Haben Sie schon mal ein "Premium Pecher Pilsener" getrunken? Nein? Sie können sich nicht erinnern? Das ist das in der grün-goldenen Flasche. Vielleicht kommt die Ihnen bekannt vor. Irgendwo könnten Sie die schon mal gesehen haben. Getrunken haben Sie "Premium Pecher Pilsener" mit Sicherheit noch nicht, denn das Bier ist ein fiktives Produkt. Die Marke haben Henning Brehm und Jan Hülpüsch entworfen. Sie denken sich Produkte aus, die es im Supermarkt niemals zu kaufen geben wird.
In dem alten Industriehof in Berlin-Prenzlauer Berg ist die Welt verquer. Ganz hinten geradeaus, vorbei an der Yogaschule und den Kreativklitschen, den Back-steinwänden und den großen Fenstern, liegt das Büro von "Schein Berlin". Wenn Jan Hülpüsch dort drinnen von draußen spricht, dann sagt er oft die "reale Welt". Als wäre sein Loft-Büro mit der Retro-Sofa-Ecke und den weißen Schreibtischen ein Hirngespinst. Hier sitzt er jeden Tag zusammen mit Henning Brehm und denkt sich Dinge aus, die es niemals zu kaufen geben wird: Dentex-Zahnpasta, Berg-Bier oder Dormital-Schlaftabletten. Der Auftraggeber: das deutsche Fernsehen.
Wenn man darauf achtet, dann sieht man, dass im Programm auf Teufel komm raus keine Produkte zu sehen sind. Magazine und Saftflaschen sind entfernte Platzhalter. Kommen sie doch mal näher, dann ist die TV-Welt so zurecht gerückt, dass kein Etikett zu sehen ist. Sonst wäre das Schleichwerbung. Wenn aber doch mal eine Kekspackung oder ein Kaugummi aus dramaturgischen Gründen in den Vordergrund rückt, dann beginnt die Arbeit von "Schein Berlin". Morgens rattert im Prenzlauer Berg ein Fax herein: "Zwei Tageszeitungen, ein Architekturmagazin, eine Handwerker-Visitenkarte", liest Henning Brehm, außerdem ein T-Shirt, ein Puzzle, eine Pralinenpackung. Dann beginnt das Brainstorming, das freie Assoziieren, das Drauflosschwätzen und Herumspinnen: Müllers Pralinen, Genussbasar und so weiter und so fort. Jan Hülpüsch hat sich auf der Internetseite eines bekannten Schokoladenherstellers eingeloggt. Wegen der Inspiration. "Traumhaft" und "schokoladig" steht da, "Schokotraum" und "schokohaft" dichtet Henning Brehm weiter. Das hört sich nach Omas Kaffeekränzchen an? Wie schon mal gesehen und schon mal gegessen? Optimal. So muss Fake-Design sein.
Im Eingangsbereich steht eine Vitrine mit "Schein-Berlin"-Produkten. "Do it", die Frauenzeitschrift mit dem mittelhübschen Mädchen auf dem Cover, "Fisch und Co", das Anglermagazin mit, na klar, einem Fisch vorne drauf und der Energy-Drink in der silberfarbenen Dose mit den asiatischen Schriftzeichen. Jan grinst: "Das heißt irgendwas mit Autohaus, hat mir eine Japanerin gesagt." Er selbst hat die Zeichen einfach aus dem Internet abgemalt. Besonders stolz ist er auf das Berg-Bier. Eine altglasbraune Flasche mit einem Ährenbündel und einem Sonnenuntergang in tiefem Gold.
Tschechisch inspiriert sagt Jan, grinst und erklärt die Grundregeln des Fake-Designs: Es geht darum eine Lücke im Supermarktregal zu finden. Eine Flasche, die dort nicht auffallen würde, weil sie aussieht wie alle anderen. Ein Designer, der ein Bier für die wirkliche Welt entwirft, würde denken: Alle Biere sind braun, dann ist meins blau oder rot. Würde ein blaues oder rotes Bier aber im Fernsehen auftauchen, würden die Zuschauer denken: Das Bier ist ja blau oder rot, was trinkt die denn da? Also gilt: Je unauffälliger, desto besser.
Die beiden sind so etwas wie Undercover-Agenten der Warenwelt. Während die Kollegen für Fotoshootings um den Globus reisen, arbeitet Schein-Berlin mit lizenzfreien Bildern und Gratis-Modellen. Manchmal posen sie auch selbst. Ein Fake-Produkt sollte schließlich weniger kosten als die Gebühren für das echte. Und manchmal beschleicht einen auch der Eindruck, dass in diesem Büro gar nichts echt ist: Der Nischenmarkt Fake-Design ist nicht mal ein offizielles Berufsbild. Filmgrafiker könnte er sich nennen, mutmaßt Jan Hülpüsch. Ach nee, dann denken alle an Kinoplakate. Vielleicht grafischer Requisiteur. So genau weiß er das selbst nicht. Selbst wenn sie Grafik-Designern erzählen, was sie machen, müssen sie sich umständlich erklären. Dass Schattendasein macht ihm nichts aus, sagt Henning Brehm: "Bei uns muss es schnell gehen, und jedes Produkt könnte man sicher besser entwerfen. Aber dafür machen wir die ganze Palette, das geht von der Detailarbeit zum großen Kinoplakat."
Überhaupt das Kino. Hier können auch die bescheidensten Requisiten-Designer mitunter groß heraus kommen. Historische Filme brauchen zeitgemäße Requisiten. Für "Der Untergang" hat "Schein-Berlin" Nazi-Briefpapier entworfen, 30er-Jahre-Schnapsflaschen und -Straßenschilder. "Es geht auch darum, für den Schauspieler eine glaubwürdige Situation zu schaffen", sagt Jan Hülpüsch. "Wenn er eine 30er-Jahre-Schnapsflasche da stehen hat, fällt ihm das Besäufnis leichter, als würde er die ganze Zeit versuchen, das Etikett zuzuhalten."