds werde ein "bürokratisches Monster". Bei den Krankenkassen kümmerten sich zur Zeit rund 30.000 Beschäftigte mit dem Beitragseinzug. Der Einzug bei einer zentralen Stelle könne da sogar zu einem Abbau von Bürokratie sorgen, fügte die CDU-Politikerin hinzu. Für die Arbeitgeber entstehe der Vorteil, die Beiträge nicht mehr an unübersichtlich viele Krankenkassen abführen zu müssen. Ihr CSU-Kollege Wolfgang Zöller, der zusammen mit Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) die Koalitionsarbeitsgruppe zur Gesundheitsreform geleitet hatte, setzte sich vehement für die Beibehaltung der PKV ein. Er erinnerte daran, dass nicht nur Großverdiener privat versichert seien, sondern auch "viele kleine Beamte". SPD-Fraktionsvize Elke Ferner widersprach hingegen dem Hinweis, die privaten stützten die gesetzlichen Krankenkassen. Es sei vielmehr so, dass die öffentliche Hand beispielsweise erhebliche Mittel für die Beihilfe aufwende. Sie machte sich dafür stark, die PKV angemessen am Solidarsystem zu beteiligen.
Der Bundestag überwies darüber hinaus einen Antrag der Liberalen ( 16/1997) in den Fachausschuss. Darin schlagen sie einen weit gehenden Ausbau der Wahfreiheit vor. Dieser solle sich zum einen darauf beziehen, ob sich die Bürger privat oder gesetzlich krankenversichern wollen. Zum anderen solle auch die Wahl des Tarifes - ob zum Beispiel mit oder ohne bestimmte Behandlungsformen oder Selbstbehalten - frei gestellt werden.