Der Film beginnt mit einer Fahrt durch verschneite Landschaften. Aus dem Off ertönt die Stimme Adolf Hitlers, der über die deutsche Jugend und ihre Erziehung schwadroniert: "Und sie werden nicht mehr frei sein ihr ganzes Leben." Die Atmosphäre, die solche Führerworte schafften, stellt sich Schanze kalt vor. Winterkinder sind für ihn die, die in der Zeit des Nationalsozialismus aufwuchsen. Wie seine Mutter. Sie setzt er mit beharrlichen, doch nie anklagenden Fragen über seinen Großvater einem schmerzhaften Erinnerungsprozess aus: Zu Anfang kann oder will sie sich an kaum etwas erinnern und beschreibt den Vater nur als liebevolles Familienoberhaupt. Irgendwann offenbart sie Bruchstücke und lässt sich durch Reisen in ihren schlesischen Heimatort und ein nahe gelegenes Konzentrationslager mit der Vergangenheit konfrontieren. Neben dem Krematorium des Lagers stehend gesteht sie, dass sie die Eltern schon gerne gefragt hätte, ob sie von dem Lager wussten. Stück für Stück konfrontiert sie ihr Sohn mit seinem aus Archiven und Briefen recherchierten Wissen über ihren Vater. Der war "Oberschulungsleiter", ein glühender NS-Aktivist bis zur letzten Stunde. Sie denke weiter in Liebe an ihren Vater, betont die Tochter dennoch.
Er habe genau beobachten können, wie schwer es für seine Mutter war, die unvorstellbare Grausamkeit des Nationalsozialismus in Verbindung zu bringen mit einer Person, die man eigentlich nur lieben möchte, sagt Regisseur Schanze. Ein Konflikt, der typisch ist für die Kinder und Enkel. In der Studie "Opa war kein Nazi. Nationalsozialismus und Holocaust im Familiengedächtnis" stellen die Wissenschaftler Harald Welzer, Sabine Moller und Karoline Tschuggnall fest, dass es einen Unterschied zwischen privater und öffentlicher Erinnerung gibt, der es ermöglicht, einerseits über den Schrecken der Nazi-Herrschaft bestens Bescheid zu wissen, gleichzeitig aber zu glauben, die eigenen Verwandten hätten nichts damit zu tun gehabt.
Die Sozialwissenschaftlerin und psychologische Beraterin für NS-Geschichte Ulla Roberts betont allerdings, dass es einen entscheidenden Unterschied zwischen der Generation der Kinder und der Enkel gebe. "Die Enkel gehen weniger anklagend mit den Großeltern um. Sie wollen sie verstehen lernen", sagt Roberts. Den Enkeln gehe es weniger um die politischen, sondern um die sozialen und psychologischen Gründe, die den Nationalsozialismus zu einer Massenbewegung werden ließen. Der zeitliche und generative Abstand ermögliche ein entspannteres Verhältnis, stellte sie bei der Arbeit für ihr Buch "Spuren der NS-Zeit im Leben der Kinder und Enkelkinder. Drei Generationen im Gespräch" fest. Die größere Unbefangenheit habe zu vielen wertvollen Dialogen zwischen den Generationen geführt. Die Auseinandersetzung und das Interesse für das "Dritte Reich" ebbe auch keineswegs ab. "Die jungen Menschen wollen wissen, wo ihre Wurzeln sind", sagt Roberts. "Ich habe gehofft, der Film könne zu einer Art Befreiung führen", sagt Filmemacher Schanze. Das Schweigen über die Vergangenheit habe in seiner Familie zu einem wenig offenen Umgang auch mit anderen Themen geführt. Durch den Film habe sich die Dialogfähigkeit verbessert, man gehe ehrlicher miteinander um. Viele deutsche Familien seien in ähnlicher Situation: "Nach den Vorführungen kommt es zu ganz intensiven Gesprächen mit Zuschauern, die das Bedürfnis haben, von ihren Familien zu erzählen", berichtet Schanze.
Diese Erfahrung machte auch die Fotografin Susanne Schleyer. Bei ihrer Ausstellung "Asservate", die sich mit der NS-Vergangenheit ihres Großvaters beschäftigt, fühlten sich etliche Besucher wiedererkannt und wollten ihre Geschichte loswerden. "Ich hätte nicht gedacht, dass ich so einen Nerv treffe", sagt Schleyer. Sie hatte sowohl private als auch professionelle Gründe, den Nationalsozialismus zu ihrem Thema zu machen. "Künstlerisch lag es auf der Hand, dass die Enkel sich damit beschäftigen. Ich bin überall auf das Thema gestoßen", sagt die 42-Jährige. Sie selbst hat mit 16 Jahren erfahren, dass ihr Großvater ein hoher SA-Offizier war. "Das war ein ziemlicher Schlag." Als sie mit ihrer äußeren und inneren Welt etwas mehr im Reinen gewesen sei, habe sie 1994 mit ihrer Arbeit an "Asservate", dem ersten Teil einer Trilogie, begonnen.
Ein Foto vom Großvater, auf dem das Rangabzeichen auf der Uniform wegretuschiert ist, hängte sie neben eines ohne Retusche, das ihn als Standartenführer ausweist. Ein Symbol für Verdrängung, die typisch sei für viele deutsche Familien. Ein "begehbares Familienalbum" nennt Schleyer "Asservate". 160 Schwarz-Weiß-Fotos, Tonbandaufnahmen und eine kiloschwere Familienchronik vermittelten Eindrücke über ihren Großvater, Vater und Bruder.
Vorher hätten sich Künstler sehr distanziert mit dem Thema befasst. "Ich war die Erste, die gesagt hat: Es ist mein Großvater." Für den zweiten Teil der Trilogie brachte Schleyer in Buenos Aires geflohene Opfer des NS-Regimes mit Exilanten zusammen, die im "Dritten Reich" Täter waren. Der dritte Teil drehte sich um die NS-Eroberungsfeldzüge im Osten. Ihr nächstes Projekt beschäftigt sich mit den Urenkeln: "Es ist die erste Generation, bei der auch die Großeltern vom Nationalsozialismus nichts mitgekriegt haben."
Sehr anschaulich schildert auch Gudrun Pausewang in ihrem Buch "Die Meute" den Generationenkonflikt um die NS-Vergangenheit: Der 14-jährige Paul liebt und bewundert seinen drahtigen Großvater über alles. Bei einem Sommerurlaub gerät sein idealisiertes Bild ins Wanken. Stück für Stück muss er sich eingestehen, dass der Opa ein unverbesserlicher Nazi ist. "Mir war ganz wichtig zu zeigen, dass Nazis nicht von vorneherein Monster sind, sondern dass man sie auch lieben kann", sagt die 1928 geborene Pausewang. "Ich habe selbst einen Nazi-Vater gehabt und ihn dennoch geliebt. Mit diesem Konflikt müssen wir bis an unser Lebensende fertig werden."